Zur Person:
Lisa Schmitz ist seit 10 Jahren bei Hays für die Vermittlung von Fach- und Führungskräften im Großanlagenbau und der chemischen Industrie zuständig. Fast alle Mittelständler und Konzerne aus der Chemie in NRW arbeiten mit dem Personaldienstleister zusammen.
CT: Besteht in der Chemieindustrie Ihrer Erfahrung nach ein Fachkräfte- oder ein Arbeitskräftemangel?
Schmitz: Wir bei Hays sind auf Fach- und Führungskräfte spezialisiert, deswegen bemerken wir den Mangel vor allem in diesem Bereich. Wir kriegen aber von Großkunden mit, dass diese uns händeringend für Arbeitskräfte mit allen Qualifikationsniveaus anfragen. Ich glaube, dass bei allen Ausbildungsberufen eine extrem hohe Nachfrage herrscht, weil viel weniger Leute bereit sind, eine Ausbildung zu machen. Vielleicht müsste man für Ausbildungen einfach ein bisschen mehr ins Marketing gehen.
CT: Gibt es gängige Fehler, die viele Unternehmen bei der Suche nach Arbeitskräften machen?
Schmitz: Ja, da gibt‘s einige Sachen, die Unternehmen optimieren könnten. Stellenanzeigen sind immer noch sehr allgemein, es suchen alle die eierlegende Wollmilchsau. Man muss am besten fünf Sprachen fließend können und 35 Jahre alt mit 20 Jahren Berufserfahrung sein – um es jetzt mal überspitzt zu sagen. Das heißt, wir schauen uns erst mal an, was könnte der Kern der Sache sein, und gehen mit unseren Kundenunternehmen ins Gespräch: Was wollen sie wirklich? Was ist unabdingbar? Und wo sind sie bereit, Abstriche zu machen?
Sind sie beispielsweise bereit, in junge Leute zu investieren? In Absolventen, die vielleicht noch keine Berufserfahrung haben, aber die gerade den Einstieg ins Berufsleben suchen? Wir schlagen Unternehmen auch vor, ob ihnen jemand, der sehr erfahren ist, auch eine Hilfe sein kann. Da sind Modelle denkbar, dass eine Person über ihren Ruhestand hinaus in Teilzeit weiterarbeitet und beispielsweise jemand Jüngeres einarbeitet. Das sind Modelle, die wir vorstellen, denn man erlebt immer mehr, dass die Babyboomer-Generation in den Frühruhestand geht und das Know-how dadurch abwandert.
Eine weitere Frage von uns ist, ob es Leute sein müssen, die fließend deutsch sprechen. Wäre auch jemand in Ordnung, der noch nicht perfekt Deutsch spricht, aber aufgrund seiner Qualifikationen geeignet ist und durch die Arbeit dann die Möglichkeit hat, sich besser zu integrieren? Oder jemand, der kein perfektes Englisch spricht? Braucht man auf jeder Baustelle perfektes Englisch oder reicht da eigentlich – wir nennen es immer liebevoll so – Baustellen-Englisch?
Ich erlebe, dass diejenigen Unternehmen in der Stellenbesetzung erfolgreich sind, die sich die Kandidaten auf dem Bewerbermarkt angucken und sich überlegen, wohin diese passen. Das heißt, die Unternehmen kehren den Ansatz um und sagen nicht, das ist meine Anfrage und dafür brauche ich eine Person, die zu 100 Prozent passt, sondern sie schauen sich den Kandidaten an und sagen dann, wohin passt er aufgrund seiner Fähigkeiten.
Hays bietet sowohl Arbeitnehmerüberlassung als auch Direktvermittlung an, und ich persönlich bin für die Freelancer zuständig. Wenn ein Unternehmen einen besonderen Bedarf hat, könnte ein Freelancer die Lösung sein. In der Chemieindustrie sind Projekte etwa drei bis fünf Jahre lang. Da würden wir sagen: Für drei bis fünf Jahre ist der Freelancer an Bord, der das Projekt bis zum Ende betreut und danach wieder geht. Parallel könnte zum Beispiel ein jüngerer Projektleiter eingearbeitet werden, der hinterher diese Lücke schließt.
Wichtig ist auch die Prozessgeschwindigkeit. Viele Besetzungsprozesse dauern einfach zu lange. Wenn Kandidaten verfügbar sind, muss schnell agiert werden. Dieses Umdenken ist auch noch nicht bei allen angekommen. Viele Unternehmen denken noch immer „die wollen ja was von uns“ – also einen Job oder ein Projekt, aber eigentlich will das Unternehmen genauso etwas vom Bewerber. Ich glaube bei mindestens 30 % der geplatzten Besetzungen spielt dieser zeitliche Faktor eine Rolle. Oder es kommt kein Feedback, das ist nicht sonderlich wertschätzend und kein gutes Aushängeschild.
