Klimaneutrale Gesellschaft

Grundlage für die All Electric Society ist die umfassende Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung aller Sektoren von Wirtschaft und Infrastruktur. (Bild: petrmalinak@shutterstock.com)

Frank Possel-Dölken ist Chief Digital Officer und Mitglied der Geschäftsführung von Phoenix Contact
Frank Possel-Dölken ist Chief Digital Officer und Mitglied der Geschäftsführung von Phoenix Contact. (Bild: Phoenix Contact)

CT: Erneuerbarer Strom könnte künftig die Grundlage für vieles werden – auch für die Rohstoffbasis der Chemieindustrie. Was verstehen Sie unter dem Schlagwort „All Electric Society“?

Frank Possel-Dölken: Die „All Electric Society“ verstehen wir als Zukunftsbild, für das Phoenix Contact als Unternehmen einen Beitrag leisten will. Regenerative Energien sind der Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaft. Das Zukunftsbild drückt unsere Überzeugung aus, dass es möglich ist, nachhaltige und ökonomische Energieketten aufzubauen und die Energieträger Sonne und Wind in höherem Umfang nutzbar zu machen. Daran wollen wir uns als Unternehmen ausrichten.

Mathias Füller: Die All Electric Society ist eine Vision, die Phoenix Contact treibt. Das ist ein Weg, der uns deutlich länger als die nächsten 10 Jahre beschäftigen wird – als Zeichen und Zielsetzung für unser Unternehmen.

CT: Wie wirkt sich das konkret in Ihrem unternehmerischen Handeln aus?

Possel-Dölken: Als Unternehmen in der Elektroindustrie müssen wir entscheiden, in welchen Märkten wir investieren und wo wir Entwicklungen starten und Lösungen erarbeiten wollen. Zum Beispiel, ob wir helfen wollen, Energieerzeugungslösungen auf Basis konventioneller Technologien zu bauen, oder Projekte im Bereich von z.B. Power-to-X oder generell erneuerbaren Energien umzusetzen. Phoenix Contact hat sich für Letzteres entschieden.

Damit erneuerbarer Strom auf breiter Front zum Einsatz kommt, braucht es fortschrittliche Automatisierungs- und Kommunikationstechnik. Vor allem dann, wenn man verschiedene Domänen – Gebäude, Industrieanlagen, Netze wie Smart Grid – vernetzen will. Die historisch gewachsenen domänenspezifischen Technologien, wie beispielweise Bussysteme, stellen hierbei eher ein Hindernis dar.

Mathias Füller ist Vice President Vertical Market Management Process Industry bei Phoenix Contact
Mathias Füller ist Vice President Vertical Market Management Process Industry bei Phoenix Contact

CT: Braucht es dafür neue Kommunikationstechnologien?

Possel-Dölken: Nein, aber wir werden eine Konvergenz der Kommunikationstechnologien erleben. Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Single Pair Ethernet, mit dem künftig Sensoren und Aktoren ebenfalls Ethernet-basiert vernetzt werden können. Oder die TSN-Standards, mit denen wir den Zoo der Bussysteme ablösen, und die den Aufwand für die Übergänge zwischen unterschiedlichen Bussystemen eliminieren. Und der dritte Baustein ist 5G – damit entsteht Durchgängigkeit bei den drahtlosen Technologien. Denn auch dort haben wir eine Vielfalt an Technologien. Diese drei Bausteine bieten eine gute Perspektive, Aufwände zu reduzieren und komplexere Vernetzungen, z.B. bei der Sektorenkopplung, möglich zu machen.

CT: Wird es auch in der Prozessindustrie auf diese drei Technologien hinauslaufen?

Füller: Diese werden für die Zukunft definitiv wichtig sein, wir werden die Bestandsanlagen allerdings ebenso im Blick behalten. Diese werden nach und nach erneuert und laufen länger – das wird die kommenden Jahre ebenfalls prägen. Mit der Entwicklung der All Electric Society werden alte Anlagen länger und vor allem effizienter in Betrieb sein müssen. Phoenix Contact wird Daten normalisieren und aus verschiedenen Sektoren miteinander verknüpfen, um Sektoren zu koppeln und die jeweiligen Informationen miteinander zu verbinden. Die Prozessindustrie ist eine langfristig orientierte Industrie. Durch Digitalisierung wollen wir die Effizienz erhöhen und die Kunden unterstützen, sich in Richtung CO2-Neutralität zu bewegen.

