Zur Person
Nach seinem Studium der technischen Chemie und Promotion in Wien startete Dr. Peter Pötschacher seine berufliche Karriere 1996 im Projektgeschäft für Biethanol bei Vogelbusch. Nach Stationen als Technologie-Direktor Bioethanol sowie Head of Technology Renewables bei Lurgi, übernahm Pötschacher 2011 die Rolle als E&C Director des Oleochemie-Geschäfts von Air Liquide E&C. Seit 2018 ist Dr. Peter Pötschacher Vice President Area Sales bei Air Liquide E&C.
CT: Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen im Anlagenbau?
Dr. Peter Pötschacher: An erster Stelle die steigende Komplexität: Moderne Anlagen erfordern eine Vielzahl von Technologien und Systemen. Nehmen Sie nur die Dekarbonisierung von Prozessen oder die Umwandlung von erneuerbaren Energien in chemische Energievektoren unter dem Stichwort Power-to-X. Auch wenn diese Moleküle in unseren Wertschöpfungsketten schon lange bekannt sind, müssen die Technologien von einer 24/7- zu einer diskontinuierlichen Arbeitsweise umgedacht werden.
Dazu kommt der Druck, Projekte schnell und kosteneffizient abzuwickeln. Dynamische Preisentwicklungen der Ausrüstung und der zugekauften Leistungen machen eine Kostenvorhersage schwierig. Ein Partnerschaftsmodell mit dem Kunden kann das Risikoprofil mit einer Gewinnerwartung in Einklang bringen. Und im Zuge der Nachhaltigkeitsbemühungen ist der Anlagenbau gefordert, sein Produktportfolio umzugestalten. Um unsere Technologieposition zu sichern, müssen wir innovative Technologien entwickeln und diese schnell auf den Markt bringen.
CT: Vor dem Hintergrund des Ingenieur- und Fachkräftemangels sicher keine einfache Aufgabe.
Pötschacher: Das ist ein wesentlicher Aspekt, der die Umsetzung von Projekten erschweren kann. Deshalb ist es wichtig, in Ausbildung und Weiterbildung zu investieren. Wir müssen mehr dafür tun, um unseren enorm innovativen, abwechslungsreichen und internationalen Industriezweig beim Nachwuchs vorzustellen.
CT: Welche Rolle kann hier die Digitalisierung spielen?
Pötschacher: Die Integration von digitalen Technologien wie IoT, Künstliche Intelligenz und digitale Zwillinge bietet viele Chancen für effizientere Prozesse im Anlagenbau und für den Anlagenbetrieb. Allerdings bringt Digitalisierung neue Herausforderungen mit sich, denken Sie nur an die Themen Datenschutz und Cybersicherheit.
Das Thema KI zeigt uns außerdem, welch großes Potenzial in der Analyse und Standardisierung von logischen Prozessen liegt: Die KI macht den groben Rahmen, der Autor verfeinert das dann. Das sollte uns inspirieren, Planungsprozesse im Anlagenbau neu zu denken – denn das geschieht bislang immer noch sehr detailliert und sehr individuell.
CT: Beim kommenden Engineering Summit wird es auch um die Frage gehen, wie der Anlagenbau seine wirtschaftliche Performance stärken kann. Wo sehen Sie die größten Hebel?
Pötschacher: Generell hat sich in den vergangenen Jahren ein stärkeres Momentum zugunsten des Anlagenbaus entwickelt. Der größte Hebel liegt heute in der Produktivität. Mit der zunehmenden Zahl von Projekten, insbesondere zur Dekarbonisierung und Elektrifizierung wächst der Bedarf an Standardisierung und effizienterem Anlagenbau. Moderne Technologien und Prozesse tragen dazu bei, die Geschwindigkeit zu steigern und die Kosten zu senken.
10. Engineering Summit
Bereits zum zehnten Mal veranstalten die VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau und Hüthig Medien / CHEMIE TECHNIK den Engineering Summit. Vom 1. bis 2. Oktober 2024 treffen sich auf der branchenübergreifenden Kommunikationsplattform Führungskräfte aus allen Segmenten des Anlagenbaus sowie Betreiber und Zulieferer. Dort werden strategische Fragestellungen, Herausforderungen und Chancen des Anlagenbaus thematisiert. In diesem Jahr stehen die Aspekte Agilität in volatilen Zeiten, Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Nachwuchsgewinnung auf dem Programm. Nähere Informationen und Tickets unter www.engineering-summit.de
CT: Welchen Einfluss haben die multiplen globalen Krisen auf die Geschäftsmodelle des Anlagenbaus?
Pötschacher: Einen ganz erheblichen! Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, flexibel und digital auf Veränderungen reagieren zu können. Unternehmen mussten ihre Geschäftsmodelle schnell anpassen, um remote zu arbeiten, digitale Vertriebskanäle zu nutzen und Prozesse zu optimieren. Auch die Schwachstellen in globalen Lieferketten wurden dadurch deutlich – wir sind mehr denn je gezwungen, Lieferketten zu diversifizieren, lokale Produktion zu stärken und alternative Beschaffungswege zu finden.
