Laut Roland Berger haben allein die Mitglieder des Verbands der Schweizer Tech-Industrie Swissmem ihre Scope 1-Emissionen seit 1990 bis heute um 55 % heruntergefahren. Da an der schwierigsten Scope-Stufe 3 noch keine Daten aus vergleichbaren Ländern vorliegen, wollten Roland Berger und Swissmem wissen, wie weit die Swissmem-Mitglieder bei ihren Scope 3-Emissionen bereits gekommen sind. Die Ergebnisse sind mehr als interessant und dürften auch in anderen Ländern ähnlich zutage kommen.
Noch fehlen globale Rahmenwerke
Die Studie zeigt einerseits deutlich, dass viele Unternehmen unabhängig von ihrer Größe und Branche die Bedeutung der Scope 3-Reduktion zumindest theoretisch verstanden haben. Auf diesem Verständnis und Bewusstsein aufbauend, wollen sie sich laut Roland Berger als Vorreiter im internationalen Wettbewerb positionieren – sei es, um den Ansprüchen ihrer Kunden zu genügen, die Erwartungen der Investoren zu erfüllen oder begehrte Talente zu gewinnen und an sich zu binden.
Die Studie zeigt aber nach Abgaben der Autoren auch, welche Schwierigkeiten mit der praktischen Umsetzung verbunden sind. So müssen erst noch globale Rahmenwerke geschaffen, geeignete Messmethoden entwickelt und aussagekräftige Kennziffern definiert werden. All diese Elemente seien zwangsläufig branchenspezifisch, da jeder Industriezweig vor ganz eigenen Herausforderungen stehe. Auch die Zusammenarbeit mit Zulieferern und Kunden werde ein wesentlicher Faktor sein, um effektive Prozesse herauszubilden. Laut der Studie werden zweifellos viele Sektoren nur allzu gern dem Beispiel der Automobilindustrie folgen, wo sich OEMS aufgrund des Investor- und Stakeholder-Drucks zu einem eigenen Verband zusammengeschlossen haben, um Anforderungen zu harmonisieren und den Fortschritt aus den eigenen Reihen heraus anzutreiben.
Kunden erwarten Transparenz vom Anbieter
Auch der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) sieht seine Mitglieder in der Pflicht, sich um die weitere Dekarbonisierung gemäß Scope 1 bis 3 zu kümmern. Grundsätzlich müssen sich Unternehmensziele am jeweils geltenden rechtlichen und ordnungspolitischen Rahmen entwickeln, und der schreibt nun vor, diese Anforderungen zu dokumentieren. „Damit zeigen sie, dass sie sich mit dem Klimaschutz auch aus dem Blickwinkel der CO2-Bilanzierung befassen“, sagt Ralf Reines, Referent Forschung und Technik im VDW. „Darüber hinaus erwarten die Kunden, dass Maschinenanbieter ihre Scope-Emissionen berechnen und offenlegen können, nicht zuletzt, um ihre eigenen Berichtspflichten zu erfüllen.“ Unabhängig davon steige auch das Bewusstsein bei den eigenen Mitarbeitenden. „Sie arbeiten lieber in ‚grünen‘ Unternehmen als in solchen, die keine Umweltstandards einhalten“, so Reines. Das gelte besonders für künftige Mitarbeitende. Für den Nachwuchs werde ein Unternehmen zusätzlich interessant, wenn es die CSR-Anforderungen glaubhaft erfüllen könne. So wie etwa der Automobilzulieferer Brose.
Klimaneutralität ist das großes Ziel
Brose hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2039 ein CO2-neutrales Unternehmen inklusive Scope 1, 2 und 3 Upstream (Cradle-to-Gate) zu werden. Das setzt voraus, dass Brose die Treibhausgasemissionen entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette erfassen und daraus konkrete Maßnahmen zur Reduktion ableiten muss, dazu Dr. Alexander Löhner, Chief Corporate Responsibility Officer Brose: „Scope 1 und 2 sind wesentliche Faktoren, die wir direkt beeinflussen können. Hier legen wir den Fokus auf Energiesparmaßnahmen und die Umstellung auf regenerative Energiequellen. Ab 2025 werden wir unsere Brose-Standorte weltweit CO2-neutral betreiben können.“ Dafür nutzt der Automobilzulieferer eigene Photovoltaikanlagen und 100 % Grünstrom. Der nicht vermeidbare Anteil an Emissionen, beispielsweise von Lackieranlagen, wird durch Investitionen in hochwertige Umweltprojekte kompensiert.
Das Ziel von Brose-Marktbegleiter ZF, bis 2040 klimaneutral zu sein, betrifft ebenfalls die gesamte Wertschöpfungskette. Nachhaltigkeit und Technologieführerschaft sind dabei für ZF eng miteinander verzahnt. „Unsere Unternehmensziele hinsichtlich der Scopes 1, 2 und 3 sind deshalb so wichtig, weil wir die Emissionen vom Anfang bis zum Ende erfassen – von denen unserer Lieferanten über die Logistik bis hin zur Nutzungsphase unserer Produkte in Fahrzeugen und technischen Systemen“, so ein ZF-Sprecher. „Knapp ein Viertel aller relevanten Treibhausgase entfallen auf die indirekten Emissionen der Lieferkette.“
Unternehmen ersticken in Regulierungsflut
Beim VDW kommen die Mitglieder nach eigenen Angaben den gesetzlichen Anforderungen nach. Darüber hinaus gibt es Vorreiter, die mehr machen als vorgeschrieben, und andere – meist kleinere Unternehmen – die nicht so aktiv sind. „Hier fehlt vielfach die Kapazität, allen Anforderungen gerecht zu werden. Denn es müssen viel Zeit, Arbeit und Kosten aufgewendet werden, um die Bilanzierung aufzusetzen. Die Unternehmen ersticken geradezu in der Regulierungsflut“, gibt Ralf Reines zu bedenken.“ Es gebe nicht nur die CO2-Bilanzierung, sondern auch die Überarbeitung der Maschinenrichtlinie, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und neue Aufgaben mit dem Cyber-Security Act.
Aber der VDW lässt seine Mitgliedsunternehmen damit nicht alleine, dazu nochmal Ralf Reines: „VDW-Mitglieder haben Zugriff auf einen Leitfaden, den der VDMA erstellt hat, der dabei unterstützt, Scope 1 und 2 zu bearbeiten. Für Scope 3 entsteht gerade ein weiterer Leitfaden, bei dem auch Werkzeugmaschinenhersteller aktiv mitarbeiten.“ Neben der Bilanzierung von Scope 1 bis 3 – hier geht es ja um die Unternehmensbilanzierung (Company Carbon Footprint CCF) – arbeitet der Verband mit einigen Unternehmen auch an Regeln und Standards, wie man den Product Carbon Footprint (PCF) ordentlich aufstellen kann.
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Enge Zusammenarbeit mit Zulieferern
Scope 3 ist für alle Unternehmen eine große Herausforderung, da umfangreiche Daten systematisch erfasst und analysiert werden müssen. Dr. Alexander Löhner erklärt, was dahinter steckt: „Unser stärkster Hebel zur Reduktion von Emissionen ist die Produktentwicklung. Neben einer ressourceneffizienten Konstruktion prüfen wir geeignete wiederverwertbare, recycelte und bio-basierte Materialien. Ein weiterer Fokus liegt auf einem kreislauforientierten Design. Bei den Scope-3-Emissionen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette (Upstream) haben bei Brose die direkt und indirekt bezogenen Güter und Dienstleistungen sowie die damit verbundene Logistik einen Anteil von über 90 %. Deshalb arbeiten wir eng mit unseren Zulieferern zusammen, um Lösungen und weitere Einsparpotenziale zu finden. Darüber hinaus stellen wir mit unseren klaren Zielen und Standards konkrete Anforderungen an die Reduzierung von Material- und Prozessemissionen.“
Bei ZF hat man mit strategischen Partnern entlang der Lieferkette bereits wichtige Meilensteine realisiert. So versorgt etwa ein schwedischer Anbieter den Technologiekonzern ab 2026 jährlich mit 250.000 t umweltfreundlichem Stahl, der mit Wasserstoff und grüner Energietechnologie hergestellt wird. Dies entspricht 10 % des aktuellen Stahlbedarfs und spart jährlich knapp eine halbe Million Tonnen CO2 ein. Zudem stellt ZF seine Stromversorgung flächendeckend um. Schon im Jahr 2025 wird das Unternehmen – fünf Jahre früher als zunächst vorgesehen – seinen Bedarf vollständig aus nachhaltigen Quellen beziehen.
