VCI Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup

VCI Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup (Bild: Döring, VCI)

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup kommentierte auf der Pressekonferenz am 9. März mit Rückblick auf das letzte Quartal im Jahr 2022: der VCI gehörte zu den eindringlichen Mahnern. Heute kann man sagen: Die schlimmsten Befürchtungen haben sich nicht erfüllt. Das Gas ging nicht aus, die Wirtschaft hat einigermaßen überlebt.

Und dennoch: Die Talfahrt der Chemie im vierten Quartal war gewaltig – im Dezember lag die Chemieproduktion fast 30% unter dem Vorjahreswert.

Deutlich gesunkene Energie- und Rohstoffpreise haben in den letzten Monaten die Stimmung etwas aufgehellt. Mit einer kraftvollen Erholung der Wirtschaft rechnet der VCI aber nicht.

Die Chemiewirtschaft in Zahlen

Denn die Situation für Branche ist nach wir vor kritisch am Standort Deutschland: Ende 2022 war die Produktion im vierten Quartal um 14 % niedriger als im Vorjahr, nimmt man die Pharma -Sparte heraus, waren es sogar 23,6 %.
Besonders schwer im Minus war die Basischemie: bei Petrochemie, Anorganika und Polymeren gab es gewaltige Produktionsrückgänge. Nur die Pharmaproduktion konnte im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 5,8 % zulegen.

Große Entrup beschreibt die Situation so: Es herrscht ein gewaltiger Wettbewerbsdruck. Preise müssen an die Kunden weitergegeben werden, aber diese agieren derzeit zurückhaltend. Zudem fehlen die Aufträge, die Auftragsbücher sind abgearbeitet. Ein Umsatzplus wird nur durch Preissteigerungen erzielt, die Gewinne sind aber geschrumpft, bis hin zu Verlusten. Deutschland steht am Rande einer Rezession. Außer dem Fahrzeugbau haben alle Industriebranchen im vierten Quartal ihre Produktion gedrosselt.

Ein Stabilisierung – aber nicht mehr

Der VCI sieht die Talsohle erreicht, auch wenn er erneut für das Gesamtjahr 2023 von einem Rückgang von 5% ausgeht. Das Minus wird aber kleiner und eine Stabilisierung ist zu erwarten.

Der VCI-Geschäftsführer nennt vier Gründe, warum das Jahr 2023 schwierig bleibt und er von keinem raschen Aufschwung ausgeht:

  1. die auf historischem Niveau verharrende Inflation
  2. die schwache Weltwirtschaft
  3. die Energiekrise in Europa
  4. das Standortproblem Deutschland

Was ist das „deutsche Standortproblem“?

Die Infrastruktur ist marode, Deutschland hat astronomische Energiepreise im Vergleich zum internationalen Wettbewerb, die Energiewende wurde verschlafen. Außerdem herrscht ein zunehmender Fachkräftemangel und „bei Unternehmenssteuern ist Deutschland weltweit in der Champions League“. Hinzu komme Unzahl von Unternehmungen aus Brüssel, die in Deutschland (zu) schnell umgesetzt werden. Prominentes Beispiel ist sicher das Lieferkettengesetz.

Die Sicht der VCI-Mitglieder

Eine Mitgliederbefragung des VCI zu den Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen auf die Unternehmensstrategien zeichnete folgendes Bild: Viele Unternehmen planen Investitionen in Eigenenergieversorgung und Energieeffizienz. 70 % wollen ihre Lieferketten diversifizieren um das Risiko von Abhängigkeiten zu reduzieren. Fast die Hälfte der Unternehmen denkt über seine Globalisierungsstrategien nach. Jedoch gibt es eine große Bereitschaft, am Heimatstandort zu investieren. Wertschöpfungsketten bei der Produktion vor Ort und Exportmöglichkeiten wollen genutzt werden.

Für die Chemieindustrie ist Planungssicherheit entscheidend und wie sich die Kostenstrukturen und Energiepreise mittelfristig einpendeln. „Wir stehen vor einem Strukturwandel. Am Ende wird sich zeigen, welche Anlagen dann noch rentabel sind“, so Große Entrup.

Was jetzt in Politik und Gesellschaft passieren muss

Die Erwartungen des VCI an die Politik sind klar: Es brauche eine schnelle Energiewende: Je schneller und beherzter man den Wandel angehe, desto besser. „Wir brauchen die von Kanzler Scholz angekündigte Deutschlandgeschwindigkeit und wir brauchen den Willen aller.“ Es muss ein Gesinnungswandel in der Bevölkerung stattfinden - ein neues Mindset!

Dafür ist ein fokussierter Rückenwind aus der Politik nötig. Wirtschaftsminister Habeck habe es angesprochen: Die Disziplin und Bereitschaft aller ist gefordert.

"Wir haben im Ranking der Wirtschaftsstandorte einen Abstiegsplatz erreicht (Platz 18). Die Unsicherheit in den Unternehmen ist groß. Wir müssen einen industriepolitischen Neustart schaffen."

Europa und USA im Vergleich

Laut Große Entrup sind die Amerikaner sind im Klimaschutz angekommen, „der Green Deal ist das Gegenteil“. Eine Transformation über Regulation und Verbote sei nicht der richtige Weg, sondern Förderung. In der EU brauche es mehr Pragmatismus. Keine Ideologie, kein Kompetenzgerangel, sondern neue Standortbedingungen für alle.

Die Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA sollte ein Regulation-Reduction-Act der EU sein. Die Unternehmer brauchen wieder Luft zum Agieren. Die Politik muss Leitplanken setzten, es brauche eine Handelspolitik, die Freihandel fördert, und keinen Protektionismus.

Die wesentlichen Forderungen des VCI sind daher:

  • Eine wettbewerbsfähige Stromversorgung
    mit allen Energieträgern und einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien. Da dies nicht ausreichen wird, fordert der VCI einen „Industriestrompreis“ der der Wirtschaft Planungssicherheit garantiert
  • Ein starkes und wettbewerbsfähiges Europa
    mit weniger Regulierungen und Verboten und mehr Pragmatismus
  • Freihandel statt Protektionismus

 

Den vollständigen Quartalsbericht und die Chemie-Kennzahlen finden Sie auf der Website des VCI.

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