
Die KI-Revolution im Anlagenbau hat begonnen: Intelligente Assistenzsysteme, digitale Zwillinge und automatisierte Analysen transformieren Planung, Betrieb und Instandhaltung von Chemieanlagen grundlegend. (Bild: KI-generiert mit OpenAI)
- Nur die Minderheit der Ingenieure rechnet mit KI-Veränderungen – sie unterschätzen damit die strategische Tragweite.
- Die globalen Player der Chemie und des Anlagenbaus zeigen: KI ist längst produktiv im Einsatz.
- KI transformiert den Anlagenbau vom reaktiven Projekt zur datengetriebenen lernenden Organisation.
Engineering Summit Salon: KI im Anlagenbau - Use-Cases für mehr Produktivität
Auf dem 11. Engineering Summit können Sie erleben, wie führende Unternehmen aus der Branche KI-Projekte realisieren – von der eigentlichen Planung über das Servicegeschäft bis hin zu Einkauf und Vertrieb. In unserer Online-Veranstaltung Engineering Summit Salon am 14. Juli um 15.00 Uhr erhalten Sie bereits erste exklusive Einblicke, unter anderem in die noch unveröffentlichte Studie des VDMA zum Einsatz von KI im (Groß-) Anlagenbau.
Auf der Website des Engineering Summit Salon erfahren Sie mehr zu den Themen und zur Anmeldung.
Die deutsche Industrie hat ein Problem: Wenn weniger als ein Viertel der deutschen Ingenieurinnen und Ingenieure davon ausgeht, dass generative KI in den nächsten fünf Jahren spürbare Auswirkungen auf ihre tägliche Arbeit haben wird, steht eine unbequeme Frage im Raum: Verkennt ein wesentlicher Teil der deutschen Technikelite die Dynamik einer Technologie, die international längst zum strategischen Faktor avanciert ist?
Die aktuelle VDI-Studie „Auswirkungen generativer KI auf die Arbeit in Ingenieurberufen“ (Mai 2025) legt genau das nahe. Demnach rechnen nur 24 % der Befragten mit relevanten Veränderungen durch KI im eigenen Berufsbild – und das, obwohl die technologische Entwicklung weltweit mit hoher Geschwindigkeit voranschreitet.
Viele ordnen den KI-Einsatz weiterhin vor allem administrativen Tätigkeiten zu: Dokumentation, Protokollpflege, Kommunikation. Die eigentliche Ingenieursarbeit – etwa Konstruktion, Prozessplanung, Automatisierung – wird hingegen als zu komplex, zu spezifisch, zu kritisch für maschinelle Unterstützung angesehen.
Diese Wahrnehmung steht im deutlichen Widerspruch zu den Möglichkeiten, die generative KI heute bereits bietet – auch denen, die in der Studie klar benannt werden. Die Zurückhaltung hat Gründe: Ingenieure fordern Transparenz, Nachvollziehbarkeit und funktionale Verlässlichkeit. Und genau hier liegen die aktuellen Herausforderungen: Intransparente Algorithmen, unvollständige Datensätze und die Sorge vor fehlerhaften „KI-Halluzinationen“ bremsen die Integration in kritische Planungs- und Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig mangelt es an gezielter Aus- und Weiterbildung, die es Fachkräften ermöglichen würde, KI-Systeme sicher und sinnvoll zu nutzen.
Dabei ist die Empfehlung der VDI-Studie unmissverständlich: Die Zeit für einen strukturierten Kompetenzaufbau ist jetzt. Und ein Blick auf die Vordenker im Anlagenbau und in der Prozessindustrie zeigt: Sie war sogar bereits gestern.
Betreiber in der Prozessindustrie: Die Realität ist längst weiter
Denn während vielerorts noch über Möglichkeiten und Risiken diskutiert wird, haben führende Betreiberunternehmen der Prozessindustrie längst Tatsachen geschaffen. Unternehmen wie Covestro, BASF, Dow oder Linde treiben den KI-Einsatz mit konkreten Anwendungen und systematischen Strategien voran. Dabei geht es nicht um digitale Experimentierfelder, sondern um Effizienzgewinne, Qualitätssteigerung und höhere Anlagenverfügbarkeit in komplexen, sicherheitskritischen Produktionssystemen.