Die Reduzierung der Scope-3-Emissionen ist also eine anspruchsvolle Aufgabe, die auch Brose vor technische Herausforderungen stellt und oft mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, wie Dr. Alexander Löhner erläutert: „Unser Ansatz ist, zu Dialog und Diskussion zu motivieren. Gemeinsam mit unseren Lieferanten möchten wir geeignete Lösungen und Maßnahmen zur Emissionsreduktion erarbeiten. Dafür nutzen wir verschiedene Formate, wie zum Beispiel Workshops, Schulungen, interne Veranstaltungen wie Tech Days und regelmäßige Green-Hour-Termine“. Letztere sind ein Angebot an interessierte Lieferanten, um Informationen und Wissen zu den Anforderungen auszutauschen sowie Fragen und Probleme offen zu diskutieren. Beispielsweise, ob und wie sich bestimmte Maßnahmen technisch umsetzen lassen. „Bei der Materialauswahl sind strategische Partnerschaften wichtig, um sich etwa den Marktzugang zu grünem Stahl zu sichern“, so Löhner.
Das Geld fehlt an anderer Stelle
Auch bei den deutschen Werkzeugmaschinenherstellern steht Scope 3 ganz oben auf der Agenda, denn Scope 3 fragt die Emissionen in 15 Kategorien ab. Nur wenige Kategorien leisten im Maschinenbau einen größeren Beitrag zu einer positiven Umweltbilanz. „Damit befassen sich die Firmen als erstes“, sagt Forschung und Technik-Referent Reines. „Sie organisieren die Erfassung und Dokumentation der Daten entweder selbst oder arbeiten mit Beratern zusammen, was oft sehr kostspielig ist. Das Geld fehlt an anderer Stelle.“ Viele Firmen im VDW bilanzierten Scope 3 sinnvollerweise auch nur Cradle-to-Gate, also bis zum eigenen Werkstor, da man diese Emissionen selbst in der Hand habe. „Die Betriebsphase einer Maschine ist vom Kunden und dessen Nutzung abhängig. Darauf haben die Hersteller kaum Einfluss.“
Bei ZF sieht man einen großen Zusammenhang in diesem Komplex und reagiert darauf, dazu ein Sprecher: „Generell ist der Erfolg unseres Unternehmens sehr eng mit dem Erfolg unserer Kunden und unserer weltweit rund 36.000 Lieferanten verknüpft. Deshalb führen wir permanent mit allen Beteiligten der Wertschöpfungskette einen offenen Dialog.“ Da über diese Unternehmensgrenzen hinweg insbesondere der Datenaustausch entscheidend ist für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, ist ZF Teil des Catena-X-Netzwerks. Mit diesem kollaborativen und offenen Daten-Ökosystem digitalisiert und automatisiert die Automobilindustrie den Informationsaustausch untereinander – etwa zum CO2-Fußabdruck von Produkten oder auch zur Kreislaufwirtschaft.
