Wie in vielen anderen Branchen gilt Deutschland auch in der Chemie als „Exportweltmeister“. 2020 führte die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie Waren im Wert von knapp 200 Mrd. Euro aus – mehr als die großen Chemieländer China und USA. Entsprechend abhängig ist die Branche vom Export und entsprechend verunsichert durch Störungen des Welthandels, wie sie durch die derzeitige Eskalation der Ukraine-Krise drohen. Doch welche Auswirkungen hätten Sanktionen gegen Russland für die deutsche Chemieindustrie, wie wichtig ist das Land als Handelspartner?
Russland als bedeutender Exportmarkt
Russland gehört auf dem Weltmarkt für Chemikalien nicht zu den ganz großen Playern um China, die EU, die USA oder Japan, ist aber alles andere als unbedeutend: Laut dem aktuellen Länderbericht des deutschen Chemieverbandes VCI lag der Umsatz der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Russland 2020 bei rund 50,4 Mrd. Euro – weltweit bedeutet das Rang 17. Der Verbrauch an Chemikalien lag sogar noch höher und betrug knapp über 60 Mrd. Euro.
Eine wesentliche Rolle spielen dabei Chemikalien aus Deutschland: Die deutsche Chemieindustrie exportierte 2021 nach den jüngsten VCI-Zahlen und vorläufigen Ergebnissen Waren im Wert von rund 5,6 Mrd. Euro nach Russland. Mit einem Anteil von 2,4 % liegt das Land damit derzeit auf Platz 13 der wichtigsten Zielmärkte deutscher Chemieunternehmen – noch vor Ländern wie Japan oder der Türkei.
Russische Grundchemikalien wichtig für Deutschland
Doch auf der Importseite spielt Russland eine gewichtige Rolle für die deutsche Chemieindustrie. Augenfällig ist die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft und damit auch der Chemieindustrie von russischem Gas und Öl. Die Implikationen auf diesen Märkten haben wir in einem eigenen Artikel analysiert.
Doch auch im Bereich der Grundchemikalien ist Russland wichtig für den deutschen Markt. Die Branche importierte 2021 laut den VCI-Zahlen Chemikalien im Wert von etwa 1,15 Mrd. Euro aus Russland. Die russische Chemieindustrie ist dabei vor allem in den Bereichen Anorganika und Petrochemikalien stark, die zusammen über die Hälfte des Gesamtumsatzes ausmachen. Verantwortlich dafür sind die reichen Rohstoffvorkommen in Russland, welche die Produktion dieser Grundchemikalien begünstigen.
Deutsche Unternehmen in Russland vertreten
Neben dem Handel über die Ländergrenzen hinweg sind deutsche Chemieunternehmen auch mit eigenen Niederlassungen in Russland vertreten, teilweise auch schon sehr lange. So eröffnete beispielsweise der Bayer-Konzern 1876 eine Farbstofffabrik in Moskau – damals die erste Produktionsstätte außerhalb Deutschlands. Auch der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF ist in Russland engagiert, unter anderem in den Bereichen Materials und Agrarchemikalien. Insgesamt unterhält BASF 12 Produktionsstätten in Russland und beschäftigt etwa 700 Mitarbeiter. Unter anderem über die Tochter Wintershall Dea ist der Konzern auch im Öl- und Gasgeschäft aktiv.
Insgesamt sind in Russland laut dem VCI derzeit etwa 25 Tochtergesellschaften deutscher Chemieunternehmen aktiv. Zusammen beschäftigten diese rund 6.000 Mitarbeiter bei einem Umsatz von etwas mehr als 3 Mrd. Euro.
Dadurch wird deutlich: Die Verflechtungen zwischen deutscher und russischer Chemieindustrie sind vielfältig: Sowohl was die Handelsbeziehungen, als auch die Roh- und Grundstoffversorgung angeht. Umfangreiche EU-Sanktionen gegen Russland hätten somit auch weitreichende Auswirkungen auf viele deutsche Chemieunternehmen.