
(Bild: DECHEMA e.V. / Markus Püttmann)
Wenn Robert Habeck am 10. Juni per Video-Schalte die Achema eröffnet, wird er sich gut in die Situation seiner Zuhörer in Frankfurt hineinversetzen können. Denn viele der aktuellen Herausforderungen und Sorgen teilt der Wirtschaftsminister mit der gesamten Prozessindustrie: die zunehmende Instabilität und zum Teil protektionistische Tendenzen in der Handelspolitik, die notwendige Transformation zu mehr Nachhaltigkeit sowie die damit verbundene Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft, die Sicherheit der Energie- und Rohstoffversorgung.
Zweifellos: Die Prozessindustrie hat derzeit mit gleich mehreren „Umbrüchen“ zu tun: Die „grüne“ Transformation ist das mit Abstand anspruchsvollste Projekt in ihrer Geschichte, wobei Wasserstoff zum Gamechanger werden könnte. Die Digitalisierung gilt vielerorts als Schlüssel zur Innovation in der ganzen Branche – angefangen beim Großanlagenbau bis hinein in den Laborbereich. Lieferkettenschwankungen und geopolitisches Auseinanderdriften forcieren zudem flexible und regionale Anlagenprojekte. Um für diese vielfältigen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft konkrete Lösungsansätze aufzuzeigen, reagiert die Achema 2024 mit gleich fünf Innovationsthemen sowie einer Sonderschau. Diese „Querschnittsthemen“ bündeln und verbinden die über die Hallen verteilten insgesamt 12 Ausstellungsgruppen.
Process Innovation: Anlagen zukunftssicher machen
Verfahrenstechnische Innovationen sind seit jeher das Herzstück der Achema. Heute steht die Prozesstechnik an einem Scheideweg: Während neue Investitionen in „grüne“ Technologien zunehmen, wird es immer komplexer, den Betrieb aufrechtzuerhalten und installierte Anlagen wettbewerbsfähig zu steuern. Das Thema spiegelt sich in quasi allen Hallen wider, insbesondere aber in den Hallen 4, 5 und 6, in denen die Ausstellungsgruppen der mechanischen und thermischen Verfahren zu Hause sind, sowie bei den Pumpen und Armaturen in Halle 8 oder in Halle 9 mit dem Schwerpunkt Anlagenbau. Ergänzt wird dies durch das Programm auf der Process Innovation Stage in Halle 9.0 – dort geht es um Themen wie Elektrifizierung, Flexibilisierung und Biotechnologisierung von chemischen Prozessen sowie Beiträge zu smarten digitalen Technologien im Anlagenbau und -betrieb.
Pharma Innovation: Neues aus der Pharmatechnik erleben
Die Pharmaindustrie ist nicht nur von der wirtschaftlichen Entwicklung ein Sonderfall in der chemischen Industrie, auch auf der Achema ist die Pharmatechnik mit Schwerpunkt in den Hallen 3 und 4.1 der am schnellsten wachsende Bereich: In dem Maße, wie neue Forschungs- und Produktionsmethoden entwickelt werden und weltweit neue Standorte entstehen, müssen die bestehenden Verfahren immer höheren Anforderungen und Maßstäben genügen. Neben vielen anderen Pharma-Innovationsthemen aus der Pharmaproduktion und -verpackung steht 2024 vor allem die biopharmazeutische Produktion im Fokus – so auch die Pharma Innovation Stage in Halle 4.1.

Lab Innovation: Wo Wertschöpfung beginnt
Das Labor ist sowohl Entstehungsort von Innovationen als auch Hüter der Produktqualität. Mehr denn je bestimmt sich der Erfolg im Labor durch die im Labor und an den Schnittstellen zu Technik und Produktion eingesetzten Technologien und Standards. Neben Gestaltung, Planung, Bau und Management von Laboren werden auch fortschrittliche Bioanalytik und pharmazeutische Anwendungen beleuchtet. Darum drehen sich auch die Beiträge auf der Lab Innovation Stage in Halle 12.0. Zusätzlich dazu gibt es eine Aktionsfläche rund um das digitalisierte, miniaturisierte und automatisierte Labor der Zukunft. Neben innovativer Bioanalytik und (bio-)pharmazeutischen Anwendungen werden auch Nachhaltigkeit sowie Planung, Bau, Einrichtung und Betrieb von Laboren intensiv beleuchtet.
