CT: Wie äußert sich der Fachkräftemangel in der Schüttgutbranche?
Jan Winkel: Die Baubranche generell wie auch die Umwelt- und Energiebranche sind vom Fachkräftemangel stärker betroffen als andere. Bei den Mitgliedsunternehmen im Verband sieht man das durchweg bei den kleineren, mittelständischen und großen Unternehmen: Überall fehlen junge Leute.
Das hängt natürlich auch mit dem demografischen Wandel zusammen: Der größte Anteil der deutschen Demografie, die Baby-Boomer, gehen nun langsam in Rente, und die sind nun mal nach Anzahl die erwerbskräftigsten gewesen. Es kommen einfach zu wenig junge Leute nach, und es kommen vor allem in dieser Industrie zu wenig junge Leute nach. Es liegt auch größtenteils daran, dass die Jobs für junge Leute anscheinend nicht so interessant sind wie andere Jobs. Das kann daran liegen, dass Unternehmen sich natürlich gerade um junge Leute reißen, und entsprechend ein Überangebot an Jobs auf dem Markt ist. Deshalb gibt es auch immer kürzere Verweilzeiten von Leuten im Unternehmen, weil diese verständlicherweise auch häufiger den Job wechseln, wenn sie woanders zum Beispiel mehr Geld bekommen.
Damit verbundene Probleme für die Unternehmen sind das wiederkehrende Anlernen neuer Mitarbeiter und dass das Fachwissen der älteren Generation nicht so gut an die jüngeren Mitarbeiter weitergegeben werden kann. Das führt am Ende zu einem Know-how-Verlust.
CT: Gibt es schon erkennbare Folgen oder Effekte, unter denen die Unternehmen leiden?
Winkel: Man sieht das bereits ganz stark daran, dass es in unserem Bereich einen großen Zuwachs an Subunternehmen gibt. Diese werden etwa von Betreibern beauftragt, wenn denen das nötige Personal fehlt. Es zeigt sich auch einerseits an Umsatzrückgang oder zumindest Stagnation, wenn manche Aufträge wegen Personalmangel nicht angenommen werden können. Andererseits sind Mitarbeiter überlastet, wenn sie mehr Arbeit übernehmen müssen. Dann nehmen psychische Belastung und Burnout zu, oder die Leute wechseln in andere Jobs, auch um auf ihre Gesundheit zu achten. Wir sehen, dass die Mitarbeitenden immer länger arbeiten und die Unternehmen auch auf die älteren Menschen angewiesen sind. Viele gehen in Rente und arbeiten trotzdem noch bis 75 für ihr Unternehmen. Die Unternehmen überaltern also merklich.
CT: Warum ist gerade der Maschinen- und Anlagenbau verwundbar für diese Effekte?
Winkel: Ich denke, dass der Anlagenbau aktuell nicht unbedingt der attraktivste Arbeitgeber auf dem Markt ist. Es gibt genug Unternehmen, die es sich zum Beispiel leisten können, dass Leute unter 40 Stunden die Woche arbeiten, die flexible Arbeitszeiten anbieten können und dazu noch weitere Benefits wie Kinderbetreuung, was gerade für junge Eltern interessant ist.
Bei uns im Bereich funktioniert das nicht, weil wir am Ende des Tages die Arbeit getan bekommen müssen und so schon zu wenig Leute haben. Die Arbeitszeit zu reduzieren ist zwar eine gute Idee, insbesondere wenn man sich anschaut, was etwa die Monteure zum Teil leisten müssen. Aber das funktioniert nicht, wenn in der verbleibenden Zeit die nötige Arbeit nicht mehr getan werden kann.
Ich verstehe, dass man Menschen mit attraktiven Bedingungen anwerben will und muss. Aber man kann sie derzeit kaum anwerben für einen Beruf, in dem man auch mal Überstunden machen muss – das ist sowohl auf den Baustellen so wie auch in Büros.
CT: Das bedeutet, Maßnahmen der Unternehmen, um trotz Fachkräftemangel erfolgreich zu sein, machen also gleichzeitig die Jobs in solchen Unternehmen noch unattraktiver?
Winkel: Solche Maßnahmen sind unserem Bereich einfach nicht umzusetzen, im Chemie- wie auch im Bau- oder Ingenieurbereich. Wir schneiden statistisch in diesen drei Bereichen am schlechtesten ab, was wechselnde Arbeitszeitverteilung angeht. Es gibt genug zu tun, was an sich ja gut ist, es sind gesicherte Jobs für die nächsten Jahre. Aber wir können nicht dieselben Dinge bieten wie zum Beispiel ein großes IT-Unternehmen, Benefits wie flexible Arbeitszeiten oder Remote Working.
CT: Ist es schwer umzusetzen aufgrund technischer Gegebenheiten oder aufgrund der fehlenden Bereitschaft der Unternehmen oder der Branche selbst?
Winkel: Ich habe bis jetzt bei den Unternehmen gesehen und erlebt, dass die Bereitschaft zum Homeoffice insbesondere nach Corona überall vermehrt aufkommt. Was unsere Branche betrifft, haben wir im Bereich Digitalisierung aber auch sicherlich noch Nachholbedarf. Vielen Unternehmen fehlen aber die Möglichkeiten und Kapazitäten, um solche notwendigen Systeme einzuführen. Insbesondere die älteren Mitarbeiter setzen sich damit im Schnitt weniger auseinander, während jüngere Menschen schon im Studium mit Online-Systemen arbeiten. Gleichzeitig gebe ich den Unternehmen in unserer Branche recht, dass Arbeit von zuhause bei uns nur begrenzt sinnvoll oder möglich ist. Wir müssen oft vor Ort zusammenarbeiten, wir müssen uns oft auch mehrfach pro Woche besprechen, und es gibt immer wieder Veränderungen eines Projekts, die mehrere Leute gleichzeitig mitbekommen müssen. Natürlich gibt es dafür auch technische Lösungen.
