- Reaktive Chemieunternehmen werden zu Getriebenen der Marktvolatilität.
- Veränderungen im Markt sollten durch strategisches, flexibles und vorausschauendes Pricing antizipiert werden.
- Ein robustes Preisgestaltungssystem sollte die Zahlungsbereitschaft der Kunden bestmöglich differenzieren und abschöpfen.
Die Chemieindustrie navigiert durch ein schwieriges Marktumfeld, geprägt von geringer Nachfrage, Inflation und schrumpfenden Margen. Hinzu kommen durch die Energiepreise in die Höhe getriebene Produktionskosten, Überkapazitäten und ein wachsender Fokus auf Nachhaltigkeit. Gleichzeitig sinken die Auftragsgrößen, und der Einkauf auf Kundenseite setzt zunehmend auf eine spot-orientierte Einkaufsstrategie. Diese Faktoren erhöhen den Wettbewerbsdruck und stellen Geschäftsmodelle und Preisstrategien der Branche auf die Probe. Das Ergebnis: Reaktive Chemieunternehmen werden zu Getriebenen der Marktvolatilität.
Geschäftsmodelle, die auf langfristigen Verträgen basieren, stehen aufgrund der volatilen Energie- und Rohstoffpreise – wie in jüngerer Vergangenheit etwa bei Kunststoffen – unter Druck. Während in der Pandemie die Lieferfähigkeit das Hauptkriterium für den Markterfolg war, rückt seit einiger Zeit der Preis in den Fokus der Einkaufsorganisationen. Dies führt insbesondere bei Verbrauchsgütern und anderen vergleichbaren Produkten zu hohem Preisdruck. Auch die Spezialchemie erfährt die negativen Effekte der Investitionsschwäche, der weiter steigenden regulatorischen Vorgaben und des gestrafften Lieferkettencontrollings vieler Kunden.
Die in der nachfrageorientierten Vergangenheit verfolgte Strategie vieler Unternehmen offenbart nun Schattenseiten: Das unkontrollierte Abschöpfen der Zahlungsbereitschaften hat die internationale Preisarchitektur verzerrt. Viele Unternehmen konzentrierten sich bis dato auf reine Margenoptimierung und hoben die Preise je nach regionaler oder kundenspezifischer Zahlungsbereitschaft ohne jegliche markt- und wertorientierte Struktur an. Die so entstandenen Inkonsistenzen in der Preisstruktur werden jetzt vom Einkauf gnadenlos aufgezeigt und setzen viele Unternehmen unter Druck.
Diesen Herausforderungen ist mit einem robusten und resilienten Pricing zu begegnen. Veränderungen im Markt – insbesondere Nachfrage- und Kostenschwankungen – sollten durch strategische, flexible und vorausschauende Preisgestaltung antizipiert und so neue Wachstumschancen und Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Ziel ist es, das Pricing von einem reaktiven zu einem proaktiven Hebel für Stabilität und Wachstum in unsicheren Zeiten weiterzuentwickeln.
Die traditionelle Preisgestaltung überdenken
Bisher dominiert in der Chemieindustrie noch immer Cost-Plus-Pricing. Hier werden die Preise auf Basis der Produktionskosten zuzüglich einer Margenerwartung kalkuliert. Diese Methode ist einfach und schnell anzuwenden, führt aber meist zu „falschen“ Preisen. Da die eigenen Kosten wenig mit der Zahlungsbereitschaft der Kunden zu tun haben, sind die Preise entweder zu niedrig, sodass Gewinne verschenkt werden, oder zu hoch, sodass Absatzpotenziale nicht realisiert werden. Insbesondere in einem Umfeld, in dem Rohstoffpreise und Nachfrage stark schwanken, gefährden diese Preisgestaltungsmodelle den Markterfolg.
Ein weiteres Problem des Cost-Plus-Pricings ist die mangelnde Berücksichtigung des Wertes, den ein Produkt oder eine Dienstleistung für den Kunden darstellt. In einem Markt, der zunehmend von der Suche nach maßgeschneiderten Lösungen geprägt ist, führt dies in der Regel zu einer Fehlpositionierung im Wettbewerbsumfeld.
Einflussfaktoren auf das Pricing
Die Preisbildung in der Chemieindustrie wird nicht nur durch die internen Kostenstrukturen beeinflusst, sondern auch durch weltwirtschaftliche Entwicklungen, Inflation und weitere Marktdynamiken. Die bestehenden indexbasierten Pricing-Modelle, die sich oft an den von Verbänden mit monatelanger Verzögerung ausgegebenen Indizes orientieren, stoßen in volatilen Zeiten an ihre Grenzen. Wo in der Vergangenheit noch Preiserhöhungen mit steigenden Kostenindizes gerechtfertigt werden konnten, geraten Unternehmen in Zeiten sinkender Kosten oder abnehmender Nachfrage mit ihrer Preisargumentation unter Druck.
