In einem wahren Parforceritt hat Dennis Schulz das britische Unternehmen in anderthalb Jahren auf Effizienz getrimmt – und zum Marktführer in der PEM-Elektrolyse geführt. Im CT-Interview erklärt der ITM-CEO das Erfolgsrezept und seine Strategie für sich rasch wandelnde Wasserstoffmärkte.
Auf dem Engineering Summit wird Dennis Schulz am 1. Oktober 2024 in einem Vortrag zeigen, wie die Skalierung der Wasserstoffindustrie gelingen kann.
CT: Technologieunternehmen im Wasserstoffsektor wurden in den letzten Jahren an der Börse zunächst stark gehypt, dann jedoch folgte eine gewisse Ernüchterung. Im November hatte der ITM-Konkurrent Plug Power Probleme beim Scale-up zugegeben und musste einen starken Kursverlust hinnehmen. Warum sind Sie über-zeugt, dass ITM nicht dasselbe Schicksal ereilen wird?
Dennis Schulz: Grüner Wasserstoff hat die Hype- und Powerpoint-Phase als Hoffnungsträger der Energiewende hinter sich gelassen. Jetzt geht es darum, echte Anlagen zu bauen, die tatsächlich Wasserstoff produzieren und nicht nur heiße Luft erzeugen. An diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen.
Als ich vor anderthalb Jahren von Linde Engineering zu ITM Power wechselte, kannte ich ITM und seine Chancen und Herausforderungen bereits sehr gut. Beide Unternehmen waren seit 2019 gemeinsam Vorreiter bei der Umsetzung von PEM-Elektrolyseuren im kommerziellen Maßstab und hatten sich frühzeitig die ersten großen Projekte dieser Art am Markt gesichert. Wer zuerst den Sprung ins kalte Wasser wagt, wird nun einmal auch zuerst nass. ITM hatte daher etwa zwei bis drei Jahre vor allen direkten Konkurrenten mit den typischen Skalierungsproblemen zu kämpfen, die es zu lösen galt.
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ITM die marktführende Proton-Exchange-Membrane-Technologie (PEM) besitzt. Die Aufgabe bestand darin, diese führende elektrochemische Technologie in ein robustes, hoch standardisiertes Produkt zu verwandeln und ITM zu einem zuverlässigen Serienfertiger zu machen. Kurz nachdem ich meine Rolle bei ITM angetreten hatte, startete ich deshalb einen ehrgeizigen 12-Monatsplan.
CT-Fokusthema Wasserstoff
In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.
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CT: Was waren die Schwerpunkte dieses 12-Monatsplans?
Schulz: Dieser Plan hatte drei Schwerpunkte: Erstens das Produktportfolio und die Standardisierung. ITM hatte zu viele Produkte und Varianten und war trotz starker Skalierung in vielen Bereichen des Unternehmens in der Forschungs- und Entwicklungsmentalität stecken geblieben. Es gab keine wirklichen „Design Freezes“, d. h. Innovationen wurden in kürzester Zeit und teilweise ohne ausreichende Validierung direkt ins Produkt integriert. Dadurch wurde bereits bestelltes Material oft obsolet, bevor es geliefert wurde. ITM hatte sich zudem meiner Meinung nach zu früh in weitere Geschäftsfelder gewagt, wie dem Betrieb von Wasserstofftankstellen. Insgesamt fehlte es an Fokus, was sich in einem zu langsamen Fortschritt bei den Kundenprojekten zeigte.
Zweitens ging es um den Umgang mit Kapital. Das Unternehmen verbrauchte zu viel Geld. Das lag an den bereits erwähnten Themen rund um das Produktportfolio, aber auch an unreifen Prozessen – alles vermeidbar. Zudem war es notwendig, die Verluste auf diejenigen Gründe zu reduzieren, die mit einem höheren Produkt-durchsatz von selbst verschwinden. Als börsennotiertes Unternehmen in einer stark wachsenden Branche war ITM daran gewöhnt, dass das Geld scheinbar auf Bäumen wächst. Das funktioniert jedoch nur, solange das makroökonomische Umfeld günstig ist. Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern hat ITM heute den Vorteil, schuldenfrei zu sein und eine starke Bilanz vorweisen zu können. Diesen Vorteil gilt es zu bewahren.
Drittens ging es um das Thema „De-bottlenecking“, also das Lösen bestehender und zukünftiger Engpässe, die die Skalierung verlangsamen könnten. Dies betraf sowohl die eigenen Fertigungskapazitäten und Ausrüs-tungen als auch die Lieferantenbasis. Es war uns wichtig, strategische Partnerschaften mit Schlüssellieferanten zu entwickeln, um gemeinsam in der erforderlichen Qualität und Menge synchron zu skalieren.
CT: Wie ist der Stand der Umsetzung?
Schulz: Im Januar 2024 hatten wir den Plan vollständig umgesetzt: Unser Produktportfolio ist fokussiert und die Anzahl der Produktvarianten wurde um 75 % reduziert. Wir haben unsere marktführende PEM-Stacktechnologie in ein hoch standardisiertes industrielles Serienprodukt überführt und so im Jahr 2023 bereits mehr Elektrolyseure ausgeliefert als in den 22 Jahren zuvor insgesamt. Das Design unseres Stacks ermöglicht es uns, diesen ohne Modifikationen in nahezu alle Weltregionen zu verkaufen. Dadurch erzielen wir signifikante Skaleneffekte.
