
Igus fertigt aus Angüssen und Fehlteilen der Spritzgussproduktion regranulierte Werkstoffe, beispielsweise für das Iglidur ECO-Gleitlagerprogramm oder eine ECO-Variante des bewährten Xiros-Rillenkugellagers. (Bild: Igus)
Mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) wurden im Jahr 2019 die Klimaschutzziele in Deutschland verbindlich festgelegt. Der Schutz des Klimas ist eine der größten und eigentlich die zentrale Herausforderung unserer Zeit. Denn der Ausstoß von CO2 bei der Stromerzeugung, bei der Heizung von Gebäuden, im Verkehr und von der Industrie trägt entscheidend zur Erderwärmung bei. Deutschland setzt vor allem auf den zunehmenden Einsatz von erneuerbaren Energien und eine Steigerung der Energieeffizienz.
Das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung: Treibhausgasneutralität bis 2045. Produzierende Unternehmen sehen sich dabei einer ganzen Reihe von Herausforderungen gegenüber. Dazu zählen Umweltschutzgesetze, Emissionshandelssysteme, Energieeffizienzstandards, Berichtspflichten, CSR-Anforderungen (Nachhaltigkeit), PFAS-Regulierung sowie das CO2-Grenzausgleichsystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), um nur einige zu nennen.
Laut VDMA gibt es aktuell eine sehr große Welle an Regulatorik im Bereich Nachhaltigkeit, die vor allem auf europäischer, aber auch auf deutscher Ebene verabschiedet wurde, und jetzt schon die Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau trifft. Für die Einordnung sowie Umsetzung dieser Regulatorik brauchen danach die Unternehmen nicht nur die Expertise, die viele nicht in-house haben, sondern auch genug Kapazität, um sich diesen Themen zu widmen. Vor allem für eine KMU-lastige Branche ist dies eine große Herausforderung. Das führt oft dazu, dass Firmen externe Beratungshäuser zu sich holen. „Kurzfristig hilft dies, die Herausforderungen der Gesetzgebung zu stemmen; mittel- bis langfristig ist diese Option sehr teuer und bedeutet, dass man die eigene Unternehmensdaten nach außen gibt“, so Anna Feldman, Climate Neutral Production Project Lead, VDMA European Office. „Beratungsfirmen haben auch oft Lücken. Ein Lerneffekt durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen kann nur bis zu einem gewissen Grad bei der Umsetzung helfen.“

Mehr VDMA-Mitglieder mit Klimazielen

Der VDMA selbst verzeichnet einen großen Aufschwung an Aktivitäten rund um den Klimaschutz in seiner Mitgliedschaft. Laut einer VDMA-Umfrage bei den Mitgliedern hat sich die Anzahl an Unternehmen, die sich ein Klimaziel setzen, zwischen 2019 bis 2022 fast verdreifacht. „Damit ist natürlich eine Bilanzierung der Treibhausgas-Emissionen sowie die Planung von Emission-Reduktions-Maßnahmen im Unternehmen verbunden“, sagt Anna Feldmann. Der Druck steige, da sowohl Kunden und die Finanzwelt als auch die neue CSRD-Überarbeitung Firmen dazu zwingen, über ihren Impact auf den Klimawandel zu berichten. „Unternehmen stellen sich der Verantwortung, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die eigene Zukunftsfähigkeit“, ergänzt Feldman.

