Prüfung

Die schärfste Waffe des Sachverständigen ist das unbewaffnete Auge. (Bild: TÜV SÜD Chemie Service)

Peter Czapek, TÜV SÜD Chemie Service
(Bild: TÜV SÜD Chemie Service)

Peter Czapek

Peter Czapek ist technischer Leiter der Zugelassenen Überwachungsstelle (ZÜS) für Druckgeräte und Abteilungsleiter der Anlagenüberwachung im Chempark Dormagen. Nach seiner Ausbildung zum Chemikanten bei Veba Oel studierte Czapek in Essen Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Von 1997 bis 2000 war er als Prozessingenieur bei der EC Erdölchemie (heute: Ineos) beschäftigt. Seit 2001 arbeitet er bei TÜV SÜD Chemie Service als ZÜS-Sachverständiger für Druck- und Ex-Anlagen sowie nach Wasserrecht und ist seit 2018 im Chempark Dormagen als Abteilungsleiter tätig.

CT: Welche Trends sehen Sie im Turnaround-Geschäft in der Chemie?

Czapek: Wir stellen fest, dass auch die Anlagenbetreiber in der Chemie und Prozessindustrie ihre Anlagen besser kennenlernen und Schadensmechanismen verstehen wollen. Das liegt auch am Regelwerk: Mit der Novellierung der Betriebssicherheitsverordnung ist der Begriff Prüfkonzept eingeführt worden und es wurden Anforderungen für Prüfungen im laufenden Betrieb definiert, die mit der risikoorientierten Prüfung zusammenhängen.

CT: Welche Rolle spielen dabei Prüfverfahren?

Czapek: Unser Geschäft ist vergleichsweise konservativ. Wir müssen als Sachverständige der Zugelassenen Überwachungsstelle eine Prüfaussage geben, die eine Prognose für im Regelfall fünf Jahre sicheren Betrieb ermöglicht. Obwohl es inzwischen viele technische Prüfverfahren gibt, haben wir noch kein zerstörungsfreies Prüfverfahren, das die herkömmlichen, vor allem visuellen Prüfungen unabhängig vom Schadensmechanismus vollständig ersetzt.

Gute Erfolge sehen wir beim Einsatz von Drohnen, die wir vor allem zur Begutachtung von großen Apparaten nutzen. Damit kann man schwer zugängliche Bereiche mit wenig Aufwand erfassen. Das wird von immer mehr Betreibern als Prüfleistung angefragt. Besteht aufgrund unserer Erfahrung eine geringe Schadenswahrscheinlichkeit, dann ist das eine effektive Art der Prüfung. Wenn potenzielle Schäden aufgrund der Zweidimensionalität des Bildes nicht beurteilt werden können, ist aber dennoch ein Einsteigen in den Apparat erforderlich. Aber auch eine Drohnenprüfung kann nicht ohne den Sachverständigen vor Ort abgewickelt werden. Denn dieser muss bei Auffälligkeiten die Möglichkeit haben, genauer hinzuschauen.

Bei allen Verfahren, die darauf zielen, die herkömmlichen Prüfleistungen zu ersetzen, ist wichtig, dass man weiß, welche Schädigungsmechanismen erwartet werden. TÜV SÜD hat in diesem Zusammenhang das RoiM-Programm für risikoorientierte Prüfung und Instandhaltung etabliert. Betreiber können damit den Prüfaufwand im Rahmen der Turnarounds optimieren. Aber am Ende des Tages muss der Sachverständige mit seinem guten Namen dafür unterschreiben, dass die Anlage sicher weiter betrieben wird.

CT: Wie sehen Sie die risikoorientierte Prüfung im Licht des Regelwerks?

Czapek: Das deutsche Regelwerk ist sehr viel konkreter geworden, was den Ersatz herkömmlicher Prüfleistungen durch zerstörungsfreie Prüfungen angeht – da werden inzwischen konkretere Vorgaben gemacht. Und immer mehr Betreiber erkennen, dass man mit einer vorbeugenden Instandhaltung auch das Verschleißverhalten steuern kann. Zum Beispiel durch gezielte Materialauswahl und frühzeitige Reparaturmaßnahmen. Die Vorteile werden zunehmend gesehen und man ist eher dazu bereit, auch entsprechend zu investieren.

Risikoorientierte Instandhaltung

Ziel der risikoorientierten Instandhaltung ist es, detaillierte und angepasste Instandhaltungs- und Inspektionspläne zu entwickeln sowie vorgegebene Prüfintervalle zu flexibilisieren. Die Bewertung erfolgt auf der Grundlage des ermittelten Risikos, d. h. nach Ausfallwahrscheinlichkeit und Fehlerkonsequenz. So können kritische Komponenten identifiziert werden, für die besondere Instandhaltungsmaßnahmen erforderlich sind, sowie unkritische Komponenten, für die Instandhaltungsmaßnahmen im wesentlich geringeren Umfang ausreichen.

CT: Welche Rolle spielt die Sensorik in diesen zustandsbezogenen Konzepten?

Czapek: Wir sehen dafür Potenzial und haben auch schon erste Projekte initiiert. Ein Beispiel sind kontinuierliche Wanddickenmessungen mit Fernübertragung, auch verknüpft mit künstlicher Intelligenz. Aber die Sensibilisierung der Betreiber für die Vorteile solcher Verfahren ist nicht einfach, denn insbesondere unsere Kunden in der Chemie- und Prozessindustrie fahren ihre Anlagen nicht auf Verschleiß. Die Materialien für die Prozesse werden so ausgewählt, dass möglichst keine Schäden entstehen. Wenn man von vornherein keinen Schaden erwartet, dann ist man als Betreiber weniger bereit, in eine kontinuierliche Messung zu investieren.

