Chemieanlage bei Nacht

Dunkle Zeiten? Besonders die Chemieindustrie litt im vergangenen Jahr unter zurückgehenden Investitionen aus dem Ausland. (Bild: Thorsten Frisch – stock.adobe.com)

Die jährliche Studie der Unternehmensberatung EY stellt seit 2017 einen kontinuierlichen Rückgang von ausländischen Investitionen in Deutschland fest. Mit 832 Projekten wurde 2022 das niedrigste Niveau seit dem Jahr 2013 erreicht. Das sei eine beunruhigende Entwicklung, sagte Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung bei EY: „Vor allem Frankreich hat Deutschland in den vergangenen Jahren abgehängt. Präsident Macron hat es geschafft, mit wirtschaftsfreundlichen Reformen in Frankreich eine bemerkenswerte Dynamik zu entfachen, von der wir in Deutschland derzeit leider weit entfernt sind.“

Deutschland verliert an Boden

Frankreich blieb auch 2022 Spitzenreiter im Europa-Ranking. So stieg die Zahl der Investitionsprojekte in Frankreich im vergangenen Jahr um 3 % auf 1.259, nachdem sie im Vorjahr bereits um 24 % zugelegt hatte. Großbritannien belegt den zweiten Platz im Ranking, die Zahl der Projekte schrumpfte allerdings um 6 % auf 929. Deutschland konnte bisher aber „kaum von der Brexit-bedingten Schwäche des Investitionsstandorts Großbritannien profitieren“, so Ahlers.

Zahl der ausländischen Investitionsprojekte in Deutschland
Die Zahl der ausländischen Investitionsprojekte in Deutschland sinkt seit sechs Jahren kontinuierlich. (Bild: EY)

Zwar sei Deutschland ohne Zweifel nach wie vor ein starker und wettbewerbsfähiger Standort, betont der EY-Geschäftsführer. „Aber auf der Kostenseite hat Deutschland zuletzt deutlich an Attraktivität verloren – gerade für Industrieunternehmen. Und bei Forschung, Entwicklung und digitalen Innovationen sind derzeit andere Standorte besser aufgestellt. Hierzulande dauert vieles einfach zu lang und ist mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden – ob es nun um Planungs- und Genehmigungsverfahren oder auch den Ausbau der digitalen und der Energie-Infrastruktur geht.“

Chemiestandort mit deutlich weniger Projekten

Mutmaßlich auf die hohen Energiekosten zurückzuführen ist auch die auffällige Zurückhaltung bei Chemie-Projekten.  Zählte die EY-Studie 2020 und 2021 noch 38 bzw. 37 Investitionsprojekte aus dem Ausland, waren es im vergangenen Jahr nur noch 28 – also knapp ein Viertel weniger. Hinzu kommt hier auch der „Inflation Reduction Act“. Mit dem hätten die USA zudem den Standortwettbewerb weiter verschärft, warnt Ahlers: „Die USA gewähren massive Steuergutschriften im Gegenzug für Investitionen in grüne Technologien, was die Produktionskosten spürbar reduziert und zusammen mit einem ohnehin deutlich niedrigeren Energiepreisniveau hohe Anreize für „grüne“ Investitionen schafft.“ Diesem Standortwettbewerb müsse sich Europa stellen und einen Förderrahmen schaffen, der auch in Europa Unternehmen zu schnellem Handeln und Investitionen motiviert.

Immerhin: In einer für die EY-Studie durchgeführten weltweiten Unternehmensbefragung kann Deutschland aktuell insgesamt auf alle Branchen gesehen einen deutlichen Attraktivitätszugewinn verbuchen. Der Anteil der Befragten, die Deutschland als einen von drei Top-Standorten in Europa bezeichnen, ist im Vergleich zur Vorjahresbefragung von 42 auf 62 % gestiegen. Frankreich (47 %) und Großbritannien (43 %) liegen deutlich dahinter. „Im vergangenen Jahr waren die Sorgen vor einer akuten Energiekrise und Produktionsausfällen in Deutschland groß. Das konnte verhindert werden, und auch die Lieferkettenunterbrechungen, die sich aus dem Krieg in der Ukraine und den Sanktionen gegen Russland ergaben, wurden relativ schnell bewältigt“, sagt Ahlers.

Für die Studie wurden Investitionsprojekte erfasst, die zur Schaffung neuer Standorte und neuer Arbeitsplätze führen, Portfolio- und M&A-Investitionen wurden hingegen nicht berücksichtigt. Zudem wurde für die Studie eine Befragung von 508 Entscheidungsträgern bei international tätigen Unternehmen durchgeführt, die im Februar und März 2023 stattfand.

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