- Ein drastisches Überangebot führt weltweit zu Rekordtiefs bei Auslastung und Margen in der petrochemischen Produktion. Kapazitätserweiterungen und unerwartet schwache Nachfrage verstärken dieses Problem.
- Sinkende Importe von China, dem weltweit größten Importeur von Chemikalien, lassen die Exporte fast aller Regionen sinken, was vor allem Produzenten in Asien und im Nahen Osten beschäftigt. Einzig die USA steigern ihre Exporte nach China, vor allem getrieben durch Export von LPG.
- Die steigenden US-Exporte könnten eine Herausforderung für andere Regionen darstellen, die in einem übersättigten Markt um Marktanteile konkurrieren. Der Nahe Osten holt mit Großinvestitionen die Petrochemie-Produktion in die Region und bereitet sich auf eine Zeit nach den vorherrschenden Öl-Exporten vor.
Die Tatsache, dass die Branche sich in einer Abschwungphase befindet, überrascht nicht: Das Ausmaß des derzeitigen Kapazitätsausbaus ist seit Jahren deutlich. Was die heutige Situation jedoch davon abhebt, ist, dass diesen Kapazitätserweiterungen eine schwächer als erwartet gewachsene Nachfrage gegenübersteht. Zusätzlich steht eine weitere Welle von Kapazitätserweiterungen innerhalb der nächsten fünf Jahre an.
Energiepreise und Inflation drücken Nachfrage
Die Chemienachfrage erwies sich unmittelbar nach der Coronavirus-Pandemie als überraschend robust. Seitdem ist jedoch das Nachfragewachstum deutlich hinter den Erwartungen vor der Pandemie zurückgeblieben. Die drastisch gestiegenen Energiepreise und die Inflation, verursacht durch den Russland-Ukraine-Krieg, haben die Nachfrage zusätzlich beeinträchtigt. Die globale Ethylen-Nachfrage im Jahr 2024 wird mehr als 6 % unter den Vor-Pandemie-Projektionen liegen. Dies hat zu reduzierten Betriebsraten und Margen in allen Regionen geführt, selbst bei den kostenvorteilhaften Produzenten in den USA und im Nahen Osten, deren Produktionskostenvorteile gestiegen sind.
China, der weltweit größte Importeur von Chemikalien, ist für etwa 75 % der Kapazitätserweiterungen bei Olefinen und Aromaten zwischen 2020 und 2024 verantwortlich. In Verbindung mit einer schwachen Wirtschaft führte dies dazu, dass die Importe von Ethylen-Derivaten nach China in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 um etwa 20 % gegenüber dem gleichen Zeitraum 2020 zurückgingen. Die größten Auswirkungen, sowohl relativ als auch absolut, betreffen aber andere asiatische Produzenten. Die Gewinnmargen für die Ethylenproduktion in Asien sind seit Ende 2021 negativ, und eine Rekordzahl von Anlagen wurde für längere Zeiträume stillgelegt. Die Exporte aus dem übrigen Asien nach China sind um mehr als ein Drittel gesunken.
Bemerkenswerterweise haben auch die Exporte aus dem Nahen Osten nach China seit 2021 stetig abgenommen und sind um fast 30 % gesunken. Die iranischen Exportmengen haben sich im Jahr 2023 im Vergleich zu 2020 fast halbiert. Die möglicherweise noch größere Überraschung ist, dass auch die Gesamtexporte aus Saudi-Arabien um mehr als 20 % zurückgegangen sind. Die Exporte von Polyethylen (PE) sind um etwas mehr als 30 % gesunken, und die Exporte von Ethylenglykol um fast 15 %. Insgesamt sind die Exporte von Ethylen-Derivaten aus Saudi-Arabien nach China um etwa ein Viertel gesunken.
Im deutlichen Gegensatz dazu haben die Exporte der USA in diesem Zeitraum erheblich zugenommen. Die Exportmengen aus Nordamerika nach China haben sich in den ersten neun Monaten des Jahres 2023 gegenüber dem gleichen Zeitraum 2020 mehr als verdoppelt. Während der Nahe Osten eine Zunahme der Exporte von Rohöl, Naphtha und Flüssiggas (LPG) verzeichnet, hat dies den Verlust von Marktanteilen für Chemikalien nicht ausgeglichen. Und auch hier gibt es Konkurrenz aus den USA, die die Vereinigten Arabischen Emirate seit 2020 als größten LPG-Exporteur nach China überholt haben.
Naher Osten holt Produktion zu sich
Marktanteile in einem übersättigten globalen Markt zu gewinnen, wird für die Produzenten im Nahen Osten in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein. Die Exporte aus dem Nahen Osten nach Europa sind in den letzten zwei Jahren aufgrund des harten Wettbewerbs mit den USA zurückgegangen. Während die Exporte nach Afrika zugenommen haben und langfristige Möglichkeiten bieten können, wird dieser Markt voraussichtlich im Vergleich zu Europa und Asien relativ klein bleiben.
Eine Reihe von Golfstaaten planen in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts groß angelegte Investitionen in die Chemie. Diese Investitionen sind zum einen Projekte, um die Abnahme von Öl und raffinierten Produkten in einer Welt jenseits von „Peak Oil“ zu garantieren. Zum anderen sind es Schritte, die Chemieproduktion ins eigene Land zu verlagern, um mehr wertschöpfende Exporte zu ermöglichen. Beträchtliche Summen fließen dabei in Komplexe zur Produktion von Chemikalien aus Rohöl. Für die Betreiber der kostenintensiven Produktion in Europa und Asien sind diese Investitionen Anlass zur Sorge, da sie derzeit keine ernsthaften Gründe haben, in absehbarer Zukunft mit einem für sie günstigeren Betriebsumfeld zu rechnen.