- Durch die klimaneutrale Transformation und die Folgen der Corona-Krise kommt der Bundestagswahl 2021 eine besondere Bedeutung für die Industrie zu.
- Der Chemieverband VCI fordert von der neuen Bundesregierung zur Bewältigung dieser Herausforderungen vor allem stärkere Unterstützung etwa bei Genehmigungsverfahren und Entlastungen bei Steuern und Abgaben.
- Die einzelnen Wahlprogramme der Parteien beurteilt der Verband dabei höchst unterschiedlich.
Eine besondere Bedeutung erhält die Bundestagswahl 2021 nicht nur durch den sich immer stärker abzeichnenden Klimawandel und dessen Folgen, sondern natürlich auch durch die Corona-Pandemie. Diese stelle „die größte Herausforderung seit Jahrzehnten“ dar, wie es der VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup in den Positionen des Verbandes zur Wahl formuliert. Schon jetzt zeichne sich ab, dass der Kampf gegen das Virus zu deutlichen Einschnitten in den öffentlichen Haushalten, beim allgemeinen Wohlstand und auf dem Arbeitsmarkt führen werde. Eine gezielte Industriepolitik, die Deutschland als Industriestandort stärke, sei daher „selten so wichtig gewesen wie jetzt“. Sonst drohe eine „ökonomische Krisen-Legislatur“.
Und auch ohne Corona wären die Herausforderungen schon groß genug. „Es geht jetzt um nichts weniger als um Treibhausgasneutralität in weniger als 30 Jahren“, beschreibt Große Entrup. Nicht gerade trivial „in einem Land, in dem über jede Veränderung an einem Chemiepark gestritten wird“ und einer Gesellschaft, „die neuen Technologien oft ablehnend begegnet, statt deren Chancen und Risiken ergebnisoffen zu prüfen“, meint der VCI-Funktionär.
Von Klimaschutz bis Planungsrecht
Diese Vorstellung von einer Umgebung, die dem Fortschritt eher im Weg steht, als ihn zu fördern, findet sich so auch in dem Forderungspaket wieder, das der VCI der kommenden Bundesregierung schon mal ins Stammbuch schreibt – etwa was Genehmigungsverfahren angeht. So sei der Vollzug des Umwelt- und Planungsrechts „nicht mehr zeitgemäß“. Was es dringend brauche, sei daher ein Planungsmodernisierungsgesetz. Gleichzeitig brauche Deutschland eine bessere Infrastruktur – gerade was Breitband-Kommunikationsnetze und Knotenpunkte zwischen Bahn und Binnenschifffahrt angehe.
Um die Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen, aber gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten, brauche es aber vor allem deutlich mehr erneuerbaren Strom – und das zu günstigen Preisen, fordert der VCI. Erreichbar sei dies unter anderem durch niedrigere Umlagen und Abgaben. Zusätzliche Belastungen – zu denken wäre da etwa an eine höhere CO2-Abgabe – müssten kompensiert werden. Das aktuelle Umlagen- und Abgabensystem jedenfalls sei ungeeignet, um die laufende Transformation der Industrie zu begleiten. Weitere große Belastungen – vor allem für den Mittelstand – sieht der Chemieverband beim Thema Bürokratie. Bei den Steuern sei Deutschland sogar „Schlusslicht“ im internationalen Wettbewerb und brauche daher dringend eine Steuerrechtsreform.
Doch nicht nur bei den Einnahmen, sondern auch auf der Ausgabenseite soll der Staat – trotz der erwähnten Belastungen der Haushalte durch die Corona-Pandemie – stärker anpacken: So müssten nach den Vorstellungen des Chemieverbandes Technologien wie das chemische Recycling, die Wasserstofferzeugung und die Biotechnologie anerkannt und gefördert werden. Gemeinsam mit der Wirtschaft sollen auch die Investitionen in Forschung und Entwicklung steigen: von 3,2 % des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2019 auf 3,5 %.
Viel Schatten, weniger Licht
Ob und welche dieser Forderungen des VCI tatsächlich umgesetzt werden, hängt natürlich auch entscheidend davon ab, welche Parteien in der kommenden Bundesregierung vertreten sein werden. Daher hat sich der Verband auch die neuen Wahlprogramme der bereits im Bundestag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der AfD – angeschaut.
Im Wahlprogramm der Union sieht der VCI „viele gute Elemente für eine zukunftsorientierte Industriepolitik“. Besonders positiv sieht der Verband die Pläne für eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren, die Verdopplung der steuerlichen Forschungsförderung und den Bürokratieabbau. All das seien notwendige Impulse für eine wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise. „Das sind Maßnahmen, auf die besonders unsere mittelständischen Unternehmen dringend warten“, betont der VCI-Hauptgeschäftsführer. Kritisch sieht der VCI hingegen mit Blick auf die globalen Klimaziele die Ansätze zur Eingliederung der Sektoren Gebäude und Verkehr in den EU-Emissionshandel sowie die Einführung von CO2-Grenzzöllen. Außerdem wünscht sich der VCI von der Union mehr Technologieoffenheit bei Innovationsthemen.
Auch beim derzeitigen Koalitionspartner SPD sieht der Verband gute industriepolitische Ansätze, aber auch Wachstumsbremsen. Positiv sieht der VCI etwa, dass die Sozialdemokraten die EEG-Umlage abschaffen wollen. Auch die Ideen zur Förderung von Forschung und Innovation kommen gut an – etwa für kleine und mittlere Unternehmen und im Pharma- und Medizinbereich. In anderen Bereichen bleibt das Programm hinter den Erwartungen des VCI zurück. So fehle eine klare Aussage zur Beschleunigung von Planungsverfahren und zum Bürokratieabbau. Ganz düster zeichnet der Verband darüber hinaus die Erhöhung der Einkommensteuer, eine Verschärfung der Erbschaftsteuer und Wiedererhebung der Vermögensteuer. Krisenbewältigung durch Steuererhöhungen seien die falschen Signale, so der VCI.
Zusätzliche Steuern sind dem Verband auch in den Plänen der Grünen ein Dorn im Auge. Zwar sei das politische Konzept der Partei zur Transformation Deutschlands „theoretisch gut gedacht“. Chancen für eine praktische Umsetzung sieht der VCI jedoch nicht, da die Partei es mit solchen Vorschlägen verpasse, etwa die Chemieindustrie – immerhin die drittgrößte Branche des Landes – mit ins Boot zu holen. Beispiele dafür sind nach Ansicht des Verbandes Vorbehalte und Verbote gegen chemische Produkte, kompliziertere Genehmigungsverfahren – und eben weitere Steuern. Im Bemühen um eine Balance zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen sieht der VCI „extreme Unwuchten“. „Letztlich behalten im Programm der Grünen leider die pauschalen Vorbehalte zur Industrie die Oberhand über innovative Zukunftsvisionen“, meint Hauptgeschäftsführer Große Entrup.
Ein positiveres Zeugnis hat der VCI für das Wahlprogramm der FDP. Dem Verband gefallen vor allem die Vorschläge zur Forschungsförderung, zur Reform der Unternehmenssteuern und zur Abschaffung der EEG-Umlage. Schlecht kommen bei Hauptgeschäftsführer Große Entrup dagegen die Vorschläge zum Rückholen der Pharmaproduktion nach Deutschland weg: „Die internationale Arbeitsteilung hat sich bewährt. Globale Herausforderungen lassen sich heute nicht mehr national lösen“. Insgesamt sieht der VCI im Programm noch Konkretisierungsbedarf. Absolut richtig sei es jedoch, die Steuern nicht zu erhöhen, an der Verschuldungsbremse festzuhalten und auf Wachstum und Technologieoffenheit zu setzen.
Wenig überraschend fällt das Urteil des Verbandes zum Wahlprogramm der Linken aus. Der Partei fehlten demnach ernsthafte industriepolitische Ideen für ein zukunftsfestes Deutschland. Auch hier stehen einmal mehr Pläne für höhere Steuern unter Beschuss. Insgesamt wirkten die industriepolitischen Ansätze der Linken „wie aus der Zeit gefallen“, so der VCI. Das betrifft etwa den Vorschlag, die pharmazeutische Industrie in öffentliche oder gesellschaftliche Eigentumsformen zu überführen. „Staatswirtschaft wäre angesichts der hier gerade unter Beweis gestellten Innovationskraft ein extrem gefährliches Manöver“, so Wolfgang Große Entrup. Doch auch einen positiven Punkt hat der VCI im Programm gefunden: nämlich den Vorschlag, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien für mehr Ökostrom gefördert werden soll. Das Ziel von 100 % Erneuerbaren bis 2035 zu erreichen, bezeichnet der VCI aber als überambitioniert, da die Wege dafür nicht schlüssig dargelegt werden.
Die Sympathien des Chemieverbandes scheinen bei dieser Wahl also recht eindeutig verteilt. Die Spannung bleibt dennoch weiter hoch. Denn über die entscheidenden Weichenstellungen für Deutschland nach dem 26. September entscheidet – so eine Binsenweisheit in der Demokratie – nur einer: der Wähler.