Abstract Explosion of Digital Cubes Breaking Through a Wall

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Peter Zornio, Chief Technology Officer, Emerson
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Peter Zornio ist Chief Technology Officer bei Emerson. In dieser Funktion leitet er die Innovationsstrategie, die allgemeine Produkt-Roadmap, die Technologie- und Portfolioausrichtung, die zentralen F&E-Funktionen sowie die Industriestandards im gesamten Unternehmen. Zornio ist zudem Mitglied des Office of the Chief Executive, das die Entwicklung und Steuerung der globalen Geschäftsstrategien des Unternehmens unterstützt.

Don Fregelette, Vice President of Chemical Industry  Marketing, Emerson
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Don Fregelette ist Vice President of Chemical Industry Marketing bei Emerson und leitet das globale Chemiegeschäft des Unternehmens im Bezug auf Mess- und Analysentechnologie. Sein Team entwickelt und liefert Lösungen für die gesamte Branche, wobei der Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit, digitaler Transformation und Sicherheit liegt. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Chemieingenieurwesen der University of Buffalo und einen MBA-Abschluss in Engineering/Industrial Management des Rochester Institute of Technology.

CT: Welche Rolle spielt die Namur für Emerson als US-amerikanisches Unternehmen?
Don Fregelette: Die Namur ist für uns von zentraler Bedeutung, insbesondere wegen ihres Einflusses auf Automatisierungsstandards. Deutsche Unternehmen wie BASF, Evonik oder Covestro setzen weltweit Maßstäbe, die die gesamte Branche weltweit prägen. Daher ist es entscheidend, eng mit Namur zusammenzuarbeiten und die Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Die Standards, die in Europa entstehen, haben weitreichende Auswirkungen auf den globalen Markt. Unser Ziel ist es, frühzeitig Teil dieser Entwicklungen zu sein und technologische Trends aktiv mitzubestimmen.

CT: Ihr Konzept „Boundless Automation“ erinnert an Ziele, die auch die Namur verfolgt, wie beispielsweise die Namur Open Architecture (NOA). Welche Grenzen sehen Sie in der aktuellen Automatisierungsarchitektur und wie wollen Sie diese überwinden?
Peter Zornio: Ein Problem ist das Purdue-Modell, das für die Sicherheit heutzutage unumgänglich ist, jedoch den Datenfluss einschränkt. Daten bewegen sich oft nur in eine Richtung und stoßen an Systemgrenzen. Dies erschwert die Verfügbarkeit, Geschwindigkeit und Integration von Daten – und genau hier setzt Boundless Automation an. Es geht darum, Silos aufzubrechen und die verschiedenen Systeme wie Prozesskontrolle, Sicherheits- und Wartungssysteme effizient miteinander zu vernetzen. Unsere Vision ist, dass alle relevanten Daten für die Entscheidungsfindung in Echtzeit zur Verfügung stehen und nicht länger durch isolierte Systeme fragmentiert sind. Dies erfordert nicht nur technologische Innovationen, sondern auch einen kulturellen bzw. organisatorischen Wandel in der Industrie.

CT: Es geht also sowohl um eine technologische Herausforderung als auch um eine organisatorische?
Don Fregelette: Ja, es geht um beides. Technologie ist ein Schlüsselfaktor, aber Organisationen müssen auch umdenken. Traditionell waren OT (Operational Technology) und IT strikt getrennt. Heute sehen wir eine zunehmende Integration. IT-Experten hinterfragen bestehende OT-Praktiken und bringen neue Ansätze ein. Das erfordert auch ein Umdenken auf der Management-Ebene. In vielen Unternehmen bestehen noch immer Barrieren zwischen einzelnen Bereichen, die durch bessere Kommunikation und engere Zusammenarbeit überwunden werden müssen. Unternehmen, die es schaffen, eine durchgängige IT-OT-Integration zu realisieren, werden langfristig effizienter und wettbewerbsfähiger sein.

