Björn Griesemann, Geschäftsführer  der Griesemann-Gruppe

"Rund 30 Prozent unserer Aufträge haben bereits heute mit Maßnahmen zur CO2-Reduzierung zu tun. Das wird definitiv auch für den deutschen Anlagenbau eine einmalige Chance!" Björn Griesemann, Geschäftsführer der Griesemann-Gruppe. (Bild: Griesemann)

CT: Herr Griesemann, bei Engineering-Dienstleistungen und im Anlagenbau ist schon immer viel Bewegung. In den letzten Jahren haben sich beispielsweise Chemieunternehmen bei ihren Projekten immer stärker auf externe Partner abgestützt. Woran liegt das und welche weiteren Trends beobachten Sie in Ihrem Markt?

Griesemann: Zunächst sehen wir, dass die Anforderungen für Engineering-Dienstleister und insbesondere beim Projektmanagement in EPCM-Projekten enorm zunehmen. Vor allem bei Projekten in der Größenordnung 50 bis 100 Millionen Euro ist das der Fall. Dort wird heute viel häufiger EPCM gefordert. Die Auftraggeber haben hier in der Regel ein bis drei Partner, aber am Markt sind immer weniger Unternehmen, die diesen Leistungsumfang anbieten können und die mit den Anforderungen der EPCM-Projekte zurechtkommen. Und das ist ein weiterer Trend: Die Kapazitäten am Markt werden in diesem Bereich immer kleiner.

Zur Person: Björn Griesemann

Björn Griesemann

Diplom-Wirtschaftsingenieur Björn Griesemann begann seine Laufbahn als beratender Turnaround-Manager. 2007 stieg er als Bereichsleiter EMSR & Engineering der Indurest ins von seinem Vater im Jahr 1975 gegründete Unternehmen ein. Fünf Jahr später übernahm er sukzessive die Geschäftsführung und trägt heute die Verantwortung für rund 1.600 Mitarbeiter. Als Präsident des Traditionskorps Blaue Funken engagiert sich der zweifache Vater außerdem im Kölner Karneval.

CT: Was sind die Gründe für die von Ihnen prognostizierten Kapazitätsengpässe?

Griesemann: Um die steigenden Anforderungen im Bereich EPCM erfüllen zu können, müssen wir enorm investieren. Da geht es beispielsweise um Prozesse und das Projektmanagement – der Aufwand ist dort inzwischen deutlich gestiegen. Nehmen Sie nur das Beispiel „Einbindung von low cost countries“ – wir vergeben inzwischen jährlich zwischen 35.000 und 50.000 Ingenieurstunden nach Indien und Osteuropa. Das muss man organisatorisch – aber auch von den Tools her – beherrschen.
Befeuert wird der Trend auch dadurch, dass es in der Chemie kaum noch Unternehmen mit einem eigenen großen Engineering gibt. Dieser Outsourcing-Trend dauert bereits einige Jahre an und viele Kunden sind jetzt an einem kritischen Punkt angekommen

CT: In der Vergangenheit gab es da immer wieder Gegenbewegungen, wenn zum Schluss die Beurteilungskompetenz nicht mehr da war.

Griesemann: Ich glaube, die Gegenbewegung wird ausschließlich im betriebsnahen Geschäft stattfinden. Und unser größtes Problem ist, dass unsere Kunden zum Teil unsere erfahrensten Leute abwerben. Diese planen dann allerdings nicht selbst, sondern kontrollieren für die Kunden ihre Engineering-Partner – also uns fehlt dadurch die Manpower für die Projekte.

CT: Dieses Problem ist lange bekannt, wir haben das auf dem Engineering Summit auch schon mehrfach diskutiert. Wie gehen Sie damit um?

Griesemann: Von den Kollegen, die uns verlassen, gehen nur wenige zu Wettbewerbern, aber nahezu zwei Drittel wechseln auf die Kundenseite. Um dem entgegenzuwirken, suchen wir uns die Partnerschaften auch unter diesem Gesichtspunkt aus – wobei uns die aktuelle Marktsituation entgegenkommt. Wir haben in jüngster Zeit bereits Kunden die Partnerschaft gekündigt, weil diese unsere Fachkräfte abgeworben hatten. In langjährigen Partnerschaften ist das in der Regel eingespielt und passiert seltener.

 

CT: Sie haben bereits erwähnt, dass der Trend zur Vertragsform EPCM hohe Anforderungen stellt. Inwiefern?

Griesemann: Der Aufwand und das Risiko sind in diesen Projekten hoch. Kleine Unternehmen können da inzwischen kaum noch Schritt halten. Wir stecken beispielsweise jedes Jahr mehrere 100.000 Euro in die Entwicklung unserer IT-Landschaft und beschäftigen Mitarbeiter, die sich ausschließlich der Prozessentwicklung widmen. Das können sich einige Unternehmen nicht mehr leisten.