Wir werden das Thema CO2 nicht sofort auf Null senken können, aber über Effizienz und Carbon Capturing and Storage lässt sich einiges erreichen.

CT: Wird das schon wahrgenommen? Denn bislang fehlt es ja am wirtschaftlichen und politischen Rahmen für die neuen Technologien wie Power-to-X.

Füller: Im Öl- und Gassektor ist das bereits in aller Munde. Deren Businessmodell muss sich deutlich verändern. Unsere Welt ist jedoch nicht über Nacht wandelbar – das wird ein langer Weg. Die Diskussion um die Wirtschaftlichkeit von grünem, blauem und grauem Wasserstoff ist voll im Gang. Aber es ist jetzt wichtig zu verstehen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien die Problematik der Speicherung und Verteilung der Energie verschärft. Wir werden Speicherlösungen benötigen.

CT: Welche Rolle wird Digitalisierung dabei spielen?

Possel-Dölken: Ihr kommt eine wesentliche Bedeutung zu, noch wichtiger sind allerdings die Technologien, die das ermöglichen – die Prozesstechnologie. Automatisierung und IT sind nur Enabler.

Wenn man sich die Chemie anschaut, dann ist die Transparenz von Informationen und Anlagenzuständen essenziell. Ohne diese ist eine übergreifende Steuerung oder die Steigerung der Ressourceneffizienz nicht denkbar. Mangelnde Informationstransparenz erweist sich auch beim Umbau von Bestandsanlagen weiterhin als großes Hindernis. Das gleiche spielt sich in der Energieerzeugung und -verteilung ab. Da kann die Digitalisierung als Befähiger oder als Verhinderer wirken.

Füller: Das lässt sich in der Chemie sehr gut beobachten. Nicht umsonst ist die Namur längst zu der Erkenntnis gelangt, dass eine rückwirkungsfreie Digitalisierung und eine Standardisierung notwendig sind, um die Digitalisierung in den Chemieanlagen deutlich zu beschleunigen.

Wilfried Grote ist Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals bei Phoenix Contact
Wilfried Grote ist Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals bei Phoenix Contact

CT: Die Umstellung der Industrie auf erneuerbare Energie erfordert die Kopplung von verschiedenen Sektoren. Was ist dafür aus Ihrer Sicht noch technologisch notwendig?

Grote: Das Portfolio von Phoenix Contact kann dafür bereits weitgehend genutzt werden. Die Digitalisierung wird uns helfen, die Lieferketten zu vernetzen. Dafür haben wir schon Lösungen und da kommt noch mehr. In der Wasserstoffwirtschaft spielen zudem Risiken und deren Beherrschung eine Rolle: Zum Beispiel Arbeitsschutz und Explosionsschutz – hier sind wir gut gerüstet und haben Geräte am Markt verfügbar. Neue Technologien wie APL und Digitalisierung werden ebenfalls unterstützen. Diese Produkte umfasst unser Portfolio bereits oder wir arbeiten an deren Entwicklung. Mit der Namur Open Architecture sind die richtigen Trends gesetzt worden.

CT: Neben Technologie spielen natürlich auch Wirtschaftlichkeit und politische Aspekte eine Rolle. Wo sehen Sie hier noch Handlungsbedarf?

Füller: Für Power-to-X fehlt bislang der regulatorische Rahmen, um das Thema wirtschaftlich voranzubringen.  Gerade bei der Wasserstoffwirtschaft und Sektorenkopplung ist weiterhin viel Basisarbeit erforderlich.

Possel-Dölken: Die zunehmende Vernetzung über die Sektoren hinweg wird immer wichtiger und ist eine zentrale Voraussetzung für die Energiewende. Dabei kommt der Cyber Security und IT-Sicherheit eine wesentliche Bedeutung zu. Denn Vernetzung und Sicherheit sind zwei Aspekte, die grundsätzlich im Konflikt zueinander stehen. Der jüngste BSI-Lagebericht hat noch einmal deutlich gemacht, dass man diesen Aspekt nicht mehr ausblenden kann. Die IT-Security muss fester Bestandteil des genetischen Codes werden, weil die Folgen ihres Fehlens schwerwiegend sein können. Das ist in der Diskussion bislang zu wenig berücksichtigt! Diese Gefahren erschweren die Energiewende.

Grote: Das Thema ist für die All Electric Society essenziell. Wir diskutieren das heute schon im Hinblick auf die Verwendung von Big Data in global aufgestellten Unternehmen. Wer früher autark und abgeschottet war, will jetzt Daten nutzen.

Füller: „Offenheit und Security“ ist unser aktuelles Schlagwort: Wir wollen Daten vernetzen, aber sicher!

Power-to-X-Technologien ermöglichen die Speicherung und den Transport von elektrischer Energie und schaffen mit sogenannten e-Fuels klimaneutrale Treibstoffe.
Power-to-X-Technologien ermöglichen die Speicherung und den Transport von elektrischer Energie und schaffen mit sogenannten e-Fuels klimaneutrale Treibstoffe. (Bild: Phoenix Contact)

CT: Ist das eine rein technische Frage? Der Hackerangriff auf die Uniklinik Düsseldorf im Sommer hat gezeigt, dass es vor allem auch an der Organisation liegt.

Grote: Technik allein genügt nicht. Das ist ebenfalls im Bereich Funktionale Sicherheit zu sehen. Im Security-Umfeld muss vieles organisatorisch und durch Schulungen gelöst werden. Das wird eine Herausforderung für die Zukunft. Phoenix Contact unterstützt seine Kunden mit Schulungsprogrammen. Security lässt sich nicht nur mit technischen Maßnahmen erreichen. In der Prozessautomation sind zahlreiche Anlagen außerdem gar nicht geschützt. Das Bewusstsein dafür nimmt zu und die Unternehmen schauen sich ihre Applikationen nun systematisch an. Das wird in der Zukunft eine erhebliche Rolle spielen.

Possel-Dölken: Die Schwierigkeit besteht zum Teil darin, dass Software-Systeme auf verschiedenen Plattformen und Komponenten aufbauen, die nicht einmal die Hersteller kennen. Bei dem, was verbaut ist, muss man nachhalten, ob es Sicherheitsprobleme gibt. Das ist in vielen Bereichen noch nicht angekommen – teilweise steht dadurch die Tür sperrangelweit offen. Ebenso erfordert die Definition und Umsetzung von IT-Security entsprechendes Expertenwissen, was heute in der Breite nicht vorhanden ist, sowie eine kontinuierliche Weiterentwicklung, da sich auch Angriffsvektoren ständig ändern.

CT: Wie können Sie hier helfen?

Füller: Phoenix Contact hat sich nach IEC 62443 zertifizieren lassen und ist dabei, in den wesentlichen Industrien Blueprints zu erstellen, die eine Systematik für IT-Security in Prozessanlagen beschreiben. Wir haben ein Team, das Kunden darin berät, wie sie Anlagen sicherer gestalten können. Cyber Security ist nicht nur ein menschliches Thema. Wir sind ebenfalls dabei, durch Patch- und Device-Management Anlagen sicherer zu machen. Das Ziel: Patches automatisiert auf alle Komponenten spielen, um Cyberrisiken zu minimieren oder ganz auszuschließen.

Possel-Dölken: Beim Thema Asset Management ist die Chemieindustrie weiter als die klassische diskrete Fertigungsindustrie. Die Chemie ist deutlich sicherheitsbewusster und hat schon immer kontrolliert, welche Komponenten zum Einsatz kommen. In anderen Industrien weiß man häufig nicht, welche Geräte mit welchen Softwareständen installiert sind. Das muss alles bekannt und im Griff sein, wenn man einen hohen Sicherheitsstandard erreichen will.

 

 

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