Die Geschichte der Chemieindustrie ist auch geprägt von Katastrophen: Vom Anfang der Industrialisierung bis in moderne Zeiten kam es trotz wachsenden Sicherheitsbewusstseins immer wieder zu Unfällen, die die Branche nachhaltig verändert haben.
Am noch jungen BASF-Standort Oppau explodieren mehr als 450 t des Düngemittels Ammonsulfatsalpeter, die Explosion tötet 559 Menschen und verwüstet die nahegelegene Ortschaft. Ursache ist eine Verfahrensänderung, die unbemerkt zu einer deutlich höheren Zündfähigkeit des Düngers führt. Es ist bis heute der schwerste Unfall der Firmengeschichte und das größte Chemieunglück in Deutschland.
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1948: Kesselwagenexplosion in Ludwigshafen
Bei der Explosion eines Kesselwagens mit rund 30 t Dimethylether auf dem BASF-Gelände Ludwigshafen sterben mehr als 200 Menschen, mindestens 3.800 werden verletzt. Ursache war vermutlich die Kombination aus einer falsch berechneten Volumenreserve und einer fehlerhaften Schweißnaht des Tanks, sodass dieser dem wachsenden Druck bei Außentemperaturen über 30 °C nicht mehr standhielt.
1968: Chemieunfall in Bitterfeld
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(Bild: CPG)
Beim Abdichten von Lecks in der PVC-Produktion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld explodiert das aus dem Reaktionsbehälter abgelassene Vinylchlorid. Die Explosion tötet 42 Menschen und zerstört das Werk. In der zuvor fast ausschließlich auf Planerfüllung ausgerichteten Chemieproduktion der DDR spielen Arbeits- und Umweltschutz nach dem Unfall eine größere Rolle. Seit 2019 erinnert ein Denkmal im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen an die Katastrophe.
1974: Flixborough-Unglück
Ein undichter Reaktor im Chemiewerk Flixborough, England, wird provisorisch mit Rohrleitungen überbrückt, um den Betrieb bis zur nächsten Wartung aufrechtzuerhalten. Beim Wiederanfahren nach der Wartung zwei Monate später tritt Cyclohexan aus und entzündet sich, durch die folgende Explosion sterben 28 Menschen. Die britischen Behörden verschärfen die Auflagen für Engineering, Design und geschultes Personal in Chemieanlagen.
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1976: Seveso-Unglück
Die Synthese von Trichlorphenol im Icmesa-Werk in Meda, Italien, gerät außer Kontrolle, das hochgiftige Nebenprodukt Tetrachlor-Dibenzodioxin (TCDD) tritt aus. Die Dioxinwolke lässt in den umliegenden Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno viele Pflanzen und über 3.000 Nutztiere verenden. Eine Folge dieser Katastrophe und des Flixborough-Unglücks zwei Jahre zuvor ist die Seveso-Richtlinie. TCDD ist bis heute als „Seveso-Gift“ bekannt.
In Bhopal, Indien, gelangt im Werk des Chemiekonzerns Union Carbide durch Betriebsfehler und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen Wasser in einen Tank mit Methylisocyanat. Die auftretende Reaktion bringt den Tank zum Explodieren, und bis zu 40 t Methylisocyanat sowie Reaktionsprodukte wie Methylamin verbreiten sich als giftige Wolke in der Umgebung. Die Zahl der Todesopfer ist bis heute ungewiss, sie reicht je nach Quelle von 3.800 bis 25.000.
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1986: Großbrand von Schweizerhalle
(Bild: Getec)
Im Industriegebiet Schweizerhalle bricht beim Chemiekonzern Sandoz ein Großbrand aus, vermutlich beim Erhitzen von Plastikfolie zum Verpacken des Farbpigments Berliner Blau. Die Löscharbeiten spülen mit Pflanzenschutzmitteln belastetes Wasser in den Rhein, was ein weitreichendes Fischsterben auslöst. Als Folge des Unfalls richteten die Anliegerstaaten den Rheinalarm ein, um bei Störfällen entlang des Flusses besser kooperieren zu können.
2001: Düngerexplosion von Toulouse
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In einer Lagerhalle des Düngemittelherstellers AZF in der französischen Stadt Toulouse explodieren rund 300 t Ammoniumnitrat, die Explosion tötet 31 Menschen. Der genaue Auslöser ist nicht abschließend geklärt. Der Unfall erinnert nicht nur in Ausmaß und Ursache an die Katastrophe in Oppau achtzig Jahre zuvor: Das Werk in Toulouse entstand Mitte der 20er Jahre als Kopie des Oppauer Stickstoffwerks.
Im Hafen von Beirut, Libanon, geraten bei Schweißarbeiten in der Nähe gelagerte Feuerwerkskörper in Brand. Das Feuer bringt rund 2.750 t Ammoniumnitrat in einem Lagerhaus zur Explosion, mindestens 190 Menschen sterben. Die explosive Chemikalie stammte aus einem beschlagnahmten Schiff und lagerte dort schon seit Jahren, auf wiederholte Warnungen der Zollbehörden geschah jedoch nichts. Sechs Tage nach der Explosion tritt die Regierung zurück.