CT: Welche Herausforderungen sehen Sie in puncto Cybersicherheit? Oft werden Barrieren zwischen Systemen gerade aus Sicherheitsgründen errichtet.
Peter Zornio: Hier setzen wir auf das Konzept „Zero Trust“. In der klassischen Netzwerksicherheit gibt es oft segmentierte Bereiche mit festgelegten Sicherheitsstufen. Das Problem: Sobald jemand innerhalb eines Segments Zugang hat, kann er sich frei bewegen. Zero Trust bedeutet, dass jede Aktion individuell autorisiert werden muss. Das erfordert einen grundsätzlich neuen Ansatz in der Entwicklung von Automatisierungssystemen und würde die Abhängigkeit von der Netzwerkarchitektur zugunsten der Sicherheit einschränken. Sicherheit muss von Anfang an in die Architektur integriert sein. Wir verfolgen hier den Ansatz „Secure by Default“, bei dem Systeme von Beginn an auf maximale Sicherheit ausgelegt sind und nur nach Bedarf freigeschaltet werden. Das reduziert Risiken und erleichtert die Verwaltung komplexer Sicherheitsinfrastrukturen.

CT: Ihr Konzept ist leicht für neue Anlagen umsetzbar. Aber wie sieht es mit bestehenden Anlagen aus, insbesondere in Europa?
Don Fregelette: Das ist ein zentraler Punkt. Viele europäische Chemieparks haben jahrzehntealte Strukturen. Hier helfen Technologien wie kabellose Sensorik und modulare Systeme die schrittweise Integration neuer Technologien zu ermöglichen. Charms I/O oder Edge-Computing-Lösungen ermöglichen eine flexible Anbindung an bestehende Automatisierungssysteme ohne eine komplette Neugestaltung. Für Betreiber ist es essenziell, bestehende Systeme schrittweise zu modernisieren, ohne den Betrieb zu unterbrechen. Wireless- und berührungsfreie Technologien sind in der Lage, eine einfache und kostengünstige Methode zur Netzwerkerweiterung anzubieten.  Dies ist insbesondere bedeutend für hybride Ansätze, bei denen moderne Technologien bestehende Systeme ergänzen und langfristig ablösen.

CT: Gibt es eine Roadmap für Boundless Automation? Wann ist das Konzept vollständig implementiert?
Peter Zornio: Es gibt keine starre Deadline. Es ist vielmehr eine kontinuierliche Entwicklung. Einzelne Elemente wie Wireless-Technologien oder Edge Computing sind bereits verfügbar. Weitere Innovationen, wie erweiterte APL-Technologien, kommen in den nächsten Jahren hinzu. Ziel ist es, dass Anwender schrittweise von den neuen Technologien profitieren, ohne ihre bestehende Infrastruktur abrupt ersetzen zu müssen. Der Markt befindet sich in einem stetigen Wandel, und wir passen unsere Lösungen entsprechend an. Unser Ansatz ist es, bestehende Kunden nicht vor die Wahl eines kompletten Systemwechsels zu stellen, sondern ihnen eine evolutionäre Weiterentwicklung zu ermöglichen. Wie Sie bereits sagten, könnten bestehende Einrichtungen die Vorteile der kompletten Suite sofort nutzen.

CT: Wie sieht eine „boundless automated“ Chemieanlage in zehn Jahren aus?
Peter Zornio: Es wird zukünftig weniger Personal vor Ort benötigt, aber Menschen bleiben unverzichtbar. Die Automatisierung wird durch KI, Augmented Reality und Assistenzsysteme unterstützt. Wartungs- und Betriebsprozesse werden stärker durch vorausschauende Analysen optimiert. Nachhaltigkeit, Flexibilität und Effizienz stehen im Fokus. Gleichzeitig werden sich klassische Steuerungssysteme mit Cloud- und Edge-Technologien verzahnen, um schnelle Reaktionen und eine verbesserte Datennutzung zu ermöglichen. Die Steuerung wird intuitiver, Maschinen werden durch künstliche Intelligenz unterstützt, und das Personal wird in Echtzeit mit relevanten Informationen versorgt. Langfristig wird dies zu einer sichereren und effizienteren Produktion führen.

CT: Sehen Sie irgendwann eine vollautonome Chemieanlage?
Don Fregelette: Wenngleich einige Branchen und Prozesse für den autonomen Betrieb besser positioniert sind, fällt es schwer, sich komplett autonome Anlagen in komplexen Produktionsumgebungen wie beispielsweise bei BASF in Ludwigshafen vorzustellen. Chemieprozesse sind zu individuell und erfordern oft manuelle Eingriffe. Aber: Automatisierung wird einen teilautonomen Betrieb ermöglichen und somit vieles erleichtern sowie Entscheidungsprozesse optimieren. Die Anlagen werden sicherer, effizienter und nachhaltiger.

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