Wissenslücken können teuer werden. Das gilt auch bei der Distribution von Chemikalien: Geht ein dringend benötigter Stoff überraschend zur Neige, steht die Produktion oder muss der Nachschub per Expresslieferung gesichert werden. Die Zeche dafür zahlt, je nach Vertrag, entweder der Betreiber oder aber der Distributeur, mit dem ein pauschaler Liefervertrag abgeschlossen wurde. Dazu kommt, dass die Logistik bei Expresslieferungen nicht optimiert werden kann: Wo bei geplanten Fahrten Lieferungen für räumlich beieinanderliegende Kunden zusammengefasst werden können, sind bei Sonderfahrten zusätzliche Wege notwendig. Das belastet Straßen und Umwelt.
Häufig werden Chemikalien und Produktionsmittel in Großcontainern aus Kunststoff – sogenannten Intermediate Bulk Containern (IBC) – bereitgestellt. Die praktischen Behälter sind mobil und flexibel einsetzbar – doch im Vergleich zu stationären Tanks fehlt bislang meist eine Sensorik, um den Inhalt zu quantifizieren bzw. den Füllstand zu bestimmen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Meist sind an den wechselnden Aufstellungsorten keine Anschlüsse oder Infrastruktur für etwaige Messtechnik vorhanden. Und selbst dann, wenn es diese gäbe, wäre die Anbindung an die Systeme des Lieferanten in der Regel zu aufwendig und zu teuer.
„Einer unserer Kunden wollte sich mit dieser Situation nicht zufriedengeben und bat uns, eine Lösung dafür zu entwickeln“, beschreibt Clemens Hengstler, Produktmanager Digitalisierung bei Vega Grieshaber, den Ausgangspunkt einer Entwicklung, die zum autark arbeitenden Radarsensor Vegapuls Air geführt hat: „Wir haben daraufhin einen Prototyp eines batteriebetriebenen Radarsensors auf Basis der 80-GHz-Technik gebaut und festgestellt, dass die Batterielaufzeit viel länger als erwartet ist.“
Zehn Jahre und mehr verspricht der Hersteller für die Geräte, die fest verschweißt in einem cremedosenartigen Kunststoffgehäuse untergebracht, einfach auf die Oberseite der IBC aufgeklebt werden. Aufgrund der hohen Messdynamik des fokussierten Messstrahls erfassen die Geräte den Füllstand im Container durch dessen Kunststoffwand hindurch. Per Funktechnologie senden die Geräte so in regelmäßigen Intervallen ihre Informationen zum Behälterinhalt direkt an die Cloud-Applikation des Betreibers oder des Lieferanten.
Riesiger Markt in Logistikanwendungen
„Wir haben die Vision, dass zukünftig jeder Behälter und jeder Tank einen digitalen Zwilling in der Cloud haben wird, für den der Füllstand über das Web abgerufen werden kann“, sagt Hengstler. Denn in Logistikprozessen ist das Potenzial für die Vernetzung von Waren und IT-Infrastruktur entlang der Lieferkette groß: Von der Lagerhaltung über Bestellvorgänge bis hin zum Transport – so die Erwartung der Betreiber und Logistiker – lassen sich damit die Transaktionskosten deutlich senken.
Im ersten Schritt hat der Hersteller einen autarken Sensor (Vegapuls Air 235) entwickelt, der mehrfach pro Tag den aktuellen Füllstand und die Position eines IBC erfasst und diese Informationen per Funk in die Cloud übermittelt. Die Geräte nutzen dazu die Funkstandards NB-IoT, LTE-M und LoRa. Letzterer wird insbesondere von großen Unternehmen, aber auch von Kommunen genutzt, um große, weit reichende Netzwerke aufzubauen, die von einem einzelnen Betreiber genutzt werden. „Vor allem Kommunen nutzen LoRa-Netze für vielfältige Anwendungen. Beispielsweise um Parkplätze, Warmwasserzähler oder Mülleimer zu überwachen. Wir denken dort an Anwendungen wie die Überwachung von Pegelständen im Hochwasserschutz oder die Übermittlung von Füllständen von kleinen Tanks, in denen Hilfsstoffe gelagert werden“, sagt Clemens Hengstler.
Eine weitere drahtlose Technik ist das Narrow Band IoT (NB-IoT). Die Funktechnologie zeichnet sich durch einen niedrigen Energiebedarf und eine hohe Gebäudedurchdringung sowie niedrige Kosten aus. Via 4G- oder 5G-Mobilfunknetz lassen sich damit große Distanzen überbrücken. Der Sensor ist mit beiden Low-Power-Funkstandards ausgerüstet und nutzt den jeweilig verfügbaren. Gleichzeitig können auch zukünftige Standards schnell umgesetzt werden.
Anschluss an die Cloud
Im Unterschied zu klassischen Prozesssensoren, die ihre Werte über den Physical Layer einer Anlage an ein Steuerungs- oder Prozessleitsystem übertragen, kommunizieren die autarken Sensoren mit Cloudlösungen. Eine Möglichkeit ist dabei die Kombination mit dem Vega Inventory System: Auf der Basis der autark gewonnenen Daten ermittelt die Visualisierungs- und Logistik-Software optimale Bestellmengen und zukünftige Planungsziele. „Für das Optimieren der IBC-Logistik ist Vega Inventory ein Schlüssel zum Erfolg“, so Hengstler: „Die Anwendung ist längst ausgereift und kann sofort eingesetzt werden.“ Daneben lassen sich die Daten auch einfach in andere Plattformen und Systeme integrieren.
Der Hersteller hat zwei Varianten des autarken Radarsensors entwickelt, die beide auf der 80-GHz-Technologie basieren: Für die Nutzung mit IBC kommt der Vegapuls Air 23 zum Einsatz, der per Klebe-, Gurt- und Deckenmontage an den Behältern befestigt wird. Das Gerät arbeitet in Messbereichen bis 3 m. An metallischen Transportbehältern wird der Vegapuls Air 41 oder Vegapuls Air 42 eingesetzt. Dieser Sensor wird mit Gewinde oder Flansch als Prozessanschluss geliefert und deckt Messdistanzen bis 30 m ab. Die Geräte übertragen Füllstand, Temperatur, Gerätestatus und die verbleibende Batterielaufzeit. Darüber hinaus können GPS-Position, Lage und Ausrichtung des Sensors übermittelt werden.
Das Potenzial für die autarken Sensoren sieht der Hersteller allerdings weniger im Einsatz einzelner Geräte. „Der Fokus unserer Entwicklung lag von Anfang an auf einer Komplettlösung für Anwendungen wie die Überwachung von IBC in einer Logistikkette – und zwar für Füllstand und Druck. Da sehen wir noch enormes Potenzial“, fasst Clemens Hengstler zusammen.