Auch der Roboterhersteller Igus beschäftigt sich intensiv mit verschiedenen Themen rund um Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Der Fokus liegt derzeit unter anderem stark auf dem Thema Energieeffizienz. Durch den Umstieg auf Ökostrom und Ökogas konnte bereits ein Großteil der Emissionen bei Scope 1 und 2 reduziert werden. Hinzu kommt das Thema PFAS, das aktuell stark von der Gesetzgebung vorangetrieben wird. „Umso früher man sich mit damit befasst, desto eher ist man als Unternehmen auf die Entwicklungen vorbereitet“, sagt Felix Hülder, Lean Ingenieur Green Production bei Igus. „Als Hersteller von Hochleistungspolymeren kommen bei uns verschiedene Materialien zum Einsatz. Unabhängig von den Entscheidungen hinsichtlich PFAS haben wir bereits viele Werkstoffe in unserem Portfolio, die kein PTFE enthalten und PFAS-safe sind. Wir arbeiten kontinuierlich weiter an der Entwicklung von alternativen Werkstoffen, um unseren Kunden auch in Zukunft stets eine passende Lösung anbieten zu können. Gleichzeitig verwenden wir zum Beispiel bei der Produktion von unseren Chainflex-Leitungen PFAS-freie Materialien.“
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Förderung erneuerbarer Energien
Auch Sascha Eberhard von der Franke GmbH sieht sein Unternehmen in der Pflicht: „Als Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs in der Metallindustrie mit rund 350 Mitarbeitern stehe ich vor der zentralen Frage, wie wir den Klimaschutz effektiv gestalten können – sowohl im Kontext staatlicher Vorgaben als auch aus eigener Verantwortung heraus. Unser Unternehmen hat bereits bedeutende Schritte unternommen, um nachhaltige Praktiken zu etablieren, wie im Nachhaltigkeitsbericht detailliert beschrieben.“ Aber auch für Eberhard ist klar, dass die Industrie strengen Umweltschutzgesetzen unterliegt, die sowohl von der EU als auch von nationalen Ministerien festgelegt werden. Diese Gesetze zielen darauf ab, Umweltbelastungen zu minimieren und nachhaltige Praktiken zu fördern. „Emissionshandelssysteme erfordern, dass wir Emissionsrechte erwerben oder unsere Emissionen reduzieren, um den CO2-Ausstoß zu begrenzen“, so Eberhard. Für den Geschäftsführer der Franke GmbH ist „die Förderung erneuerbarer Energien ein zentrales Anliegen, und Investitionen in grüne Energie können sich langfristig auszahlen. Zudem sind wir verpflichtet, unsere Produktionsprozesse und Gebäude energieeffizient zu gestalten. Transparente Berichterstattung über unsere Nachhaltigkeitsbemühungen ist unerlässlich“, erläutert Eberhard.
Was aber sind die größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer ‚Grünen Industrie‘? Nach Ansicht von Anna Feldman vom VDMA European Office ist die Komplexität der Anforderungen sehr schwierig zu bewältigen. „Um ein Beispiel zu geben, das einige Herausforderungen kombiniert, ist das Thema Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM). Unternehmen, die gewisse Vorprodukte in die EU importieren, müssen berichten, wie viele Emissionen bei der Produktion dieser Vorprodukte entstanden sind. Dabei erweist es sich aktuell als fast unmöglich, die Echt-Daten in so einer kurzen Umsetzungszeit von Lieferanten in Drittländern zu bekommen.“ Entweder fühlen sich diese Lieferanten nicht in der Verpflichtung, eine so komplizierte EU-Regulatorik zu erfüllen, oder sie kennen die genauen Emissionsdaten der eigenen Produktion selbst nicht. „Sie bringt die EU-Unternehmen in eine sehr schwierige Lage, da sie gezwungen sind, eine komplizierte Berichterstattung vorzunehmen, ohne Zugang zu den erforderlichen Daten zu haben“, gibt Feldman zu bedenken.
Für Sascha Eberhard sind die effiziente Umstellung auf nachhaltige Technologien, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft die größten Herausforderungen: Unternehmen, die nicht auf Nachhaltigkeit setzen, könnten langfristig an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Veränderungen auf nationaler und EU-Ebene erfordern klare politische Signale und Fördermaßnahmen, um den Wandel zu unterstützen. Als Vorbilder dienen uns skandinavische Länder wie Schweden und Dänemark, die Vorreiter im nachhaltigen Wirtschaften sind. Aktuell arbeiten wir daran, Franke Leichtbau-Linearsysteme auf Sekundäraluminium umzustellen und dadurch Ressourcen zu schonen.“