Covestro etwa verfolgt seit mehreren Jahren eine umfassende Digitalisierungsagenda mit starkem KI-Fokus. In der Produktionseinheit in Dormagen wurde 2024 eine Pilotanlage in Betrieb genommen, deren gesamte Prozessführung auf KI-Algorithmen basiert. Die Steuerung übernimmt ein selbstlernendes System, das auf Grundlage historischer Produktionsdaten und Echtzeitmessungen Entscheidungen trifft – von der Rohstoffdosierung bis zur Logistikabwicklung. Dabei steht nicht nur die Optimierung einzelner Parameter im Vordergrund, sondern ein gesamtheitlicher Regelkreis zur Maximierung der Anlageneffizienz. Ergänzt wird das durch prädiktive Analysen, etwa zur frühzeitigen Erkennung von Abweichungen in der Rezepturqualität oder zur Optimierung der Reinigungszyklen.
Auch BASF setzt KI-Technologien bereits im großindustriellen Maßstab ein. So nutzt das Unternehmen neuronale Netze zur Anomalieerkennung im Prozessverlauf und zur dynamischen Qualitätskontrolle – insbesondere dort, wo klassische Regelalgorithmen an ihre Grenzen stoßen. In mehreren Produktionsanlagen kommt ein KI-gestütztes Energiemanagementsystem zum Einsatz, das Lastprofile in Echtzeit analysiert und Vorschläge zur Verbrauchsoptimierung liefert. In der Praxis bedeutet das messbare Einsparungen bei Strom, Dampf und Kälte sowie eine Reduktion von CO₂-Emissionen – und damit einen unmittelbaren Beitrag zur Nachhaltigkeitsstrategie des Konzerns.
Dow wiederum hat KI in sein zentrales Prozessentwicklungssystem integriert: In Kombination mit digitalen Zwillingen lassen sich dort neue Produktvarianten simulieren, Prozessbedingungen optimieren und Skalierungsrisiken reduzieren – ein Ansatz, der zunehmend auch auf Bestandsanlagen übertragen wird. KI unterstützt hier nicht nur bei der Entscheidungsfindung, sondern auch bei der automatisierten Bewertung von Prozessdaten, der Priorisierung von Wartungsmaßnahmen und dem Benchmarking verschiedener Standorte.

Besonders weit fortgeschritten ist Linde mit dem Projekt AI-Plant-Control. Das System basiert auf Reinforcement Learning und ist in der Lage, in Echtzeit Steuerungsentscheidungen zu treffen – etwa bei der Regelung von Ventilen, Verdichtern oder Reaktortemperaturen. Ziel ist es, Anlagen kontinuierlich im optimalen Betriebsfenster zu halten – unter Berücksichtigung von Energieverbrauch, Produktqualität und Anlagensicherheit. Die Besonderheit: Das System lernt ständig weiter, indem es reale Prozessverläufe mit Zielwerten und Ergebnisdaten vergleicht. Gekoppelt wird AI-Plant-Control mit digitalen Zwillingen, die nicht nur den Ist-Zustand abbilden, sondern zukünftige Szenarien simulieren und Handlungsempfehlungen geben – etwa bei geplanten Fahrweisen, Anfahrvorgängen oder Produktumstellungen. Gemeinsam ist diesen Projekten der konsequente Praxiseinsatz von KI – nicht als ergänzendes Tool, sondern als integraler Bestandteil operativer Systeme.
Anlagenbauer setzen auf KI
Während die Betreiber das Ziel definieren, entwickeln die großen Anlagenbauer die Werkzeuge für eine effizientere Planung, Steuerung und Umsetzung von Investitionsprojekten. Unternehmen wie Technip Energies, Linde Engineering, Worley, Fluor oder Thyssenkrupp haben in den vergangenen Jahren systematisch KI-Strategien etabliert – und setzen diese in zunehmend konkreten Projekten entlang des EPC-Prozesses um.
Technip Energies nutzt KI bereits durchgängig im Projekt- und Baustellenmanagement. Mithilfe von Computer Vision und semantischer Analyse werden Baufortschritte automatisch dokumentiert, Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Zustand erkannt und Compliance-Verstöße identifiziert – zum Beispiel bei sicherheitsrelevanten Installationen. Drohnen und Kamerasysteme liefern die visuellen Daten, KI-Systeme übernehmen die strukturierte Auswertung und schlagen bei Unregelmäßigkeiten automatisiert Alarm. Gleichzeitig kommen digitale Zwillinge als lernfähige Simulationsumgebungen zum Einsatz, um Planungsänderungen in Echtzeit zu bewerten – etwa bei Lieferverzögerungen oder baubedingten Umplanungen. Der Einsatz solcher Technologien hat laut unternehmensinternen Angaben zu einer Reduktion der Dokumentationszeit um bis zu 20 % geführt, gleichzeitig sank die Fehlerquote bei der Fortschrittsbewertung signifikant.

Linde Engineering verfolgt einen pragmatischen KI-Ansatz mit Fokus auf modulare Tools. In der Angebotsphase kommen Natural-Language-Processing-Systeme zum Einsatz, um Kundenanforderungen aus Ausschreibungen automatisch zu analysieren, zu clustern und mit bestehenden Engineering-Lösungen abzugleichen. Dadurch verkürzt sich die Bearbeitungszeit komplexer Ausschreibungen spürbar. In der späteren Projektabwicklung helfen KI-Modelle bei der Vertragsanalyse, etwa indem sie kritische Klauseln automatisiert identifizieren und auf Projektrisiken hin bewerten – ein bedeutender Effizienzgewinn in der Angebots- und Claims-Phase.
Worley hat mit der „AI Factory“ eine skalierbare Plattform aufgebaut, die nicht nur im Engineering greift, sondern auch im Vertrags- und Wissensmanagement. Auf Basis früherer Projekte lassen sich mithilfe von Machine Learning typische Risiken, Planabweichungen oder Kostentreiber frühzeitig identifizieren. Darüber hinaus unterstützt KI die Projektleiter beim Ressourcenmanagement, indem Arbeitsfortschritte, Materialverfügbarkeiten und Personalzuweisungen in dynamischen Dashboards zusammengeführt und auf Zielerreichung hin bewertet werden. Die Entscheidung erfolgt schneller – und besser fundiert.
Bechtel, einer der weltweit führenden EPC-Contractor, nutzt KI unter anderem für das automatisierte Baustellenmonitoring. Im Großprojekt „Cutlass Solar“ in Texas wurde ein KI-gestütztes System eingeführt, das Bauaktivitäten anhand von Drohnenvideos analysiert, Materiallieferungen erfasst und Verzögerungen in Echtzeit erkennt. Die Technologie identifiziert nicht nur den Baufortschritt, sondern gleicht ihn automatisiert mit dem Projektplan ab – inklusive Abweichungsanalyse und Alarmfunktion. Das Resultat: eine deutlich verbesserte Termintreue sowie eine um 12 % gesteigerte Baustellenproduktivität im Vergleich zu vorherigen Projekten. Darüber hinaus setzt Bechtel auf KI bei der Auswertung von Subunternehmerleistungen und zur Optimierung von Ausschreibungen im Procurement. Ziel ist es, aus der wachsenden Datenmenge operative Vorteile zu generieren – und Projekte resilienter, schneller und kosteneffizienter abzuwickeln.
