Der Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Markus Steilemann, fasste die "trübe Bestandsaufnahme" auf der Bilanzkonferenz des Verbandes zusammen: "Der einzige Lichtblick ist, dass sich die rasante Talfahrt der letzten beiden Jahre nicht weiter fortgesetzt hat.“ 2024 verbuchte die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie ein Plus von 2 % – das ist weniger, als sich die Branche nach dem positiven Jahresbeginn erhofft hatte. Insgesamt liegt der Output weit unter dem Niveau der vergangenen Jahre: Die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie fiel 2024 rund 16 % niedriger aus als 2018, die Chemie verzeichnete ein Minus von 17 %.
Aufträge waren Mangelware in diesem Jahr – und sie fehlen weiterhin. Die Produktionsanlagen wurden 2024 im Schnitt nur zu 75 % ausgelastet. Seit nunmehr vier Jahren in Folge liegt die Chemie- und Pharmabranche damit deutlich unter dem notwendigen Grundwert für einen rentablen Betrieb. Als Konsequenz wurden in den vergangenen Monaten erste Anlagen dauerhaft geschlossen. Weitere Stilllegungen werden wohl folgen. Die Produktion chemischer Grundstoffe konnte in diesem Jahr um rund 8 % gesteigert werden. Jubel ist in diesem Zusammenhang verfehlt: Die Grundstoffproduktion wurde in den Vorjahren um mehr als ein Viertel zurückgefahren. Dies gilt auch für Polymere und Konsumchemikalien, deren Produktionszahlen sich 2024 etwas langsamer erholten, um 4 beziehungsweise 2 %. Bereits zum dritten Mal in Folge gab es einen Produktionsrückgang bei den Herstellern der Spezialchemie – in diesem Jahr lag er bei 2 %.
Die Pharmaproduktion meldet für 2024 ein Minus von 1,5 %. Verantwortlich dafür waren Lieferkettenprobleme, Kapazitätsengpässe und hohe Kosten am Standort Deutschland. On top kam ein deutlicher Rückgang der Bestellungen aus Europa und den USA hinzu. Chemie und Pharma erwirtschafteten in diesem Jahr einen Umsatz von 221 Mrd. Euro (-2 %). Das Minus im Auslandsgeschäft (139 Mrd. Euro) beläuft sich auf 1 %, die Verkäufe in Deutschland (82 Mrd. Euro) sanken um 4 %. Rückläufige Preise haben das Umsatzminus verstärkt. Im Schnitt waren Chemikalien 2,5 % günstiger als im Vorjahr.
Chemieindustrieverband fordert mehr Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen
Der VCI erwartet für das nächste Jahr ein geringes Produktionsplus von 0,5 %. Pharma wird voraussichtlich ein leichtes Plus (0,5 %) erzielen, der Chemiebereich stagnieren. Der Branchenumsatz wird wegen hoher Erzeugerpreise und niedrigem Auftragsbestand erlahmen (0 %). Die Branchenpreise könnten leicht sinken (-0,5 %). Die VCI-Mitgliedsunternehmen zeigen sich in einer aktuellen repräsentativen Mitgliederbefragung gespalten: Die Zuversichtlichen erwarten für den Sommer oder Herbst 2025 einen Aufwärtstrend. Jedes zweite Unternehmen rechnet aber erst 2026 oder später mit einer Erholung der Nachfrage.
Deutschland fällt in puncto Dynamik im internationalen Vergleich weiter zurück – sowohl in der Gesamtwirtschaft als auch in der Industrie und in der Chemie. Laut Sachverständigenrat liegt das Potenzialwachstum der Wirtschaft bei 0,4 % pro Jahr. Grund dafür ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, die unter hohen Produktionskosten und einer wachsenden Bürokratie leidet. Steilemann betont: „Die Politik redet zwar von Bürokratieentlastung. In der Realität verstrickt sie uns aber in immer mehr kleinkarierte Regulierungen. Daran ist aber nicht allein die Bundesregierung schuld. Das Epizentrum der Bürokratie ist Brüssel. Die Kommission reguliert Europa in den Stillstand.“ Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssten deutsche Chemie- und Pharmaunternehmen ihre Produktivität, Effizienz und Effektivität um 10 bis 30 % steigern. Das hat kürzlich die Unternehmensberatung Boston Consulting in einer vom VCI in Auftrag gegebenen Studie analysiert.
Innovationen und Investitionen sind nötig, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Die aktuelle Lage und fehlende Perspektiven führen aber dazu, dass Investitionsprojekte zum Teil auf Eis gelegt und Innovationsbudgets gekürzt werden. Im Branchendurchschnitt fahren VCI-Mitglieder diese Budgets gerade in Deutschland herunter. Im Gegenzug nehmen Investments im Ausland (USA, Asien und Europa) bei knapp der Hälfte der VCI-Mitglieder zu. Steilemann kritisierte hierbei viel zu lange Genehmigungsverfahren, die unnötig bürokratisch in die Länge gezogen werden. Hier helfe nur noch eine Entbürokratisierung "mit der Kettensäge". Außerdem fehle es nicht an Wissen und Fachkenntnis bezüglich zu fällender Entscheidungen, sondern bedauerlicherweise seien vor allem politischer Wille und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, kaum erkennbar.
Mit folgenden Forderungen wendet sich der VCI an die kommende Bundesregierung
- Wettbewerbsfähige Energiepreise: Die Stromgesamtkosten sind im internationalen Vergleich zu hoch. Es fehlt an gesicherten Erzeugungskapazitäten, Speichern und ausreichenden Stromnetzen.
- Bürokratie abbauen und Genehmigungen beschleunigen.
- Unternehmenssteuerreform mit deutlicher Absenkung der Steuerlast.
- Ausgaben priorisieren: Kein Einsparen bei Infrastruktur, Sicherheit und Bildung. Neben der Schuldenbremse sind verbindliche Fiskalregelungen und eine staatliche Vermögensrechnung nötig.
"2025 muss wirtschaftspolitischen Aufbruch bringen"
Abschließend appellierte VCI-Präsident Steileman an die Politik, sowohl auf EU-Ebene wie auch die kommende Bundesregierung und forderte: „Berlin und Brüssel müssen überzeugende Antworten für eine Reihe von dringenden Herausforderungen finden. Es gilt, grüne Transformation und wirtschaftlichen Erfolg in Einklang zu bringen.“ Die Voraussetzungen für einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag seien angesichts der in Deutschland anstehenden Neuwahlen gut. Auch die EU-Kommission wolle die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder stärken. „Machen wir 2025 zum Jahr der Wirtschaftswende", bekräftigte Steilemann: "Chemie und Pharma sind bereit für den Aufbruch.“