Nachhaltigkeit und Wachstum in Balance

Nach Meinung von Felix Hülder brennt aktuell den Unternehmen sehr stark die Berichtspflicht unter den Nägeln: „Nicht zuletzt wird die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen im nächsten Jahr bis auf 15.000 Unternehmen in Deutschland ansteigen. Gerade im Mittelstand gibt es einen großen Aufklärungsbedarf, wie mit der Berichtspflicht umgegangen werden sollte.“ Die Unternehmen treibe zudem die Frage um, wie man nachhaltig einwandfreies Unternehmertum in Einklang mit den Kundenwünschen bringe. „Zum Beispiel erwarten Kunden zunehmend Nachhaltigkeit in den Produkten, gleichzeitig möchten Firmen häufig nicht auf gegensätzliche Vorteile verzichten.“ Das betreffe etwa die Lieferung, bei der oft weiterhin die schnellere Luftfracht statt der Lieferung durch die Bahn gefordert werde.
Lassen sich also Green Tech, Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz mit Wachstum und Expansion überhaupt unter einen Hut bekommen? Für Franke-Geschäftsführer Eberhard ist die Balance zwischen Nachhaltigkeit und Wachstum kein Widerspruch: „Investitionen in Green Tech können Innovation und Wettbewerbsvorteile bieten. Die Kreislaufwirtschaft ermöglicht es uns, Ressourcen effizient zu nutzen und Abfall zu minimieren.“ Durch emissionsarme Technologien und klimafreundliche Produkte könne man als Unternehmen aktiv zum Klimaschutz beitragen und dem von Franke selbstgesteckten Ziel näherkommen, bis 2025 klimaneutral zu sein. „Kreislaufwirtschaft bieten wir auch unseren Kunden an. Wir haben Refurbishing-Services etabliert, die es unseren Kunden ermöglichen, Franke-Wälzlager zur Runderneuerung einzuschicken. Das spart eine Neuanschaffung und schont die Umwelt“, so Eberhard weiter.
Auch für Felix Hülder sind die Themen Klimaschutz, Wachstum und Expansion nicht widersprüchlich: „Dabei ist immer die Frage von Bedeutung, welche Wertigkeit die Unternehmen gewissen Aspekten rund um Nachhaltigkeit zusprechen. Das unterscheidet sich von Branche zu Branche.“ Für den Igus-Ingenieur liege eine große Chance in Künstlicher Intelligenz, die etwa die Herausforderungen durch die Berichtspflicht deutlich vereinfachen könne. Und natürlich ist gerade für Igus die Kreislaufwirtschaft in der Kunststoffbranche ein wichtiges Thema, in dem viel Potenzial steckt, dazu Hülder: „Dabei geht es darum, nicht nur Verschwendung zu vermeiden, sondern generell effizientere Prozesse zu schaffen. Genau dabei kann Green Tech helfen.“ Für Igus sei Klimaschutz ein klarer Wettbewerbsvorteil. So hat Igus beispielsweise bereits 2019 ein eigenes Recycling-Programm namens ‚Chainge‘ ins Leben gerufen. Über diese Online-Plattform können Nutzer Energieketten und andere Bauteile aus technischen Kunststoffen herstellerunabhängig recyceln lassen, damit daraus neue Produkte entstehen können. Gleichzeitig bietet die Plattform einen digitalen Marktplatz, der einen Zugang für den Kauf ausgewählter Rezyklate erlaubt. „Unser Angebot ermöglicht uns, gemeinsam mit unseren Kunden, Kunststoff zu einer nachhaltigen Ressource zu machen“, sagt Hülder.
Deutschland als globaler Leitanbieter
Passend dazu hat sich die ‚Allianz für Transformation‘ – eine von der Bundesregierung initiierten Runde mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft – bei ihrem vierten Spitzentreffen im Bundeskanzleramt im Januar 2024 darauf verständigt, gemeinsam die Kreislaufwirtschaft in Deutschland systematisch zu stärken. So könne die Abhängigkeit von Rohstoff-Lieferungen verringert und das Land international Vorreiter für zirkuläre Technologien und Produkte werden. Weiterer Tenor des Treffens: Deutschland habe die Chance, zum globalen Leitanbieter der Kreislaufwirtschaft und zirkulärer Produktionsprozesse zu werden.
Bei aller Euphorie über bereits geleistete und angeschobene Klimaschutzmaßnahmen in der deutschen Industrie zählt VDMA-Projektleiterin Feldman noch zwei weitere große Herausforderungen auf: „Um den unrühmlichen Platz 1 ringen aktuell sicherlich der Fachkräftemangel und der Bürokratieaufwand. Hier kommen allein mit dem Klima-Zoll-CBAM als auch mit der Meldepflicht für Abwärme-Potenziale noch dieses Jahr zwei neue Blöcke hinzu.“ Aber auch die schnellen Veränderungen des rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmens für Klimaschutz-Investitionen machen ihr Sorgen: „Wenn im neuen Energieeffizienzgesetz etwa das gängige Energiemanagement nach ISO 50000 nicht berücksichtigt wird, wenn Förderprogramme wegen der Haushaltskrise von heute auf morgen ausgesetzt werden oder heute noch völlig unklar ist, wie ab 2026/7 der nationale CO2-Preis und der europäische Emissionshandel 2 zusammengebracht werden sollen.“

Nachhaltige Bürokratie schwer realisierbar
Auch für Felix Hülder stellt die Bürokratie nachhaltiges Unternehmertum vor große Herausforderungen: „Gerade in den Bereichen der Wind- und Wasserkraft sowie der Modernisierung von energieeffizienten und emissionsarmen Heizungen binden Anträge, Regelungen und Vorgaben viele Kräfte. Eine Verschlankung der Bürokratie würde aus unserer Sicht zu einer Steigerung der Attraktivität von nachhaltigen Innovationen in Unternehmen führen.“ Eine sanfte und nachhaltige Bürokratie sei für Igus-Mann Hülder aber nur sehr schwer zu realisieren, die Vorbilder seien international sehr rar gesät: „Vorne mit dabei sind die skandinavischen Länder wie Finnland, Schweden und Norwegen, auch die Niederlande sind weit.“ Dabei müsse man sich jedoch immer die anderen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern vor Augen halten. „Afrikanische Länder haben ganz andere Potenziale in der Solarenergie, die skandinavischen Länder in der Wasserkraft. Diese Situation ist mit Deutschland nicht zu vergleichen“, so Hülder.
