Uneinigkeit über „Brückenlösung“

Chemie-Tarifverhandlungen ergebnislos auf April vertagt

Die bundesweiten Tarifverhandlungen für die Chemie- und Pharmaindustrie sind nach zwei Tagen ohne Ergebnis vertagt worden. Die Tarifparteien konnten sich offenbar nicht auf eine Übergangslösung angesichts der Ukraine-Krise einigen.

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Die sogenannte 8er-Kommission während der Verhandlungen zur Chemie-Tarifrunde.
Die sogenannte 8er-Kommission während der Verhandlungen zur Chemie-Tarifrunde in Hannover.

Zwar haben sich nach Auskunft der Chemiegewerkschaft IGBCE beide Seiten an den beiden Verhandlungstagen am Montag und Dienstag (21. und 22. März) in Hannover in einigen Teilbereichen aufeinander zubewegt. In den Kernfragen der finanziellen Ausgestaltung einer möglichen sogenannten Brückenlösung liegen die Tarifparteien jedoch immer noch „weit auseinander“.

Keine Einigung über „Brückenlösung“

Die Gewerkschaft hatte immer die grundsätzlich gute wirtschaftliche Lage der Chemiebranche betont, zuletzt aber angesichts der Unsicherheit in Folge des Ukraine-Krieges eine Übergangslösung ins Spiel gebracht. „Wir wissen nicht, ob wir uns auf ein konjunkturelles Horrorszenario einstellen müssen oder ob es zu einer schnellen wirtschaftlichen Normalisierung kommt“, hatte Verhandlungsführer Ralf Sikorski im Vorfeld der Verhandlungen erklärt. „Deshalb sind wir bereit, eine Brücke zu bauen über das Tal der Unsicherheit.“

Diesen Vorschlag bewerteten die Arbeitgeber immerhin als "Fortschritt für die Verhandlungen". Über die Ausgestaltung dieser Lösung konnten sich die Tarifparteien an den beiden Verhandlungstagen aber offenbar trotzdem nicht einigen. Sie wäre für die Arbeitgeber auch nicht ohne Auswirkungen: Die Gewerkschaft fordert auch für die Brückenlösung eine Kombination aus einer tabellenwirksamen, also dauerhaft geltenden Komponente und Einmalzahlung vor. Dies bei einer kurzen Laufzeit, um zunächst über die aktuelle Situation der ökonomischen Unsicherheit zu kommen.

„Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Eine Brücke wäre außergewöhnlich – sie trägt aber nur, wenn die Belastungen moderat und kalkulierbar sind", erklärte Hans Oberschulte, Verhandlungsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC). "Im Kern geht es darum, wie wir dauerhafte Belastungen für die Unternehmen begrenzen und zugleich die Folgen der Inflation für die Beschäftigten dämpfen.“

Die Forderungen der Chemiegewerkschaft in Bildern

Streik
Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt.
Gehalt
Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski.
Inflation
Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr).
Nachtbetrieb
Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“
Homeoffice
Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen".
Ausbildung
Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen.
Umfrage
Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend.
Stop
Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück.
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Wie dies gelingen soll, ist aber offenbar noch strittig: „Die Arbeitgeber haben noch einen weiten Weg vor sich, um über die Brücke zu gehen, die wir gebaut haben“, so Gewerkschafts-Verhandlungsführer Sikorski. Bislang sprudeln die Gewinne der Konzerne weiter – ihre Beschäftigten aber leiden massiv unter der Inflation“. Die Tarifparteien hätten die gesellschaftliche Verantwortung, sie jetzt schnell zu entlasten.

Annäherungen beim Home Office

Abseits der Entgeltfragen haben sich die beiden Tarifparteien aber in Hannover bereits angenähert, heißt es aus Gewerkschafskreisen. Neben einer Kaufkraftsteigerung für die Beschäftigten fordert die IGBCE eine Erhöhung der Nachtschichtzuschläge auf einheitlich 25 %. Außerdem will die Gewerkschaft in der industriellen Transformation gute mobile Arbeit für die Zukunft gestalten und im Rahmen des Unterstützungsvereins der chemischen Industrie neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher entwickeln, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Um eine Einigung zu erzielen, sollen die Tarif-Verhandlungen in der Chemie sollen nun am 4. und 5. April in Wiesbaden fortgesetzt werden.