Der Klimawandel und andere Umweltkrisen haben das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Resilienz gestärkt. Unternehmen müssen vermehrt nachhaltige Praktiken in ihre Geschäftsmodelle integrieren, um langfristig erfolgreich zu sein. Dazu gehört auch, innovative Technologien einzusetzen, um effizienter zu arbeiten und neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen. Diese Entwicklungen führen zu einer Anpassung der Arbeitgeber. Es werden flexiblere Arbeitsmodelle angeboten um Mitarbeiter zu halten, aber auch neue Talente ansprechen zu können.
CT: Wo liegen aktuell die größten Chancen im Anlagenbau?
Pötschacher: Da wäre zunächst der Megatrend Energiewende zu nennen, der dem Anlagenbau viele Chancen eröffnet. Aber auch die Dekarbonisierung und Elektrifizierung der chemischen und petrochemischen Industrie. Hier sehen wir die zunehmende Zahl von Projekten, vor allem in Zusammenhang mit Wasserstoff. Dazu kommt die Notwendigkeit, entsprechende Infrastrukturprojekte zu entwickeln, um beispielsweise die Kapazität des Stromnetzes, Investitionen in Speicher oder die Entwicklung neuer Terminals auszubauen.
CT: Wie reagiert Air Liquide auf diese Entwicklungen?
Pötschacher:Wir arbeiten schon seit einigen Jahren an der Weiterentwicklung unseres Portfolios in Richtung Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung. Unsere Technologien sollen die Gruppe, aber auch externe Kunden auf diesem Weg unterstützen. Dabei beschränken wir uns nicht nur auf eine Technologie: So bieten wir zum Beispiel für Carbon Capturing ein ganzes Bündel an Technologien. Je nach Applikation, Art der zur Verfügung stehenden Energie oder nachgelagerter CO2-Logistik können wir so maßgeschneiderte Lösungen anbieten. Wir bauen derzeit eine Reihe von Projekten, die auf unserem Technologieportfolio basieren, um nur ein paar Beispiele zu nennen: In Oberhausen, Deutschland, ist Trailblazer ein 20-MW-Großelektrolyseur-Projekt, das die Dekarbonisierung des Rhein-Ruhr-Industriegebiets beschleunigen soll. In Port Jerome, Frankreich, ist Normand‘Hy ein 200-MW-Elektrolyseur-Projekt, der größte im Bau befindliche PEM-Elektrolyseur, der die Emission von 250.000 Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden wird. In Rotterdam baut Air Liquide außerdem eine CO2-Abscheidungsanlage im Weltmaßstab, die an Porthos, eine der größten Infrastrukturen zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung in Europa, angeschlossen wird.
CT-Fokusthema Wasserstoff
In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.
- Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
- Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.
CT: Die Chemieindustrie in Deutschland und in Europa steht vor großen Herausforderungen, weil die Energie und Rohstoffbasis infolge des russischen Angriffskriegs durch teure LNG-Importe ersetzt werden musste. Welche Auswirkungen hat das für den Anlagenbau?
Pötschacher: Die gestiegenen Preise für Energie führen zu höheren Produktionskosten, weshalb viele Unternehmen ihre Investitionspläne in Europa überdenken. Durch das hohe Preisniveau sind die Kosten in die Höhe geschossen und zahlreiche Geschäftsvorhaben nur schwer zu realisieren. Auf europäischer und nationaler Ebene wird deshalb der Einsatz alternativer Energiequellen und Rohstoffe gefördert.
CT: CCS und blauer Wasserstoff scheinen nun auch in Deutschland salonfähig zu werden. Wie sind Ihre Erwartungen in diesem Bereich?
Pötschacher: Carbon Capture and Storage ist eine effektive Technologie um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, und ein wichtiger Faktor, die mittelfristigen Klimaziele einhalten zu können. Im „Hard to abate“-Sektor, dazu gehören die Zement- und Kalkindustrie sowie die Müllverbrennung, ist die Anwendung von CCS erforderlich. Um einen funktionierenden Markt für CO2 zu etablieren, sind allerdings noch einige Schritte nötig, um Senken zu entwickeln, die eine Sequestierung in den europäischen Industrien ermöglichen. Aber auch an Investitionen in die CO2-Infrastruktur wie Hubs zur Verschiffung oder Transport mit der Bahn, Pipeline-Lösungen oder Lösungen zur Zwischenlagerung führt kein Weg vorbei.
Aber es ist ganz klar: Wenn wir in Deutschland die industrielle Wertschöpfung halten wollen, wird es neben der erneuerbaren Wasserstoffproduktion auch nötig sein, Energievektoren wie Wasserstoff und seine Derivate zu importieren.