Die Erholung nach dem zum ersten Quartal berichteten „Lichtblick“ verlor im zweiten Quartal an Schwung. Der Grund: Die deutsche Industrie drosselte in den vergangenen drei Monaten die Produktion und hielt sich mit Chemikalienbestellungen zurück. Auch die Nachfrage aus dem Ausland war rückläufig. Viele Chemieanlagen waren wegen des andauernden Auftragsmangels weiterhin nicht rentabel ausgelastet. Zudem legten die Energie- und Rohstoffkosten zuletzt wieder zu. Auch im Pharmageschäft zeigen sich mittlerweile erste Risse im Fundament. Die Verkäufe pharmazeutischer Erzeugnisse ins Ausland waren zuletzt rückläufig. Und auch die Produktion rutschte ins Minus.
„Belebung der Nachfrage zeichnet sich nicht ab“
VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup sagt zur konjunkturellen Lage der Branche: „Die Stimmung in unserer Branche hat sich wieder spürbar abgekühlt. Denn die Weltwirtschaft hat nicht wie erhofft Fahrt aufgenommen. Eine nachhaltige Belebung der Nachfrage zeichnet sich daher nicht ab. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerbsdruck zu. Auch die strukturellen Probleme am Standort Deutschland sind nach wie vor ungelöst. Die angekündigte Wachstumsinitiative ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber die Ankündigung allein hat noch keinen Stimmungsumschwung bewirkt. Inzwischen erwägen vier von zehn Industrieunternehmen, die Produktion weiter zu drosseln oder gar ins Ausland abzuwandern. Es ist höchste Zeit, die strukturellen Probleme am Standort endlich konsequent anzugehen. Auch bei der Pharmastrategie sehen wir noch Luft nach oben.“
Für das Gesamtjahr 2024 rechnet der VCI weiterhin mit einem Anstieg der Produktion um 3,5 Prozent. Trotz rückläufiger Preise dürfte der Branchenumsatz in diesem Jahr um 1,5 Prozent zunehmen. Die Produktion stieg im Vergleich zum Vorquartal um 0,8 Prozent. Damit lag sie um 3,7 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die Kapazitäten der Branche waren zuletzt mit 75,1 Prozent weiterhin nicht rentabel ausgelastet. Die Erzeugerpreise legten aufgrund steigender Kosten im Vergleich zum Vorquartal um 0,8 Prozent zu. Damit waren chemische und pharmazeutische Erzeugnisse aber immer noch 2,4 Prozent günstiger als ein Jahr zuvor. Der Gesamtumsatz der Chemie- und Pharmaindustrie sank saisonbereinigt um 0,7 Prozent auf insgesamt 53,8 Milliarden Euro. Das Vorjahresniveau wurde ebenfalls leicht verfehlt. Die Beschäftigung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie blieb nur dank eines Zuwachses im Pharmabereich mit rund 479.500 Beschäftigten auf einem hohen Niveau.
Wie ist die Lage der Chemieindustrie in Europa?
Ein ähnliches Bild wie der VCI zeichnet der Europäische Chemieindustrie-Verband Cefic: Seit dem zweiten Quartal 2023 bobachtet der Verband einen leichten Anstieg der Produktion. Dieser Trend hält auch 2024 bislang an und zeigt eine stetige, wenn auch langsame Verbesserung. Die Chemieproduktion in Europa ist nach dem Tiefstand in Q2 2023 zuletzt vier Quartale in Folge gestiegen.
Allerdings, so schränkt der Verband in einer Mitteilung ein, sind die produzierten Mengen noch weit vom "Vor-Covid-Niveau" entfernt. Ein Grund hierfür sind nach wie vor hohe Energiepreise, die Cefic als "in globalem Maßstab nicht wettbewerbsfähig" bezeichnet. So sei der Gaspreis derzeit 4.7 % höher als in den USA (Stand Anfang September 2024).Hinzu kommt eine vergleichsweise schwache Nachfrage, und sinkende Aktivitäten in den meisten Zweigen der fertigenden Industrie in Europa lassen Aufträge sinken. Dies zeigt sich auch in der Anlagenauslastung, die mit 75,2 % deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt von 81 % liegt.