Adnoc kauft Covestro – Hintergründe und Folgen

Von Leverkusen nach Abu Dhabi: Was die Covestro-Übernahme bedeutet

Die Übernahme des Kunststoffherstellers Covestro durch Adnocs Investmentplattform XRG ist eine der wichtigsten Industrie­Transaktionen der vergangenen Jahre. Wie es zu dem Deal kam, die Motive beider Unternehmen und die möglichen Folgen für die europäische Chemieindustrie.

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Stilisiertes Bild einer europäischen Chemieanlage links und der modernen Skyline von Abu Dhabi rechts, verbunden durch ein sanft leuchtendes Lichtband, das eine internationale Unternehmensübernahme symbolisiert.

Die Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc), ein staatlicher Ölkonzern, legt über ihre neue Investmentplattform XRG rund 14,7 Mrd. Euro hin, um den deutschen Kunststoffhersteller Covestro zu übernehmen. Beide Unternehmen verfolgen damit strategische Ziele.

Adnoc übernimmt Covestro: Wie es zur Übernahme kam

Der Weg zur jüngst genehmigten Partnerschaft zwischen der Adnoc-Gesellschaft XRG und Covestro begann als zähes Ringen. Adnoc hatte bereits 2023 Interesse am Leverkusener Kunststoffspezialisten gezeigt, erhielt jedoch mehrfach eine Absage. Covestro sah sich „fundamental unterbewertet“ und erkannte keine klare Perspektive in einem Staatskonzernverbund.

2024 verschlechterte sich Covestros wirtschaftliche Lage spürbar: Kostendruck, hohe Energiepreise und schwache Abnehmermärkte belasteten die Bilanz. Adnoc nutzte die Gelegenheit, verbesserte sein Angebot deutlich und gab erstmals verbindliche Zusagen zu Beschäftigung, Standorten und Investitionen. Im Spätsommer 2024 lenkte Covestro ein, beide Seiten unterzeichneten eine Investitionsvereinbarung.

Im Herbst 2024 ging Adnoc über seine Investmentplattform XRG in die Offensive und bot 62 Euro pro Aktie – genug, um über 90 Prozent der Anteilseigner zum Verkauf zu bewegen. Mit einer Beteiligung von 91,3 Prozent sicherte sich XRG die faktische Kontrolle. Covestro blieb zwar formal eigenständig, stand aber strategisch unter Einfluss des Staatskonzerns.

Nach dem erfolgreichen Angebot folgte die heikle regulatorische Prüfung. Kartellrechtlich war der Fall unproblematisch, auch die deutsche Investitionskontrolle gab grünes Licht. Komplizierter wurde es auf EU-Ebene: Die Kommission leitete im Juli 2025 eine vertiefte Untersuchung nach der neuen Foreign Subsidies Regulation (FSR) ein, die prüfen soll, ob staatlich gestützte Investoren den Wettbewerb verzerren. Für die EU ging es nicht um Marktbeherrschung, sondern um die Frage, ob Adnoc mithilfe staatlicher Finanzkraft einen Übernahmevorteil hatte, der private Wettbewerber benachteiligen könnte.

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Wochenlang stand im Raum, ob Auflagen folgen würden. Im November 2025 gab die Kommission die Transaktion frei. Covestro kann damit offiziell Teil der internationalen Adnoc-Gruppe werden, eingebettet in die Struktur von XRG.

Motive von Covestro und Adnoc: Warum der Deal zustande kam

Für Covestro ist die Partnerschaft vor allem ein Weg, seine strategische Handlungsfähigkeit zu stärken. Die Kunststoffindustrie befindet sich seit Jahren in einer schwierigen Phase: hohe Energiepreise, schwache Nachfrage und internationaler Preiswettbewerb setzen das Unternehmen unter Druck. Der Konzern war operativ solide, ihm fehlte aber zunehmend die finanzielle Schlagkraft, um große Transformationsprojekte zügig umzusetzen. Adnocs Investmentplattform XRG bietet Zugang zu Kapital, das europäische Investoren zuletzt nur zögerlich bereitstellten. Die geplante Kapitalerhöhung und weitere Finanzzusagen ermöglichen Investitionen, die zuvor kaum realisierbar waren. Zudem agiert ein Staatsinvestor mit längeren Zeithorizonten als börsennotierte Konzerne, was Covestro in einem volatilen Marktumfeld zusätzliche Stabilität verschafft.