Diese stark fremdgesteuerten Preissysteme auf Basis von Indizes bergen enorme Risiken – Unternehmen werden vom Markt getrieben und verlieren den Einfluss auf ihre eigene Preisgestaltung. Häufig wird diese Form der Preisfindung sogar euphemistisch als „dynamisches Pricing“ bezeichnet. Mit echter dynamischer Preisgestaltung hat diese undifferenzierte und häufig sehr trivial konzipierte Preisgestaltung jedoch wenig zu tun.
Um im Markt erfolgreich zu bestehen, ist ein Paradigmenwechsel erforderlich: Weg von kostengetriebenen hin zu markt- und wertorientierten Pricing-Strategien. Dies erfordert eine fundierte Marktanalyse, ein tiefes Verständnis für den Mehrwert der Produkte und die Fähigkeit, Preiselastizitäten präzise zu bestimmen. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Preisanpassung sind in diesem Zusammenhang:
- eine aus der Unternehmensstrategie abgeleitete übergeordnete Preisstrategie,
- eine dedizierte Analyse und Differenzierung nach Zahlungsbereitschaften,
- ein klar strukturierter Preisanpassungsprozess inklusive definierter Trigger-Events,
- eine Methodik, um differenzierte Preisanpassungen auf Basis marktorientierter Kriterien zu bestimmen,
- ein Simulationstool, um finanzielle Effekte festzulegen sowie
- eine Kommunikationsstrategie mit geeigneten Argumentations- und Verhandlungstools.
Wege zur resilienten, marktorientierten Preissetzung
Ein resilienter Pricing-Ansatz in der Chemieindustrie basiert auf einer differenzierten Preisstrategie, die sowohl die eigene Kostenstruktur als auch die Marktbedingungen und den Kundennutzen berücksichtigt. Hierbei spielen folgende Elemente eine zentrale Rolle:
- Segmentierung und Differenzierung: Durch die differenzierte Betrachtung verschiedener Kundensegmente und Märkte können Preise gezielter und effektiver gestaltet werden. Dies erlaubt es, unterschiedliche Zahlungsbereitschaften zu berücksichtigen und gleichzeitig die Profitabilität sicherzustellen.
- Wertbasierte Preisgestaltung: Im Mittelpunkt steht immer der Mehrwert, den Produkte und Dienstleistungen für den Kunden bieten. Dies umfasst nicht nur die Produktqualität, sondern auch Service- und technische Unterstützungsleistungen. Insbesondere in der Chemieindustrie hängt der Wert der eigenen Produkte stark von den jeweiligen Anwendungen und technischen Prozessen des Kunden ab. Die Kenntnis dieser und die systematische Nutzung für die eigene Preisgestaltung stellt einen großen Wettbewerbsvorteil dar und führt zu einer verbesserten Preisstellung am Markt.
- Dynamische Preisgestaltung: Eine flexible Anpassung der Preise an Marktveränderungen ermöglicht es, auf Schwankungen in Angebot und Nachfrage, Rohstoffpreisen und Wettbewerbsaktivitäten marktorientiert und zeitnah zu reagieren. Digitale Tools für dynamische Preisgestaltung können unterstützen, die richtigen Preisentscheidungen zu treffen und durchzusetzen.
Ziel ist es also, ein robustes Pricing-System aufzubauen, das Unternehmen zur aktiven und bewussten Preissetzung befähigt. Dabei gilt es, die Zahlungsbereitschaften der Kunden bestmöglich zu differenzieren und abzuschöpfen. Die berühmte Gießkanne darf es nicht mehr geben. Das Pricing-System muss unter hohem Wettbewerbsdruck funktionieren, flexibel auf Marktzyklen eingehen, Volatilität abfedern und Umsatzströme planbarer machen.
Vom Preisdruck zur Wertkommunikation
Eine wichtige Aufgabe im Kontext der resilienten Preisgestaltung ist, die Preisstrategie im Markt erfolgreich durchzusetzen. Hier muss der Fokus von der reinen Preisverhandlung auf die systematische Kommunikation des Kundennutzens verlagert werden. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Technik, Marketing, Pricing und Vertrieb. Außerdem ist entscheidend, das Vertriebsteam in Bezug auf Wertargumentation und Verhandlungsführung kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Der Aufbau einer Value-Selling-Toolbox – Battle Cards, Nutzenkalkulatoren und Weiteres – und eines regelmäßigen Trainingsprogramms, auch unter Einbezug der eigenen Einkaufsorganisation als Sparringspartner, hat sich bewährt. Es gilt, den (monetären) Wert der eigenen Leistungen in den Vordergrund zu stellen und sich aus der Commodity-Falle zu lösen. Erfahrungsgemäß ist der Wechsel von der kostenorientierten Preisfindung und Argumentation hin zum wertbasierten Vertrieb ein längerer Weg, da er jahrzehntelang gelernte Verhaltensweisen infrage stellt. Entsprechende Projekte sollten daher immer durch ein spezifisches Change-Management begleitet werden, um die interne Akzeptanz und den Erfolg am Markt sicherzustellen.