Digital Innovation: Die digitale Transformation voranbringen
Die Digitalisierung und dadurch entstehende Innovationen und Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz, Autonome Systeme, Digitale Zwillinge und nicht zuletzt auch Cybersecurity sind weiterhin ein Dauerbrenner auf der Agenda der Prozessindustrie. Dabei nimmt die Komplexität der Themen eher zu als ab: IT vs. OT, Konnektivität vs. Sicherheit oder intelligent vs. intelligent genug – die Herausforderung für Betreiber besteht darin, die richtige Konfiguration für ihr Unternehmen zu finden. Die Themen Automatisierung und Digitalisierung konzentrieren sich vor allem in Halle 11. Dort, in Halle 11.0, will auch die Digital Innovation Stage einen umfassenden und praxisnahen Überblick über zentrale Digitaltrends und ihren Einsatz in der Prozessindustrie bieten.
Green Innovation: Auf dem Weg zur nachhaltigen Transformation
Der produktionsintegrierte Umweltschutz, das effiziente industrielle Wassermanagement sowie die Integration von molekularer und industrieller Biotechnologie sind inzwischen ein wichtiger Bestandteil der Achema geworden. Doch Green Innovation bedeutet mittlerweile auch, die Herausforderung der klimaneutralen Produktion in der Prozessindustrie zu lösen sowie Themen rund um Kreislaufwirtschaft, ESG und nachhaltige Investitionen anzugehen. Die klimaneutrale Produktion ist dabei die größte Transformationsaufgabe in der Geschichte der Chemieindustrie und erfordert teilweise einen Technologiesprung im Apparate- und Anlagenbau. Diese Themen stehen auch auf der Green Innovation Stage in Halle 6.0 im Fokus.
Sonderschau Wasserstoff
Eng verbunden mit der „grünen“ Transformation ist auch die Skalierung der Wasserstoffproduktion und -infrastruktur – sie ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen der Energiewende und das Erreichen der Klimaziele. Die Achema und ihre Aussteller bieten daher eine große Bandbreite an Lösungen zu Erzeugung, Handhabung, Transport und Speicherung von Wasserstoff. So widmet sich sogar eine eigene Sonderschau in Halle 6.0 diesem Thema. Die Hydrogen Innovation Stage, ebenfalls in Halle 6.0, deckt dabei die Aspekte ab, die für die Prozessindustrie relevant sind: rasche Skalierung von Produktion und Infrastruktur, Power-to-X, industrielle Anwendungen und Sektorenkopplung.
Noch nicht auf Vor-Corona-Niveau, aber wieder größer als 2022
Der Fokus auf diese Trendthemen wird möglicherweise auch dazu beigetragen haben, dass die Achema sich wieder im Aufwind befindet. 2.800 Aussteller aus mehr als 50 Nationen erwartet die Dechema Ausstellungs-Gesellschaft in diesem Jahr auf dem Frankfurter Messegelände. Damit ist zwar das Vor-Pandemie-Niveau noch nicht wieder erreicht – 2018 waren es vier Hallen mehr und insgesamt über 3.700 Aussteller –, gegenüber 2022 steht aber ein deutliches Plus: „Im Vergleich zur Vorveranstaltung haben sich insgesamt über ein Viertel mehr Aussteller angemeldet, und auch die Ausstellungsfläche ist wieder um knapp ein Drittel größer als zuletzt. Wir sind in weiten Teilen ausgebucht“, erklärt Dr. Björn Mathes, Geschäftsführer der Dechema Ausstellungs-Gesellschaft.
Sogar absolute Rekordzahlen vermeldet das Vortragsprogramm (die wichtigsten Programmpunkte finden Sie in unserem Messeguide ab S. 72): In bis zu 25 parallelen Strängen warten über 900 Vorträge, Diskussionsrunden und Workshops von mehr als 1.000 Referenten auf die Besucher. Bleibt nur zu abzuwarten, ob diese wieder so zahlreich nach Frankfurt strömen wie vor der Pandemie. Zu wünschen wäre es der Achema – allein schon wegen der großen Herausforderungen und spannenden Themen, die vor uns liegen.