Die Smart-Bio-H2-BW genannte Anlage nutzt in der Produktion anfallende Spülwässer und Reststoffe, um daraus mithilfe zweier gekoppelter biotechnologischer Verfahren grünen Wasserstoff und organische Grundstoffe herzustellen.
Die Anlage wurde vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB konzipiert, geplant und aufgebaut. Sie besteht aus zwei gekoppelten Verfahrensmodulen zur biotechnologischen Produktion von Wasserstoff: der fermentativen Dunkelphotosynthese durch Purpurbakterien und einem zweistufigen Prozess mit Mikroalgen.
Rohstoffe aus Reststoffen
„Durch die intelligente Kopplung dieser beiden Verfahren zu einem kombinierten Bioraffinerie-Konzept wird es möglich, industrielle feste und flüssige Reststoffströme, die in der Produktion am Standort anfallen und bisher teuer als Abfall und Abwasser entsorgt werden mussten, effizient und ohne Emissionen als Rohstoffe zu nutzen“, erklärt Dr.-Ing. Ursula Schließmann, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IGB und Koordinatorin des Projekts.
Zunächst galt es hierfür zu untersuchen, wie sich die Reststoffströme des Standorts konkret zusammensetzen und ob die Organismen tatsächlich mit ihnen zurechtkommen. Als flüssige Reststoffströme fallen in Rheinfelden ethanolhaltige Spülwässer an, mit denen die Produktionsanlagen gereinigt werden.
Laut Schließmann können jene Spülwässer jedoch weitere Substanzen enthalten, die toxisch oder hemmend auf die Bakterien und Mikroalgen wirken. Deshalb wurden die Verfahren zunächst am Fraunhofer IGB separat unter Laborbedingungen mit den Evonik-Abfallströmen getestet und dann in einen größeren Maßstab skaliert.
Das Ergebnis hat gezeigt, dass das Spülwasser neben Ethanol weitere Alkohole sowie Reste der synthetisierten Produkte enthält. Diese beeinträchtigen Schließmann zufolge jedoch weder das Wachstum der Purpurbakterien noch das der Mikroalgen.
Wasserstoff durch Dunkelfermentation von Purpurbakterien
Im Juli 2024 wurden die beiden Bioverfahrensmodule zum Werk nach Rheinfelden transportiert und in Betrieb genommen. Nachdem die Verfahrenseinheiten nun miteinander gekoppelt sind, kann der Demonstrationsbetrieb unter realen Bedingungen starten.
In der ersten Stufe kommt das Purpurbakterium Rhodospirillum rubrum zum Einsatz, das mittels der Dunkelphotosynthese, einer neuen Art der Fermentation, auch ohne Licht aus verschiedenen Kohlenstoffsubstraten Wasserstoff erzeugen kann. In Rheinfelden dient den Purpurbakterien Ethanol aus dem Spülwasser als Kohlenstoffsubstrat und Energiequelle.
Für ein ausreichendes Wachstum und die Synthese von Wasserstoff musste die Zusammensetzung des Fermentationsmediums angepasst werden. Dadurch produziert das Bakterium nicht nur den gewünschten Wasserstoff, sondern auch weitere nutzbare Stoffe wie Carotinoide, fettlösliche Pigmente, den Biokunststoff Polyhydroxyalkanoat und CO2 als Nebenprodukte.
„Da die wasserstoffproduzierenden Enzyme der Purpurbakterien sehr sauerstoffempfindlich sind, ist die präzise Kontrolle des Sauerstoffgehalts bei der Fermentation eine Herausforderung im Betrieb“, so Dr.-Ing. Susanne Zibek, Leiterin der Bioprozessentwicklung am Fraunhofer IGB.
Mikroalgen binden Nebenprodukt CO2
Um die Emission von CO2 zu vermeiden, wird dieses in einem weiteren Schritt der angekoppelten Mikroalgenanlage zugeführt. Die photosynthetisch wachsenden Mikroalgen benötigen für den Aufbau von Biomasse oder Speicherprodukten – ebenso wie grüne Pflanzen – CO2 , folglich Licht und Nährstoffe. In der Demonstrationsanlage werden Mikroalgen der Art Chlorella sorokiniana in einem mittels LED-beleuchteten kompakten Photobioreaktor kultiviert. Dieser weist dem Fraunhofer IGB zufolge einen hohen Automatisierungsgrad auf und bietet viel Volumen auf kleiner Fläche.
Das Verfahren wird so betrieben, dass die Mikroalgen aus dem anfallenden CO2 Stärke als nutzbares Produkt herstellen. Die benötigten Nährstoffe stammen dabei aus einem zweiten in Rheinfelden, diesmal in fester Form anfallenden, Reststoffstrom: Ammoniumchlorid. Auch Mikroalgen können unter bestimmten Bedingungen Wasserstoff zu bilden. Hierzu spalten sie mithilfe von Lichtenergie Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff.
„Um den Prozess technisch nutzen zu können, muss der entstehende Sauerstoff auch hier kontinuierlich aus dem System entfernt werden, da er die Wasserstoffproduktion der Algenzellen hemmt“, erläutert Dr. Ulrike Schmid-Staiger, Leiterin der Algenbiotechnologie am Fraunhofer IGB. Ihr zufolge wird ein hierfür entwickelter Photobioreaktortyp in den kommenden Wochen in die Anlage integriert, um die Gesamtausbeute an Biowasserstoff weiter zu erhöhen.
Prozessmodell als Bewertungsgrundlage
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA beteiligt sich an dem Projekt mit der Erstellung eines Prozessmodells, das die wichtigsten Inputs und Outputs des gesamten Bioraffineriekonzepts vorhersagen soll. Das Modell soll zudem die Grundlage für die ökologische und ökonomische Bewertung der Bioraffinerie liefern.
Auf Basis der praktischen Erfahrungen soll anschließend ermittelt werden, ob sich eine Anlage im industriellen Maßstab wirtschaftlich lohnen würde. Neben der durch Automation verbesserten Ausbeute sollen auch die eingesparten Entsorgungs- und Transportkosten positiv zur Gesamtbilanz beitragen.
Das Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme (IBBS) der Universität Stuttgart ist ein weiterer Projektpartner.
Im Rahmen des Förderprogramms „Bioökonomie – Bioraffinerien zur Gewinnung von Rohstoffen aus Abfall und Abwasser – Bio-Ab-Cycling“ unterstützt das baden-württembergische Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft das Projekt mit Landesmitteln und Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung. Die Förderung begann im Oktober 2021 und soll im Oktober 2024 enden.