Mit der am Nachmittag des 10. April beschlossenen Forderung bewegt sich die Bundestarifkommission der Gewerkschaft am oberen Rand des Ende Januar vorgeschlagenen Korridors. Den Chemiearbeitgebern geht dies deutlich zu weit: „Es ist höchste Zeit, dass die IGBCE die kritische Lage der gesamten Branche anerkennt und sieht, dass wir uns nur gemeinsam aus dem Krisenmodus herausbewegen können“, erklärte BAVC-Verhandlungsführer Matthias Bürk vor dem Auftakt der Chemie-Tarifverhandlungen in der kommenden Woche.
„Bislang redet sich die Gewerkschaft die Lage schön, um eine Entgeltforderung zu rechtfertigen, die mit der wirtschaftlichen Situation nicht in Einklang zu bringen ist“, so Bürk. Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sei die Produktion von Chemie und Pharma in Deutschland um 9 % geschrumpft. Der Umsatz liege mit minus 10 % noch tiefer in den roten Zahlen. „Wir verlieren Boden in Sachen Wettbewerbsfähigkeit und haben 2023 nicht mehr produziert als 2005“, meint Bürk.
Auch sei derzeit kein Aufschwung in Sicht. „Die Forderung der IGBCE ist weder krisengerecht noch finanzierbar. Wo keine Zuwächse sind, können wir keine verteilen. Wir müssen dem Schutz des Standorts Deutschland oberste Priorität einräumen und die begonnene De-Industrialisierung gemeinsam stoppen. So sichern wir Beschäftigung. Eine Branche in der Krise braucht einen Tarifabschluss für die Krise“, so Bürk.
Kein Nachholbedarf in der „Hochlohn-Branche“
Hinzu komme, dass die Entgelte zu Jahresbeginn bereits um 3,25 % erhöht wurden. Weitere 1.500 Euro steuer- und beitragsfreies Inflationsgeld gab es in diesem Jahr obendrauf. Die Inflationsprognose liegt aktuell bei 2,3 %. Bürk: „Die Beschäftigten werden 2024 ohne jede weitere Tariferhöhung real mehr Geld in der Tasche haben.“
Ohnehin sei die Chemie- und Pharmaindustrie unverändert eine Hochlohn-Branche, in der es keinen Nachholbedarf bei den Entgelten oder anderen tariflichen Leistungen gibt. Im Schnitt verdienen Tarifbeschäftigte in der Branche 73.000 Euro jährlich (Vollzeit). Der Anstieg der tariflichen Leistungen liegt mit plus 48 % seit 2010 deutlich über dem Preisanstieg im selben Zeitraum (plus 36 %).
Keine Besserstellung für Gewerkschaftsmitglieder
Auch die geforderte Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern lehnen die Arbeitgeber ab. Man stehe zwar zu dem gemeinsamen Ziel, die Tarifbindung auf beiden Seiten zu steigern. Aber: „Eine Differenzierung nach Gewerkschaftszugehörigkeit spaltet die Belegschaften und findet auf Arbeitgeberseite keine Akzeptanz“, sagte Verhandlungsführer Bürk. Durch den Schritt drohten Austritte aus den Arbeitgeberverbänden und damit eine Schwächung der Tarifbindung.
„Grundsätzlich offen“ für dritte Forderung
Einer Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags stehen die Arbeitgeber grundsätzlich offen gegenüber. „Allerdings dürfen keine zusätzlichen Kosten durch die Hintertür entstehen“, betont Bürk. „Die Arbeitgeber streben seit Langem eine Entschlackung der Chemie-Tarifverträge an, um deren Anwendung schneller, flexibler und einfacher zu machen. Wir werden eine Reihe von Vorschlägen in die Diskussion einbringen, die die Komplexität reduzieren und den Chemie-Tarif attraktiver machen können. Stichwort: Entbürokratisierung überall!“
Die Tarifverhandlungen für die 585.000 Beschäftigten in den 1.700 Betrieben der Chemie- und Pharmaindustrie beginnen am 15. April 2024 mit den Verhandlungen auf regionaler Ebene. Alle Infos und Hintergründe zu den Tarifverhandlungen finden Sie stets aktuell in unserem Tarifblog: