Die eigenen Sanktionen brechen oder den Gasimport stoppen? Vor dieser Frage stehen Politiker in Europa und Deutschland angesichts der Forderung des russischen Präsidenten, dass für Öl- und Gaslieferungen künftig nur noch Rubel akzeptiert werden. Vor allem Deutschland befindet sich bei der Frage zwischen Baum und Borke. Die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hatte Anfang März verbreitet, dass „auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre.“ Die eigenen Sanktionen brechen oder den Gasimport stoppen? Vor dieser Frage stehen Politiker in Europa und Deutschland angesichts der Forderung des russischen Präsidenten, dass für Öl- und Gaslieferungen künftig nur noch Rubel akzeptiert werden. Vor allem Deutschland befindet sich bei der Frage zwischen Baum und Borke. Die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, hatte Anfang März verbreitet, dass „auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre.“ Eine Position, die beispielsweise auch der Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann jüngst bestätigte.
Dagegen befürchtet der Chemieverband VCI für den Fall eines Energie-Importstopps aus Russland „tiefe Einschnitte in das Produktionsniveau der Branche“ und einen Effekt, der sich über die Wertschöpfungsketten auf die gesamte Industrie in Deutschland fortpflanzen würde und erhält dafür Rückendeckung vom Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther: „Wenn wir die Chemiebranche für eineinhalb Jahre stilllegen, wie es bei einem Gas-Embargo der Fall wäre, dann ist das nichts anderes als der Abschied von der Grundstoffproduktion in Deutschland. Werden in der Chemie bestimmte Dinge heruntergefahren, ist die ganze Kette gestört. Das hätte weitreichende Folgen beispielsweise auch für die Automobilproduktion in Deutschland, die dann irgendwann nicht mehr produzieren kann, weil die Vorleistungen fehlen.“, so Hüther im Interview mit der Zeitung „Der Tagesspiegel“. Ein Embargo, so Hüther, würde Millionen deutsche Arbeitsplätze gefährden.
Kurzfristige Einsparmöglichkeiten sind begrenzt
Interessante Fakten hat zuletzt auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, bdew, mit der Stellungnahme „Kurzfristige Substitutions- und Einsparportenziale Erdgas in Deutschland“ zur Diskussion beigetragen. Demnach lassen sich insgesamt kurzfristig rund ein Fünftel des gesamten Gasbedarfs substituieren oder einsparen – in etwa ein Drittel der Gasimporte aus Russland. Die größten Potenziale sieht der bdew aus der ungekoppelten Stromerzeugung gefolgt von privaten Haushalten. Die entfallende Stromerzeugung aus Gaskraftwerken kann demnach mit vorhandenen Erzeugungskapazitäten kompensiert werden.
In der Industrie sieht das allerdings anders aus: Dort können der Studie zufolge lediglich 8 % des gesamten in industriellen Anwendungen eingesetzten Erdgases ersetzt werden. Denn das Gas wird dort – zum Beispiel in der Aluminium- oder Glasproduktion – überwiegend zur Erzeugung von Prozesswärme auf hohem Temperaturniveau benötigt. Weil Erdgas nicht nur Energieträger sondern auch wichtiger Rohstoff ist, sind die Substitutionspotenziale in der Chemie sogar noch geringer: Lediglich 4 % lassen sich dort laut bdew kurz- bis mittelfristig einsparen. Weil manche Gaskraftwerke über die Kraft-Wärme-Kopplung auch zur Beheizung von Wohnungen laufen, können diese ebenfalls nicht ersetzt werden – das Substitiutionspotenzial beim Gaseinsatz in Kraftwerken liegt laut bdew aber immerhin bei 36 %.
USA will künftig 50 Mrd. Kubikmeter pro Jahr liefern
Was in den Diskussionen bislang wenig Beachtung findet, ist die Nutzung inländischer Erdgasquellen, wie sie beispielsweise in der norddeutschen Tiefebene vorhanden sind. Deren Anteil an der Versorgung lag 2021 bei 5 %. Kurzfristig ließe sich die Förderung laut bdew um 5 bis 10 % der aktuellen Fördermenge steigern.
Der Verband rät aufgrund der begrenzten Möglichkeiten zum schnellen Aufbau von zwei LNG-Terminals, um die Importmengen aus anderen Ländern zu erhöhen. Zudem sollten sämtliche Weichen in Richtung Ausbau der Erneuerbaren gestellt werden. Hier finden Sie unsere interaktiven Karten zu bestehenden und geplanten LNG-Terminals in Europa.
In diese Richtung gehen auch die aktuellen Initiativen der Bundesregierung, verflüssigtes Erdgas in Katar zu beschaffen und die Zusicherung der USA, ihre Liefermengen nach Europa erheblich erhöhen zu wollen. Beim jüngsten Gipfeltreffen in Brüssel hatte US-Präsident Biden zugesichert, noch in 2022 15 Mrd. Kuubikmeter LNG liefern zu wollen, langfristig soll die Menge auf 50 Mrd. Kubikmeter pro Jahr steigen. Zum Vergleich: 2021 importierte die EU rund 155 Mrd. Kubikmeter Gas aus Russland. Nach Plänen der EU-Kommission soll noch in diesem Jahr ein Drittel der russischen Gasimporte ersetzt werden. Deutschland plant bis Ende des Jahres 30 % der russischen Importe zu substituieren.
Doch diese Maßnahmen können nur kurz- und mittelfristig helfen, die Abhängigkeit vom russischen Aggressor zu verringern. Die Zukunft gehört den erneuerbaren Energien: Es müsse so schnell wie möglich mehr Fläche für Erneuerbare-Energien-Anlagen ausgewiesen werden“, heißt es in einer Stellungnahme des bdew. Zudem müssten die Bedingungen für Netzausbau und Wasserstoff-Hochlauf schnellstens verbessert werden.
Rubel-Zwang: nur ein Bluff?
Kurzfristig bleibt also die Frage bedeutend, ob Putins Rubel-Zwang beim Kauf von Öl und Gas mehr als ein politischer Winkelzug ist. Aktuell wird der Staatskonzern Gazprom für Erdgas in Euro oder Dollar bezahlt – und muss, einer jüngsten Präsidialanordnung folgend, 80 % davon bei der russischen Zentralbank in Rubel eintauschen. Die langfristigen Verträge, in denen Zahlungsmodalitäten und Währung festgeschrieben ist, kann Gazprom auch nicht einseitig ändern. Künftig könnten die Zahlungen über nicht sanktionierte russische Geschäftsbanken laufen, allerdings scheint fraglich, ob diese das Rubel-Volumen bewältigen könnten, ohne auf die sanktionierte Staatsbank zurückzugreifen. Kurzfristig hat der russische Präsident durch seine Ankündigung für weiter steigende Preise und einen Stopp des Wertverfalls der russischen Währung gesorgt. Für Europa bleibt zunächst das Dilemma zwischen Abhängigkeit und Sanktionswillen.
Fazit: Für die EU und Deutschland stellt eine Gasversorgung unabhängig von russischem Erdgas eine große Herausforderung dar. Für den Import von LNG fehlen aktuell in Europa Transportkapazitäten und es bestehen kaum langfristige Lieferverträge. Ein kurzfristiger Importstopp aus Russland hätte gravierende Auswirkungen für die Chemie und in der Wertschöpfungskette nachgelagerte Industrien. Alle aktuellen Entwicklungen zu den Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Industrie lesen Sie in unserem Newsticker zum Thema.