Aber wenn etwas schiefläuft, hat das in der Regel große Konsequenzen. Fehler zu vermeiden ist darum einer der wichtigsten Punkte. Und in unserem konkreten Fall: Eine fördertechnische Anlage baut man nicht zuverlässig am Schreibtisch zuhause.
CT: Welche Möglichkeiten haben die Firmen dann noch, wenn ihnen das Personal ausbleibt?
Winkel: Ich denke, dass Automatisierung eine der besten Möglichkeiten ist, die Arbeit zu vereinfachen und auch das Risiko von Fehlern zu senken. Natürlich kann man Menschen nicht durch Computer ersetzen, aber man kann Menschen die Arbeit damit erleichtern und ermöglichen, dass sie mehr Arbeit schaffen. Dabei muss man beachten, dass das natürlich mit Kosten verbunden ist, wenn man etwa ein Unternehmen beauftragt, Prozesse zu automatisieren. Andererseits bringt zum Beispiel Microsoft gerade einige KI-Tools auf den Markt, mit denen praktisch jeder mit ein wenig Office-Erfahrung per Drag-and-Drop Automatisierungsanwendungen zusammenstellen kann. Das ist arbeitsintensiver und erfordert mehr Zeit, aber es ist nicht unmöglich, auf diesem Weg Automatisierungen zu schaffen.
Außerdem können wir uns bei unseren europäischen Nachbarn sicher noch besser als attraktiven Standort präsentieren und den Menschen mit mehr Offenheit begegnen. Ein Szenario des Bundesarbeitsministeriums für Arbeit und Soziales zeigt: Wenn wir bis 2027 den Anteil der Erwerbstätigen unter den Menschen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit auf das Niveau von Personen deutscher Staatsangehörigkeit anheben würden, würden dem Arbeitsmarkt rund 850.000 Menschen zusätzlich zur Verfügung stehen. Das entspricht ungefähr der Zahl der Menschen, die in diesem Zeitraum in Rente gehen, und könnte diesen Wegfall ausgleichen. Diese Statistik zeigt darüber hinaus, dass auch wenn der Frauenanteil im Bau- und Ingenieurswesen steigt, unsere Branchen auch hier noch verglichen mit anderen Branchen weit hinten liegen. Über die Gründe dafür will ich an dieser Stelle nicht mutmaßen, aber ein Ausgleich könnte hier einiges bewirken. Hinzuzufügen wäre noch, dass von den erwähnten 850.000 Personen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit 85 Prozent Frauen wären, die dann neu in den Bereich eintreten würden. Hier müsste aber auch der Staat unterstützen und beispielsweise mehr Kinderbetreuung und Alterspflege ermöglichen, was in unserer Gesellschaft immer noch vorwiegend von Frauen übernommen wird. Solange das nicht gewährleistet ist, werden wir es schwer haben, mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bekommen.
Allerdings würde dies noch nicht unbedingt dazu führen, dass auch in unserem Bereich mehr Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Man muss leider sagen, dass immer weniger Leute in den Bereich kommen, weil etwa die Arbeit anstrengend oder mit längeren Aufenthalten im Ausland verbunden ist oder größere Projekte mit größerem Stresslevel verbunden sind. Projekte können mehrere Jahre in Anspruch nehmen, Schüttgüter sind komplizierte und oft gesundheitsschädliche Produkte, und viele Leute wollen solche Arbeiten schlicht nicht mehr machen. Und bei einem Überangebot an anderen Jobs müssen sie das, direkt gesagt, auch nicht mehr machen.
CT: Welche Unterstützung bekommen Unternehmen von Verbänden wie dem DSIV?
Winkel: Unser Young-Professionals-Programm soll eine Schnittstelle zwischen den jungen Menschen und den Unternehmen aufbauen. Wir begegnen zum Beispiel dem drohenden Know-how-Verlust der Unternehmen, indem wir Lehrgänge und Weiterbildungen organisieren und damit das Fachwissen in der Branche erhalten. Gleichzeitig fördern wir damit den Austausch zwischen den Unternehmen, was vielen Mitarbeitenden einen Blick über den Tellerrand ermöglicht.
Außerdem streben wir eine stärkere Zusammenarbeit mit den Universitäten an, um Studenten über die Möglichkeiten in unserer Branche zu informieren, etwa im Rahmen von Abschlussarbeiten. Informationen und Weiterbildungen bieten wir für Studierende auch als kostenlose Webinare an, da sie sich Anreise und Aufenthalt bei entfernten Lehrgängen oft nicht leisten können. Wir erhoffen uns, dass auf diesem Weg durch die Zusammenarbeit mit den Unternehmen auch eine Art natürlicher Vermittlung geschieht.
CT: Welche politische Unterstützung benötigt die Branche darüber hinaus?
Winkel: Gegen den demografischen Wandel können Industrie und Verbände leider gar nichts machen, da muss der Staat Ansätze finden. Und ohne den demografischen Wandel zu lösen, wird auch der Fachkräftemangel nicht besser. Außerdem wichtig sind Fördermöglichkeiten für mehr Digitalisierung, aber da ist der Staat bislang leider auch nicht unbedingt das beste Vorbild.
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Deutscher Schüttgut-Industrie Verband e.V. (DSIV)
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