Fachkräfte-Forum von CHEMIE TECHNIK und Powtech
Dass es einen Mangel an Fach- und Arbeitskräften in fast allen Branchen gibt, ist längst klar. Darum wollen wir gemeinsam mit unseren Referentinnen und Referenten auf der Powtech über konkrete Lösungsansätze sprechen – schauen Sie vorbei!
Guter Rat muss nicht immer teuer sein. Wenn Sie auf der Powtech 2023 sind, schauen Sie doch am Donnerstag, den 28. September, beim Expertenforum Stagetalks I in Halle 4 am Stand 4 – 100 vorbei. Denn das Thema Fachkräftemangel geht alle etwas an, schließlich bleibt die Arbeit im schlechtesten Fall an den vorhandenen Mitarbeitenden hängen oder kann schlichtweg gar nicht erledigt werden. Demnach bedroht der Mangel an Fachkräften die Produktivität und Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie. Wie Unternehmen aus den Powtech-Branchen qualifizierte Arbeitskräfte und junge Talente gewinnen sowie halten können, besprechen wir daher in unserem Fachkräfte-Forum.
Auf dem Podium diskutieren unter anderem:
- Lisa Schmitz, Teamleiterin bei der internationalen Personalberatungsgesellschaft Hays
- Thomas Reichenzeller, Director Human Resources beim Maschinen- und Anlagenbauer Hosokawa Alpine
- Daniel Tappe, Student und wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Partikelverfahrenstechnik der Uni Paderborn
Das Wichtigste in Kürze:
- Was? Podiumsdiskussion zum Fachkräftemangel
- Wo? Expertenforum Stagetalks I Halle 4, Stand 4 – 100 auf der Powtech in Nürnberg
- Wann? Donnerstag, 28. September 2023, 14 – 15 Uhr
CT: Sehen Sie Unterschiede bei der Besetzung von Stellen in der Chemiebranche im Vergleich zu anderen Industrien? Und falls ja, woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?
Schmitz: Wir sehen, dass die Fähigkeiten viel spezieller sind. Die Branche ist sehr klein, und es gibt nicht wahnsinnig viele artverwandte Branchen, wo man gucken könnte. Es eignen sich beispielsweise Leute, die aus dem Kraftwerksbereich kommen und auf der Suche nach neuen Herausforderungen sind, weil in ihrer Branche nicht mehr viel passiert außer Rückbau. Auch unter Arbeitnehmenden aus dem Energiebereich generell oder dem Großanlagenbau lohnt es sich, zu suchen. Im Chemieanlagenbau ist alles groß, es ist alles dreckig, es ist alles laut, es sind alles Gefahrstoffe, und damit grenzt sich diese Branche von den anderen ab. Deswegen ist es da auch schwieriger, Leute zu finden. Außerdem gibt es viele Positionen, die es in anderen Bereichen gar nicht gibt.
CT: Die nächste Frage haben Sie schon in Teilen beantwortet: Wo suchen Sie Arbeitskräfte? In den klassischen Gruppen wie jungen Berufsanfängern, Arbeitnehmern mit Berufserfahrung bis 40 Jahre? Oder auch darüber hinaus, also Ältere oder Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Schmitz: Wir haben das Programm Talents +, wofür wir direkt Absolventen ansprechen und versuchen, ihnen den Berufseinstieg in coole Unternehmen zu ermöglichen. Genauso haben wir ein Programm für Experts +, also für sehr erfahrene Leute, die vielleicht sagen, ich will nicht in den Frühruhestand oder ich fühle mich noch nicht als Rentner. So kann man diese Menschen und ihr Know-how erhalten. Wir haben ein Recruiting in Mannheim, das nur dafür zuständig ist, neue Leute für unsere Datenbank anzusprechen. Die sind auf Messen, auf Events, an Hochschulen und auf Fachtagungen präsent und versuchen dort Kandidaten für uns zu gewinnen. Außerdem arbeiten wir mit öffentlichen Datenbanken, und was mir persönlich sehr viel wert ist, mit Empfehlungen.
Wir verkaufen keine Produkte, sondern arbeiten mit Menschen. Dementsprechend ist mir wichtig, dass sowohl meine Kunden als auch meine Kandidaten oder meine Freelancer oder unsere Arbeitnehmerüberlassungskräfte sich wohlfühlen. Wenn das der Fall ist, sagen die auch gerne in ihrem Bekanntenkreis Bescheid und dadurch wächst unser Netzwerk.
Es bewerben sich auch viele Menschen direkt bei uns. Zum Beispiel bei mir persönlich über LinkedIn oder über die Stellenausschreibungen oder Projektanfragen auf unserer Homepage. Darüber erhalten wir ebenfalls Anfragen von Leuten, die sich in die Datenbank aufnehmen lassen wollen – für die Bewerbenden ist das alles kostenfrei.