Etwas anders ist es, wenn im Rahmen von Turnarounds Apparate mit Vorschädigungen entdeckt werden, die weiter betrieben werden sollen. Von einer kontinuierlichen Schallemissionsprüfung versprechen wir uns beispielsweise, dass wir in einen Apparat „hineinhorchen“ und den weiteren Verlauf von Schädigungen nachverfolgen können. Durch unterschiedliche Prozessbedingungen, die man mit einer KI verknüpft, kann man unter Umständen erkennen, was den Schadensmechanismus triggert. Da gibt es bereits erste erfolgversprechende Ansätze.

 

Überprüfung einer Anlage
Die Behörde kann auf Basis eines ZÜS-Gutachtens einer Prüffristverlängerung zustimmen. Das wird auch nach der Pandemie noch ein Thema sein. (Bild: TÜV SÜD Chemie Service)

CT: Eigentlich liegen die Argumente dafür auf der Hand. Warum kommt das Thema nicht schneller voran?

Czapek: Wir müssen unseren Kunden den Nutzen des Verfahrens noch besser aufzeigen. Dieses ist uns bereits in einigen Projekten gelungen. Eine Hürde besteht darin, dass es auch auf Seiten der Betreiber einen gewissen Personalaufwand erfordert, das Verfahren zu unterstützen. Und oft ist auch der Leidensdruck der Betriebe nicht groß genug.

Aber mit der sich weiterentwickelnden Technik wird vieles einfacher werden. Ein Beispiel sind drahtlose Sensoren. Je einfacher der Einsatz neuer Technik ist, desto eher werden unsere Kunden bereit sein, das auch zu nutzen. Wenn Sensoren und KI irgendwann so günstig sind, dass man die Informationen und Auswertungen ohne großen Aufwand bekommt, dann wird man die Zusammenhänge zwischen Prozessbedingungen und Ausfallursachen intensiver erforschen.

CT: Was hat sich in der Pandemie für Sie in der Prüfarbeit verändert?

Czapek: Was die Prüfzyklen angeht, gab es von Seiten der Behörden verschiedene Öffnungsmöglichkeiten, aber die waren immer auf fehlende Prüfkapazitäten ausgerichtet. Am Standort Dormagen waren wir immer lieferfähig, deshalb waren diese Öffnungsmöglichkeiten für unsere Kunden eigentlich nie ein Thema. Allerdings wurden schon vor Corona die Möglichkeiten zur Prüffristverlängerung im Rahmen der Betriebssicherheitsverordnung genutzt - die Behörde kann auf Basis eines ZÜS-Gutachtens einer Prüffristverlängerung zustimmen. Das wird auch nach der Pandemie ein Thema sein, weil es den Betreibern Flexibilität bei der Prüfung ermöglicht. Vor Corona war die Tendenz, Stillstände immer weiter zu verkürzen – denn der Produktionsausfall kostet Geld. In der Pandemie hat sich das etwas entschleunigt.

CT: Was hat sich im Backoffice-Bereich geändert und wie können digitale Tools helfen, um die Zeit vor Ort auf ein Minimum zu begrenzen?

Es gibt nur wenige digitale Tools im Hinblick auf Prüfinstrumente. Die schärfste Waffe des Sachverständigen ist immer noch das unbewaffnete Auge. Da wird sich auch so schnell zumindest in großen Turnarounds nichts ändern. Dort wird häufig mehrere Wochen lang intensiv geprüft und dabei nur das Nötigste aufgezeichnet. Wenn dann wieder etwas Ruhe einkehrt, nutzen die Sachverständigen allerdings die Möglichkeit, die Dokumentation vollständig digital zu erstellen und automatisiert an den Betreiber zu versenden. Hier hat TÜV SÜD Chemie Service entsprechende Tools auf Basis von SAP entwickelt.

CT: Welche Änderungen im Regelwerk beschäftigen Sie derzeit?

Czapek: Im Sommer 2021 ist das Gesetz für überwachungsbedürftige Anlagen in Kraft getreten. Hinsichtlich der Auslegung gibt es noch Fragen bei Betreibern und Überwachungsorganisationen. Unter anderem fehlt noch der mit diesem Gesetz im Zusammenhang stehende Katalog für überwachungsbedürftige Anlagen. Da sind wir gespannt, wie der Katalog aussehen wird und welche Anlagen neu hinzukommen werden und ob möglicherweise Andere dafür wegfallen.

CT: Inwiefern trifft Sie das IT-Sicherheitsgesetz 2.0, in dem Chemieanlagen noch stärker in den Fokus rücken?

Czapek: Cybersicherheit ist für uns ein wichtiges Thema, das uns in diesem Jahr stark beschäftigen wird. Eine Beurteilung einer Anlage auf Cybersicherheit ist eine Herausforderung und wird sich auch auf uns als ZÜS-Prüfer auswirken. Wenn wir beispielsweise eine Inbetriebnahmeprüfung an einer fernüberwachten Druckanlage machen, dann müssen wir natürlich auch beurteilen, ob die Anlage vor Manipulation geschützt ist. Und wenn eine Manipulation durch einen Cyberangriff potenziell möglich ist, dann steht das für uns auch im Fokus. Wenn Menschen zu Schaden kommen, wird ein Staatsanwalt fragen, „Weshalb habt Ihr das nicht erkannt?“ Schon deshalb werden unsere Prüfer die grundlegenden Fragen zur Cybersicherheit abklopfen müssen.

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