Für Adnoc ist der Deal Teil einer langfristigen Diversifikationsstrategie. Der Staatskonzern sucht seit Jahren nach Wegen, seine Wirtschaft breiter aufzustellen. Mit Covestro erhält Adnoc Zugang zu Technologien, Märkten und industriellem Know-how, das in den VAE erst im Aufbau ist. Hochleistungs- und Spezialpolymere werden so zu einem neuen Wachstumsfeld. In den offiziellen Statements wird die Partnerschaft als „Foundation Platform“ beschrieben – ein Hinweis auf Adnocs Ziel, eine global relevante Spezialchemiesparte zu etablieren. Covestro dient als Produktionsstandort und Wissensquelle: Polymerchemie, Recycling, Kreislaufwirtschaft und Prozessengineering gehören zu den Kompetenzen, die Adnoc bislang nur begrenzt besitzt.

Unterm Strich ergibt sich ein nüchternes, aber schlüssiges Kalkül: Covestro gewinnt Kapital und Stabilität, Adnoc industrielle Tiefe. Europa bringt Know-how ein, Abu Dhabi das Kapital – eine Partnerschaft komplementärer Interessen.

Reaktionen auf die Covestro-Übernahme

Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Die IG BCE hatte früh signalisiert, dass eine Übernahme nur tragfähig sei, wenn Arbeitsplätze und Standorte langfristig gesichert bleiben. Die Gewerkschaft betonte Beschäftigungssicherung und Mitbestimmung als zentrale Bedingungen – Forderungen, die Covestro und Adnoc im Investment Agreement aufgriffen. Entsprechend bewertet die IGBCE die Garantien positiv und sieht darin eine Stabilisierung der Belegschaftssituation.

Die Haltung der Industrieverbände ist zurückhaltender. Der VCI verweist regelmäßig auf Investitionshemmnisse in Deutschland – ein Kontext, in dem die Kapitalstärke eines Partners wie Adnoc durchaus als Chance gilt. Gleichzeitig bleibt Skepsis, wenn ein deutsches Unternehmen an einen ausländischen Investor verkauft wird.

Auch die Politik reagiert zweigeteilt. Die Bundesregierung wertete den Einstieg eines finanzstarken Investors als positives Signal für den Industriestandort. Die EU hingegen sah im FSR-Verfahren die Aufgabe, sicherzustellen, dass keine wettbewerbsverzerrenden Subventionen im Spiel sind. Die Entscheidung für eine vertiefte Prüfung zeigt, dass der Vorgang politisch sensibel war, auch wenn die Kommission am Ende zustimmte.

Folgen der Übernahme: Was sie für die Chemieindustrie bedeutet

Der Deal verdeutlicht die wachsende Rolle staatsnaher Investoren in Schlüsselbranchen. Europäische Chemieunternehmen sind angesichts hoher Kosten und schwacher Märkte häufiger auf externes Kapital angewiesen – ein Trend, den die Covestro-Übernahme exemplarisch unterstreicht. Die Transaktion zeigt zudem, wie sehr sich das europäische Investitionsumfeld verändert hat. Die FSR-Prüfung war kein politischer Konflikt, sondern Teil eines neuen Regulierungssystems, das gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherstellen soll. Covestro zählt damit zu den ersten großen FSR-Testfällen – ein Hinweis darauf, wie künftige Übernahmen bewertet werden.

Auch im internationalen Wettbewerb dürfte der Deal Wirkung zeigen. Mit Covestro erhält Adnoc Zugang zu Technologie und Märkten im Bereich Spezialpolymere – einem Segment mit hohem Investitionsbedarf und globalem Wettbewerb. Für Covestro eröffnet die neue Eigentümerstruktur zusätzliche Investitionsmöglichkeiten, während Wettbewerber einen gut kapitalisierten Akteur mehr berücksichtigen müssen. Unterm Strich ist die Übernahme Teil eines größeren Strukturwandels in der globalen Chemie. Sie zeigt, dass Kapital, Technologie und industrielle Schwerpunkte internationaler verteilt sind – und dass europäische Unternehmen zunehmend in diesem Umfeld agieren müssen.