CT: Wo suchen Arbeitskräfte in der Chemiebranche nach Stellenausschreibungen? Stellen Sie einen Unterschied zwischen verschiedenen Generationen fest?
Schmitz: Das ist schwierig zu sagen. Konservativ ist die Branche eigentlich nicht. Man merkt einen starken Tatendrang – trotz hoher Energiepreise und schwieriger Projektlage. Gerade die Themen grüne Energie und Nachhaltigkeit sind etwas, was die Chemieindustrie ganz vorne mit treibt. Und das zeigt, sie ist nicht nur konservativ, sie ist auch innovativ. Es gibt diese Lücke zwischen Start-ups, die Wasserstoffprojekte machen, und den großen Unternehmen, die schon immer Arbeitgeber Nummer eins in Deutschland waren.
Und es macht einen Unterschied, wie alt die Leute sind, die auf Jobsuche sind. Die Jüngeren sagen schon: Ich lasse mich gerne ansprechen und lasse die Arbeit für mich machen. Die erfahrenen Leute, die sich mit Mitte 50 überlegen, hier bei meinem Unternehmen komme ich nicht weiter oder es werden Stellen abgebaut, gehen oftmals den klassischen Weg. Die suchen dann über die Homepages der Unternehmen, die sie kennen und bewerben sich dort. Bei den jungen Leuten läuft wirklich ganz viel über Social Media wie Tiktok oder Instagram.
CT: Haben Sie Tipps, was Unternehmen der Chemiebranche unabhängig von der konkreten Stellenausschreibung bei der Werbung von Arbeitskräften beachten sollten? Beispielsweise Forderungen, die aktuell viele Arbeitnehmende, mit denen Sie in Kontakt sind, haben, die das Unternehmen erfüllen sollte, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.
Schmitz: Ich war jetzt drei Jahre in Elternzeit und bin erst im Oktober zurückgekommen, und seitdem hat sich schon extrem viel gewandelt – durch Corona und dadurch, dass alles digital geworden ist. Der Wunsch nach Flexibilität ist extrem. Alle Leute wollen flexibler entscheiden, wo, wann und wieviel sie arbeiten. Was sind die Rahmenbedingungen? Wir haben jetzt immer mal wieder Leute, die sagen, ich habe mir während Corona einen Hund gekauft – kann ich den mit ins Büro nehmen? Letzte Woche hatte ich ein Interview mit einer Einkaufsleiterin von einem großen Chemiekonzern, da war ich auf dem Spielplatz mit meinen Kindern, beide in der Schaukel, und ich habe mit ihr gesprochen. Vor vier Jahren war das undenkbar! Von dieser Flexibilität kommen wir auch nicht wieder weg. Die Benefits, die mit Corona kamen, sind jetzt eine Grundvoraussetzung. Gerade die nachstrebende Generation setzt sich viel mehr mit dem Thema Benefits auseinander. Gefragt sind zum einen persönliche Benefits, zum anderen das soziale und nachhaltige Engagement des Unternehmens. Das ist ein großer Faktor, den ich früher in Vorstellungsgesprächen nicht so oft gehört habe. Wenn wir Arbeitnehmerüberlassungskräfte vermitteln, wollen die gerne wissen, was tut das Unternehmen? Wie positioniert es sich? Spielen Klimaschutz, Dekarbonisierung und Nachhaltigkeit auch fernab von politischen und gesetzlichen Vorgaben eine Rolle?
CT: Wenn Sie mit Ansprechpartnern von Unternehmen sprechen, die gerade Leute suchen, merken Sie dann, dass die Ihre Tipps annehmen oder stoßen Ihre Vorschläge auch auf Unverständnis?
Schmitz: Es ist unterschiedlich. Es gibt schon manche, die sagen, wir haben es immer so gemacht, und die Leute müssen irgendwie zu uns passen. Aber es gibt auch viele, die dankbar sind, von unserer Erfahrung profitieren zu können. Wir weisen die Unternehmen beispielsweise darauf hin, dass ein Kandidat an einer bestimmten Stelle im Gespräch ausgestiegen ist, als der Ansprechpartner vom Unternehmen gesagt hat, dass es ganz starre Arbeitszeiten zwischen acht und 16 Uhr gibt oder dass kein Homeoffice möglich ist. Dann hören wir zwar von den Ansprechpartnern im Unternehmen manchmal, dass die Arbeitszeiten aufgrund der Unternehmenspolitik oder der Infrastruktur noch nicht anders möglich sind, aber sie versuchen, die Tipps schon zu beherzigen. Auch weil sie merken, dass es nicht anders geht. Nicht mehr.