10 Monate nach der Explosionskatastrophe

Currenta nimmt Sonderabfallverbrennung wieder in Betrieb

Zehn Monate nach der Explosion im Chempark Leverkusen will der Standortbetreiber Currenta die Sonderabfallverbrennungsanlage in Leverkusen-Bürrig wieder schrittweise in Betrieb nehmen. Das abgestufte Anfahrkonzept sei mit den Behörden abgestimmt.

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Currenta Sonderabfallverbrennungsanlage im Entsorgungszentrum Bürrig.
Die Sonderabfallverbrennungsanlage im Entsorgungszentrum Bürrig vor der Explosion im August 2021.

Der Standortbetreiber hat mit der schrittweisen Inbetriebnahme der Sonderabfallverbrennungsanlage in Leverkusen-Bürrig am Samstag, 11. Juni 2022, begonnen. Die Inbetriebnahme erfolge auf Basis der behördlichen Vorgaben, so Currenta: Der Schritt folge einem abgestuften Konzept: Zunächst wird nur die erste von insgesamt vier Verbrennungslinien wieder angefahren. Dort wird dann ein stark eingeschränktes Abfallspektrum nach engen Vorgaben entsorgt.

Currenta hat während des Stillstands der Anlage in Bürrig gemeinsam mit den beteiligten Behörden und Gutachtern sowie einem eigens eingerichteten Begleitkreis das Konzept zur abgestuften Wiederinbetriebnahme erarbeitet und umgesetzt. Die möglichen Ursachen des Explosionsereignisses seien im Sicherheitskonzept angemessen berücksichtigt, um eine Wiederholung des tragischen Ereignisses auszuschließen. Prozesse und Sicherheitsstandards wurden überprüft und weiter verbessert. Auch alle weiteren Schritte des Konzepts zur sicheren Wiederinbetriebnahme würden durch externe Sachverständige überwacht, um für ein zusätzliches Maß an Sicherheit zu sorgen.

Wie gesetzlich vorgesehen und von der Bezirksregierung Köln angeordnet, hat Currenta im Vorfeld der geplanten Wiederinbetriebnahme umfangreiche Sachverständigenuntersuchungen durchführen lassen, die von akkreditierten Laboren und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung unterstützt wurden. Die Gutachten bestätigten sowohl die technische Integrität der Anlage als auch die Eignung des Sicherheitsmanagementsystems für den reduzierten Wiederanfahrbetrieb. "Der geplanten teilweisen Wiederinbetriebnahme der Anlage stehen deshalb nach Auffassung der Gutachter keine Sicherheitsbedenken entgegen", heißt es in einer Presseerklärung.

Bei dem Unglück am 27. Juli 2021 waren sieben Menschen gestorben und über 30 verletzt worden. Die Ursache war einem Gutachten zufolge die unkontrollierte Selbsterwärmung von in einem Tank gelagerten Chemieabfällen. Zuletzt hatte ein Team unter Leitung des Störfallexperten Prof. Dr. Christian Jochum ein Begleitgutachten zu den bereits beauftragten unabhängigen Sachverständigen zur Aufklärung des Explosionsereignisses erstellt (wir berichteten). Im Januar war bekannt geworden, dass über Monate Löschwasser aus der Bürrig-Katastrophe durch eine undichte Klappe ungefiltert in den Rhein gelangt war (siehe Bericht). Den kompletten Nachrichten-Stream zum Explosionsereignis in Leverkusen-Bürrig finden Sie hier.

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Bilderstrecke: Historische Chemie-Katastrophen

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1921: Explosion des Stickstoffwerkes Oppau:Am noch jungen BASF-Standort Oppau explodieren mehr als 450 t des Düngemittels Ammonsulfatsalpeter, die Explosion tötet 559 Menschen und verwüstet die nahegelegene Ortschaft. Ursache ist eine Verfahrensänderung, die unbemerkt zu einer deutlich höheren Zündfähigkeit des Düngers führt. Es ist bis heute der schwerste Unfall der Firmengeschichte und das größte Chemieunglück in Deutschland.
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1948: Kesselwagenexplosion in Ludwigshafen:Bei der Explosion eines Kesselwagens mit rund 30 t Dimethylether auf dem BASF-Gelände Ludwigshafen sterben mehr als 200 Menschen, mindestens 3.800 werden verletzt. Ursache war vermutlich die Kombination aus einer falsch berechneten Volumenreserve und einer fehlerhaften Schweißnaht des Tanks, sodass dieser dem wachsenden Druck bei Außentemperaturen über 30 °C nicht mehr standhielt.
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1968: Chemieunfall in Bitterfeld:Beim Abdichten von Lecks in der PVC-Produktion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld explodiert das aus dem Reaktionsbehälter abgelassene Vinylchlorid. Die Explosion tötet 42 Menschen und zerstört das Werk. In der zuvor fast ausschließlich auf Planerfüllung ausgerichteten Chemieproduktion der DDR spielen Arbeits- und Umweltschutz nach dem Unfall eine größere Rolle. Seit 2019 erinnert ein Denkmal im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen an die Katastrophe.
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1974: Flixborough-Unglück:Ein undichter Reaktor im Chemiewerk Flixborough, England, wird provisorisch mit Rohrleitungen überbrückt, um den Betrieb bis zur nächsten Wartung aufrechtzuerhalten. Beim Wiederanfahren nach der Wartung zwei Monate später tritt Cyclohexan aus und entzündet sich, durch die folgende Explosion sterben 28 Menschen. Die britischen Behörden verschärfen die Auflagen für Engineering, Design und geschultes Personal in Chemieanlagen.
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1976: Seveso-Unglück:Die Synthese von Trichlorphenol im Icmesa-Werk in Meda, Italien, gerät außer Kontrolle, das hochgiftige Nebenprodukt Tetrachlor-Dibenzodioxin (TCDD) tritt aus. Die Dioxinwolke lässt in den umliegenden Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno viele Pflanzen und über 3.000 Nutztiere verenden. Eine Folge dieser Katastrophe und des Flixborough-Unglücks zwei Jahre zuvor ist dieSeveso-Richtlinie. TCDD ist bis heute als „Seveso-Gift“ bekannt.
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2020: Explosion in Beirut:Im Hafen von Beirut, Libanon, geraten bei Schweißarbeiten in der Nähe gelagerte Feuerwerkskörper in Brand. Das Feuer bringt rund 2.750 t Ammoniumnitrat in einem Lagerhaus zur Explosion, mindestens 190 Menschen sterben. Die explosive Chemikalie stammte aus einem beschlagnahmten Schiff und lagerte dort schon seit Jahren, auf wiederholte Warnungen der Zollbehörden geschah jedoch nichts. Sechs Tage nach der Explosion tritt die Regierung zurück.

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