Fluor nutzt IBM Watson für die Konsolidierung globaler Projektdaten. Die Plattform analysiert Verträge, technische Unterlagen, Genehmigungen und Change Requests automatisiert – unabhängig von Sprache oder Format. In laufenden Projekten ersetzt ein KI-basiertes Frühwarnsystem zunehmend die klassische Meilensteinlogik: Statt reaktivem Reporting ermöglicht es eine vorausschauende Steuerung – etwa durch die Analyse von Bauabläufen, Lieferterminen oder Risikovermerken in internen Notizen. Auch für die Baustellenkoordination wird KI eingesetzt: durch automatisierte Fortschrittsvergleiche, die Integration von Sensordaten (zum Beispiel Wetter, Logistikstatus) und Prognosen zur Auslastung von Gewerken.
Und auch Thyssenkrupp Uhde prüft derzeit den Einsatz generativer KI im Angebotswesen: Ziel ist es, repetitive Anteile von Angebotsunterlagen – zum Beispiel technische Beschreibungen oder Variantenvergleiche – automatisiert erstellen zu lassen. Perspektivisch soll die KI auch projektübergreifend lernen: Welche Angebote führen zum Zuschlag? Welche Formulierungen bergen juristische Risiken? Welche Variantenkonzepte überzeugen bestimmte Kundengruppen?
Gemeinsam ist all diesen Initiativen: KI wird nicht nur als Werkzeug verstanden, sondern als struktureller Bestandteil eines datenbasierten Projekt- und Anlagenmanagements. Aus Erfahrungswissen wird algorithmisch nutzbares Wissen. Aus reaktiver Projektsteuerung wird ein proaktiver, lernender EPC-Prozess.
In der Anlagenplanung hat derweil der KI-Einsatz bei Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagrammen (P&ID) das Zeug zum Gamechanger: Die „dumme“ Zeichnung wird so digitalisiert und per KI-Assistenten beschrieben, dass sie zum Dreh- und Angelpunkt der Anlage über den gesamten Lebenszyklus wird. Mit gravierenden Auswirkungen auf die Arbeit der Planungs- und Betriebsingenieure.
Fazit: Vom Werkzeug zum Gamechanger
Die Rolle von KI im Anlagenbau wandelt sich grundlegend. Was vor wenigen Jahren noch als Technologie der Zukunft galt, ist heute in führenden Unternehmen gelebter Alltag. Ob bei der Steuerung komplexer Prozesse, im Engineering oder in der Projektabwicklung – KI hat begonnen, die Regeln zu verändern. Sie schafft Geschwindigkeit, hebt Wissen, vermeidet Fehler – und wird dabei zunehmend zu einem unverzichtbaren Werkzeug im Werkzeugkasten der Ingenieure.
Doch dieser Wandel erfordert strategischen Mut, technisches Know-how und die Bereitschaft, etablierte Prozesse zu hinterfragen. Wer KI als Werkzeug versteht und nicht als Bedrohung, wird profitieren – zu diesem Ergebnis kommt auch die VDI-Studie. Wer wartet, riskiert den Anschluss. Die KI-Revolution im Ingenieurwesen und im Anlagenbau mag sich leise vollziehen. Aber sie wartet nicht.
Themenblick auf dem 11. Engineering Summit: Wie künstliche Intelligenz den Anlagenbau voranbringt
Der Engineering Summit 2025 wird zum Pflichttermin für alle, die den Einsatz von KI im industriellen Anlagenbau nicht nur diskutieren, sondern konkret gestalten wollen. Am ersten Veranstaltungstag am 4.11. in Darmstadt steht ein fokussierter Themenblock ganz im Zeichen realer Anwendungen – entlang des gesamten Lebenszyklus industrieller Großanlagen.
Erleben Sie, wie führende Unternehmen aus der Branche KI-Projekte realisieren – von der Planung über das Servicegeschäft bis hin zu Einkauf und Vertrieb. Im Mittelpunkt stehen echte Use Cases, technologische Erfahrungen und Lessons Learned.
Diskutieren Sie mit Experten, Projektverantwortlichen und Entscheidern über Nutzen, Herausforderungen und Umsetzungspfade – jenseits von Buzzwords und Hype.
Jetzt anmelden und dabei sein: 4. bis 5.11.2025 in Darmstadt. www.engineering-summit.de