Wir haben den Kapitaleinsatz erheblich optimiert und unsere Personalkosten durch eine Restrukturierung um über 30 % reduziert. In einem wachsenden Unternehmen mag ein solcher Einschnitt kontraintuitiv klingen, aber er war notwendig, um den Fokus zu schärfen und an Geschwindigkeit zu gewinnen. Die Einführung eines neuen Qualitäts- und Prozessmanagementsystems sowie die strikte Einhaltung von „Design Freezes“ haben es uns ermöglicht, das Engineering mit dem Einkauf und der Fertigung zu synchronisieren. Eine strikte „Qualität vor Quantität“-Richtlinie hat die Fehlerhäufigkeit und die damit verbundenen Kosten gesenkt.
Im Bereich „De-bottlenecking“ haben wir den geplanten Fortschritt bei der Automatisierung und der strategi-schen Lieferantenbasis erreicht. Dies führt zu hoher Konsistenz in der Fertigungsqualität und zu deutlich ver-kürzten Lieferzeiten. Zudem konnten wir die Produktkosten weiter senken. In den meisten Kundenprojekten sind wir nicht mehr auf dem kritischen Pfad. Um die Kundennähe, insbesondere im After-Sales-Bereich für Kontinentaleuropa, zu verbessern, haben wir im Oktober letzten Jahres unseren Standort in Deutschland nahe Frankfurt eröffnet. Hier haben wir auch Funktionen wie IoT und die regionale Neukundengewinnung angesiedelt.
CT: In Deutschland wurden kürzlich staatliche Förderungen für die Energietransformation aufgrund von Geldmangel eingestellt. Die Inflation und hohe Zinsen erschweren zudem Investitionen. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation auf dem Markt für grünen Wasserstoff?
Schulz: Grüner Wasserstoff hat langfristig betrachtet großes Potenzial als wichtige Säule der Energiewende und Dekarbonisierung. Dies wird durch die Wasserstoffstrategien von Regierungen weltweit und gezielte Investitionen in die notwendige Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff unterstützt. Allerdings hat sich der kurzfristige Ausblick aufgrund der makroökonomischen Rahmenbedingungen etwas eingetrübt und gestaltet sich in der Praxis komplex. Inflation, hohe Energie- und Kapitalkosten bremsen Projektentscheidungen aus. Obwohl die Anzahl und Größe neuer Projektanfragen signifikant gestiegen ist, werden finale Investitionsentscheidungen derzeit oft verschoben. Es ist wichtig zu betonen, dass der Markt tatsächlich weiterhin wächst, wenn auch etwas langsamer und realistischer als von einigen Marktbeobachtern erhofft. Im Bereich der Elektrolyseurhersteller ist der Markt noch jung und geprägt von viel Lärm um teils nicht kommerzielle Technologien und leere Versprechen, die oft nur im Labormaßstab funktionieren. Kunden und Projektfinanzierer benötigen Vertrauen in die Produktreife und Lieferfähigkeit. Hier hat ITM einen Vorteil als „First Mover“, da wir frühzeitig kommerzielle Referenzanlagen errichtet haben und heute als eine der wenigen Firmen gelten, die man kontaktiert, wenn es wirklich funktionieren muss. In Deutschland hat ITM beispielsweise im Jahr 2023 bei neu vergebenen PEM-basierten Anlagenbauprojekten einen Marktanteil von über 80 % nach Megawatt erreicht. Dies ist hauptsächlich auf das derzeitige 200-Megawatt-Projekt zurückzuführen, das Linde Engineering und ITM gemeinsam für RWE in Lingen bauen. Es handelt sich um das größte Projekt dieser Art weltweit. Natürlich ist ein so hoher Marktanteil nur eine Momentaufnahme und ändert sich schnell mit neuen Projektvergaben, aber es zeigt dennoch, dass wir als Unternehmen auf dem richtigen Weg sind.
CT: Wie reagiert ITM strategisch auf das veränderte Marktumfeld?
Schulz: Ein schnell wachsender Markt bringt immer das Henne-Ei-Problem mit sich, dass der Aufbau von Fertigungskapazitäten erforderlich ist, um Projekte finanzierungsfähig zu machen. Gleichzeitig erfordert dieser Kapazitätsaufbau wiederum eine gesicherte Abnahmemenge. Daher müssen wir besonders in einem Umfeld, in dem neues Kapital teuer ist, flexibel bleiben und die richtige Balance finden. Wir möchten wachsen und unsere globale Präsenz stärken, aber auch unseren Kapitaleinsatz sorgfältig steuern. Wir befinden uns nicht in einem Sprint, sondern in einem Marathon. Daher hat ITM für die nächsten Monate und Jahre drei Prioritäten: Erstens möchten wir in Bezug auf Technologie, Produkte und zuverlässige Lieferfähigkeit an vorderster Front bleiben. Dies beinhaltet die bewusste Weiterentwicklung unserer bestehenden Produkte, insbesondere unter Berücksichtigung der Daten, die unsere operativen Elektrolyseure weltweit generieren. Zudem möchten wir unser Portfolio erweitern, um den Bedürfnissen unserer Kunden gerecht zu werden. Zweitens möchten wir unsere Fertigungskapazitäten so erweitern, dass ein schneller Hochlauf möglich ist, ohne zu frühzeitig hohe Kosten zu verursachen und mittelfristig ungedeckbare Fixkosten zu haben. Tatsächliches Wachstum sollte immer durch kommerzielle Kundenverträge getragen werden. Drittens möchten wir unsere globale Präsenz stärken, ohne uns zu frühzeitig die Agilität zu nehmen, indem wir uns zu stark auf einzelne Länder oder Regionen konzentrieren. Ein Beispiel dafür sind die anstehenden Wahlen in den USA und mögliche Auswirkungen auf den dortigen Markt. Investitionen in neue Regionen sollten immer mit einer kritischen Mindestmenge an kommerzieller Nachfrage und echten Projekten einhergehen.