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(Bild: VDMA)

Die Vorwürfe waren dieselben wie heute: Die deutsche Handelsbilanz zeigte im Jahr 1968 einen deutlichen Exportüberschuss – die Wirschaft drohte zu überhitzen. Die Regierung stand unter starkem Druck wichtiger Handelspartner, sie solle ihre Währung, die DM, aufwerten. Nur über meine politische Leiche – polterte der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, der der ersten großen Koalition aus CDU und SPD vorstand. Um der Überhitzung entgegenzuwirken, peitschten der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller gemeinsam mit dem Finanzminister Franz-Josef Strauß eine völlig neue Exportsteuer durch das Bonner Kabinett. Diese sollte 4 % für alle Ausfuhren betragen und den deutschen Exportüberschuss signifikant vermindern. Was die Minister übersahen: Die deutsche Industrie, darunter die Unternehmen des Anlagenbaus, saßen auf Exportaufträgen in Höhe von rund 30 Mrd. DM, die ebenfalls rückwirkend betroffen gewesen wären. Eine Exportsteuer von 4 % hätte für diese Projekte einen „Schlag in die Kasse und ins Kontor“ bedeutet.

Viele Branchen protestierten daher lautstark: Von den Werften über die Stahl- und die Autoindustrie bis zu den Textil- und Schuhherstellern. Doch dem Anlagenbau, der über seine langen Projektabwicklungszeiten besonders stark von den neuen Regelungen betroffen war, fehlte das Sprachrohr. Den Begriff „Großanlagenbau“ gab es nicht und die Unternehmen des Anlagenbaus waren in ihrer Marktausrichtung und Größe sehr verschieden.

Um dies zu ändern und um gegen die existenzbedrohende Exportsteuer vorgehen zu können, verschafften sich die Anlagenbauer vor 50 Jahren im VDMA Gehör. Der Verband, damals noch der „Verein deutscher Maschinenbau-Anstalten“, gründete unter Führung von Bernhard Weiss, Siemag (heute SMS Group), die VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) und änderte kurz darauf seinen Namen in „Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau“. Zwei Jahre nach der Gründung 1969 legte der VDMA auf Grundlage einer eigenen Statistik des Auftragseingangs den ersten Lagebericht vor.

(Groß-)anlagenbau ist anders

Das Problem der Exportsteuer hatte sich Ende 1969 zwar erledigt, weil die sozialliberale Nachfolgerregierung unter Bundeskanzler Brandt die Aufwertung der DM gegenüber dem Dollar um 8,5 % beschloss, doch die Arbeitsgemeinschaft ist geblieben.

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Thomas Waldmann, seit 2003 Geschäftsführer der AGAB: "Anlagen sind im Gegensatz zur gängigen Maschinenproduktion immer das Ergebnis einer individuellen Einzelfertigung."

„Innerhalb des VDMA müssen wir bis heute noch Aufklärungsarbeit leisten, weil die AGAB andere Themen bearbeitet als die übrigen Fachverbände“, beschreibt Thomas Waldmann, seit 2003 Geschäftsführer der AGAB, die Besonderheiten der Arbeitsgemeinschaft: „In der AGAB spielen technische oder Vertriebs- und Marketingthemen keine Rolle. Vielmehr kümmern wir uns um Fragestellungen, die spezifisch für das Großprojektgeschäft sind: Von der Finanzierung über Projekt- und Claimsmanagement bis hin zu Construction sowie Health and Safety – also alles das, was branchenübergreifend eine Rolle spielt, wenn man Projekte für über 25 Millionen Euro abwickelt.“

Das ursprüngliche Ziel, durch aussagefähige Statistiken zu Auftragseingängen und Umsätzen die Bedeutung des Großanlagenbaus für die deutsche Wirtschaft darzustellen, war spätestens in den späten 1980er Jahren erreicht. Dass Großanlagenprojekte, die sich zwischen 1969 und 2018 auf über 700 Mrd. Euro aufsummierten, erhebliche Beschäftigungseffekte nach sich ziehen, ist dank intensiver Öffentlichkeitsarbeit inzwischen transparent und nachvollziehbar.

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Klaus Gottwald, Referent der AGAB: "In den letzten Jahren hat die AGAB Angebote geschaffen, die sich nicht nur an die Mitglieder richten, sondern auch Zulieferer und die Kunden des Großanlagenbaus einbinden."

In den 1990er Jahren rückten dann die Themen der Projektabwicklung stärker in den Fokus: Für Projekt- und Prozessmanagement wurden jeweils Arbeitskreise etabliert. „In den 2000er Jahren kamen neue Aspekte wie Engineering, HSE sowie Industrie 4.0 hinzu. Dazu wurden zum Teil eigene Studien erstellt“, berichtet Klaus Gottwald, Referent der Arbeitsgemeinschaft: „Mit Veranstaltungen wie dem Engineering Summit und dem Baustellentag haben wir in den letzten Jahren Angebote geschaffen, die sich nicht nur an die Mitglieder richten, sondern auch Zulieferer und die Kunden des Großanlagenbaus einbinden. Damit bilden wir mittlerweile die gesamte Wertschöpfungskette im Anlagenbau ab und fördern den Erfahrungsaustausch über Branchengrenzen hinweg.“

Know-how für die Transformation des Großanlagenbaus

Dennoch bleiben auch die ursprünglichen Führungsthemen weiter auf der Agenda: Steuerpolitik, Exportfinanzierung und Exportkreditversicherung. Denn diese sind nicht nur für die bisherigen Mitgliedsunternehmen wichtig, sondern auch für neue Marktteilnehmer im Anlagenbau: Das sind Unternehmen, die als Hersteller von Maschinen zunehmend Projekte in der Größenordnung zwischen 20 und 100 Mio. Euro pro Auftrag abwickeln. „Diese Unternehmen finden sich häufig in demselben Spannungsfeld wie der Großanlagenbau wieder: Sie produzieren zwar weiterhin Maschinen, verkaufen diese aber immer öfter über Projekte mit der dazugehörigen Infrastruktur als komplette Systeme. Und oft fehlt dann das Verständnis, dass das Projektgeschäft ganz anders funktioniert als die klassische Serienproduktion: Anlagen sind im Gegensatz zur gängigen Maschinenproduktion immer das Ergebnis einer individuellen Einzelfertigung“, berichtet Thomas Waldmann.

Dazu kommt, dass es oft immer noch die Anlagenbauer selbst sind, die durch Finanzierungs- und Betreiberleistungen das Umsetzen von Projektideen erst möglich machen. Die Aufgabe, projektspezifisches Know-how bereitzustellen und die Transformation der Branche zu begleiten, hat sich die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau auf die Fahnen geschrieben. Mit aktuellen Studien wie der zu digitalen Geschäftsmodellen oder Praxisleitfäden, etwa zum Reise- und HSE-Management, fühlt der Verband nicht nur den Unternehmen des Anlagenbaus den Puls, sondern leistet seinen Mitgliedern auch konkrete Hilfestellungen und benennt künftige Schwerpunkte für den Wandel der Branche. Happy Birthday, AGAB!

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