Auch für Brose ist es auf dem Weg zur Emissionsfreiheit wichtig, gemeinsam mit Lieferanten an Lösungen und einer kontinuierlichen Verbesserung zu arbeiten, dazu nochmals Löhner: „Dabei zeigt sich ein heterogenes Bild: Einige Zulieferer sind bereits Pioniere beim Thema Nachhaltigkeit, andere wiederum befinden sich ganz am Anfang und benötigen mehr Unterstützung. Gerade im Mittelstand fehlen oft Kapazitäten und die Expertise für Nachhaltigkeitsstrategie, -bilanzierung und -berichterstattung. Eine weitere große Herausforderung für uns und unsere Lieferanten sind die unterschiedlichen und sich stetig verändernden Anforderungen innerhalb der Automobilbranche.“
Der Technologiekonzern ZF geht noch einen Schritt weiter, dazu ein ZF-Sprecher: „Grundsätzlich verpflichten wir nicht nur uns, die Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten, sondern auch unsere Partner. Deshalb haben wir mit unseren Lieferanten verbindliche Strukturen und Prozesse definiert. Um die Transparenz in unserer Lieferkette zu erhöhen, fordern wir bei Neubeschaffungen von unseren Lieferanten beispielsweise Product Carbon Footprints (PCFs) an. Wir schulen unsere Lieferanten auch in der Berechnung der PCFs und tauschen Informationen und Methodenwissen im Rahmen unserer Dekarbonisierungsdialoge aus.“
Nachhaltigkeit ist ein Innovationstreiber
Wird der Themenkomplex ‚Nachhaltigkeit‘, bei dem die Scope-Stufen ja nur einen Aspekt ausmachen, möglicherweise sogar zu einem Wettbewerbsfaktor? „Auf jeden Fall“, sagt Dr. Alexander Löhner. „Nachhaltigkeit ist ein Innovationstreiber, solange die gesetzliche Regulatorik technologieoffen gestaltet ist. Mit innovativen Lösungen, die unsere CO2-Emissionen reduzieren und gleichzeitig kosteneffizient sind, können wir Wettbewerbsvorteile generieren.“ Dem kann VDW-Mann Reines nur zustimmen: „Nachhaltigkeit ist längst ein Wettbewerbsfaktor. Werkzeugmaschinen sind Investitionsgüter und werden von professionellen Anwendern gekauft und vorher natürlich streng bewertet – nicht nur bezüglich des Preises der Maschine selbst, sondern auch bezüglich KPIs zu Nachhaltigkeit, etwa dem Energieeinsatz einer Maschine.“
Deshalb hat der VDW zusammen mit seinen Mitgliedern und den großen deutschen Automobilherstellern schon vor einigen Jahren das VDMA-Einheitsblatt ‚Energie- und Medieneinsatz von Werkzeugmaschinen bei der Serienfertigung‘ erarbeitet. Damit können die relevanten KPIs einheitlich angefragt, angegeben und verglichen werden. Die vielen Anfragen von Maschinennutzern zum Product Carbon Footprint (PCF) von Werkzeugmaschinen zeigen dem VDW ebenfalls, dass Nachhaltigkeit ein Wettbewerbsfaktor ist. Der PCF der Werkzeugmaschine geht in den Corporate Carbon Footprint (CCF) der Kunden ein. „Am Ende gilt aber schon immer: die beste Maschine ist die, die ein Werkstück mit hoher Qualität, hoher Produktivität und zu geringen Stückkosten herstellt. Gerade in letzteren bilden sich natürlich die Rahmenbedingungen des Marktes und der Politik ab“, so Reines.
Bei ZF sieht man sich diesbezüglich aufgestellt und ist sich sicher bis 2030 die eigenen Emissionen um 80 % im Vergleich zu 2019 reduzieren. Dr. Alexander Löhner blickt ebenfalls positiv nach vorne: „Bereits 2025 werden wir unsere Brose-Standorte weltweit bilanziell CO2-neutral betreiben und in zehn Jahren wollen wir den CO2-Fußabdruck unserer neu anlaufenden Produkte einschließlich Scope 3 Upstream um 50 % im Vergleich zu 2022 gesenkt haben.“
Das sind Scope 1-, 2- und 3-Emissionen
Scope 1-Emissionen stammen aus Quellen, die direkt vom Unternehmen verantwortet oder kontrolliert werden. Dazu gehören Emissionen aus der Nutzung von Energieträgern bei Produktionsprozessen, Emissionen des eigenen Fuhrparks sowie flüchtige Emissionen.
Scope 2-Emissionen sind indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie wie Strom, Dampf, Wärme und Kälte, die im Unternehmen verbraucht wird.
Scope 3-Emissionen umfassen alle übrigen indirekten Emissionen, die an anderer Stelle der Wertschöpfungskette entstehen. Beispiele hierfür sind Emissionen, die bei der Bereitstellung eines Produkts an einen Kunden anfallen, die durch Zulieferer erzeugt werden, oder auch Emissionen, die durch den Energieverbrauch des Produkts beim Kunden entstehen.
(Quelle: Studie von Roland Berger & Swissmem ‚Der nächste Schritt in Richtung Dekarbonisierung – Reduktion der Scope 3-Emissionen‘ (2023)