Chemietarif 2022

Regionale Runden beendet: Tarifverhandlungen gehen auf Bundesebene

In dieser Woche sind auch die letzten regionalen Tarifverhandlungen in der Chemieindustrie ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Einigung sollen es nun auf Bundesebene geben – doch die Fronten zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern scheinen verhärtet.

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Verhandlungen Saarland
Unter anderem im Saarland saßen sich Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertreter gegenüber.

Am Montag (14.3.) fand in Leuna die Chemie-Tarifverhandlung für den Tarifbezirk Nordost statt. Am Dienstag folgten die Gespräche für das Saarland und am Mittwoch für Westfalen. Trotz weitgehen „sachlicher Diskussion“ konnte dabei in keinem der Tarifbezirke ein Kompromiss gefunden werden. Keine große Überraschung, waren doch zuvor bereits die Gespräche in Hessen und Rheinland-Pfalz sowie in den Bezirken Nordrhein, Nord, Baden-Württemberg und Bayern allesamt ergebnislos zu Ende gegangen.

Zukunftsprognosen sorgen für Kontroversen

Auch in dieser Woche standen die Gespräche unter dem tiefen Eindruck der Invasion Russlands in die Ukraine. „Der Krieg macht eine normale Tarifrunde unmöglich. Über Entgelterhöhungen und Schichtzulagen zu debattieren, während die Menschen in der Ukraine um ihre Existenzen und ihr Leben fürchten müssen, fällt mehr als schwer“, erklärte Thomas Naujoks, Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite im Nordosten.

Bildergalerie: Das fordert die Chemiegewerkschaft 2022

Streik
Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt.
Gehalt
Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski.
Inflation
Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr).
Nachtbetrieb
Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“
Homeoffice
Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen".
Ausbildung
Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen.
Umfrage
Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend.
Stop
Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück.
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Während über die Verurteilung des Krieges Einigung bestand, geht die Abschätzung der Auswirkungen zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften weiterhin deutlich auseinander: Der Krieg verschärfe die Sorgen der Unternehmen um ein Vielfaches, heißt es von den Arbeitgebern – insbesondere was Rohstoffpreise angeht. „Deshalb appellieren wir an die IG BCE, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und einen Abschluss zu machen, der dem Krisenszenario und der Unsicherheit gerecht wird", sagte etwa Hans J. Hesse, Verhandlungsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen.

Dieser Einschätzung erteilte die Chemie-Gewerkschaft eine klare Absage. Trotz der teils herausfordernden wirtschaftlichen Gesamtlage stünden die Unternehmen der chemischen- und pharmazeutischen Industrie „mit überwiegend positiven Ergebnissen“ da. „Wir akzeptieren die fadenscheinigen Argumente nicht und auch nicht das Gejammere“, erklärte etwa Oliver Heinrich, Verhandlungsführer Nordost der IG BCE. Während die Chemieunternehmen die gestiegenen Preise einfach an ihre Kunden weiterreichen könnten, sei dies den Beschäftigten nicht möglich.

Wenigstens in einem Punkt schienen sich die Sozialpartner aber überall einig: Dass eines der wichtigsten Zukunftsthemen die Gewinnung von ausreichend qualifizierten Fachkräften ist. Wie dies erfolgreich gelingt, darüber gehen die Meinungen jedoch offenbar stark auseinander.

Fortschritte sollen nun die bundesweiten Verhandlungen bringen. Diese beginnen am kommenden Montag, 21. März in Hannover.