 

Zum Begriff: EPCM

Engineering und Procurement Management und Construction Management, EPCM, ist eine Variante der Projektabwicklung. Bei einem EPCM-Projekt übernimmt der EPCM-Contractor die Verantwortung für das gesamte Projekt und insbesondere ab der Bauphase lediglich die Überwachungsleistungen, die Ausführung von Bau und Montage erfolgt durch Subunternehmen, die vom Auftraggeber direkt beauftragt werden. EPCM-Projekte eignen sich insbesondere für Projekte, bei denen Flexibilität gefordert ist und beispielsweise Änderungen im Beschaffungsumfang erwartet werden.

CT: Die Fluktuation bei den Ingenieuren ist bei Engineering-Dienstleistern in der Regel hoch – auch weil die Gehälter für Ingenieure im Bereich Projektierung meist niedriger sind als bei den Betreibern. Wie gehen Sie in Ihrer Unternehmensgruppe mit dem Thema um?

Griesemann: Die Kolleginnen und Kollegen sind unsere wichtigste Ressource – auch deshalb, weil wir in der Vergangenheit jährlich um durchschnittlich zehn Prozent gewachsen sind und diesen Trend gerne fortsetzen möchten. Wir stellen uns den sich ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes und bieten Arbeitsplätze, an denen sich die Menschen wohlfühlen. Dazu gehört vor allem persönliche Wertschätzung und ein familiäres Umfeld, aber auch gemeinsam Sport machen oder feiern. Dass das trägt, wurde auch bei der Flutkatastrophe im Sommer deutlich: Ich war sehr bewegt von dem Zusammenhalt und der Hilfsbereitschaft untereinander.
Aber auch abwechslungsreiche Engineering-Tätigkeiten sind für unsere Kollegen sehr wichtig. Deshalb nehmen wir gezielt immer wieder Projekte an, die für uns komplett neu sind. Da können wir einen Vorteil ausspielen: Für große Unternehmen sind einige dieser Projekte zu klein und für kleinere Wettbewerber zu groß. Außerdem spielt auch das Gehalt natürlich eine Rolle – und dass sich das branchenweit durchschnittlich gut entwickelt, ist ja kein Geheimnis.

CT: McKinsey schätzt, dass inzwischen weltweit grüne Wasserstoff-Projekte im Wert von 500 Milliarden Dollar angeschoben werden. Spüren Sie den Nachhaltigkeitstrend bereits in Ihren Auftragsbüchern und wird das die Knappheit bei Engineering-Kapazitäten noch weiter verschärfen?

Griesemann: Absolut – und da wird auch noch mehr kommen. Rund 30 Prozent unserer Aufträge haben bereits heute mit Maßnahmen zur CO2-Reduzierung zu tun. Das wird definitiv auch für den deutschen Anlagenbau eine einmalige Chance: Deutschland kann seine Technologieführerschaft ausspielen. Ich hoffe bloß, dass wir uns hier nicht wieder vom ausländischen Wettbewerb die Butter vom Brot nehmen lassen werden.
Als Unternehmen arbeiten wir bereits seit Jahrzehnten mit Wasserstoff. Wir haben den Trend bereits vor Jahren erkannt und können inzwischen auf zahlreiche Power-to-X-Projekte zurückblicken.

Griesemann-Gruppe
Mit über 600 Mitarbeitern ist die Griesemann-Gruppe ein führendes Engineeringunternehmen der Prozessindustrie mit Fokus auf multidisziplinären Leistungen. Weitere rund 1.000 Mitarbeiter aus den Bereichen Anlagentechnik und Blitzschutz engagieren sich für Fertigung, Montage, Instandhaltung und Turnarounds. (Bild: Griesemann)

CT: Was bietet die Griesemann-Gruppe beim Thema Wasserstoff an?

Griesemann: Wir unterstützen unterschiedliche Projektphasen und Technologien: Vom Genehmigungsmanagement bis hin zur Montage von Elektrolyseanlagen – die typischen EPCM-Themen. Studien und Basic-Engineerings für Wasserstoff-Anwendungen und Power-to-X-Anlagen gehören ebenso dazu, wie deren Integration in bestehende Anlagen. Aber es geht ja nicht nur um Wasserstoff-Projekte auf der grünen Wiese: Auch in der Rohstoffproduktion wird unser Wasserstoff-Know-how gebraucht. Und nach und nach werden dekarbonisierte Wasserstoff-Anlagen konventionelle ersetzen. Das wird in den nächsten Jahren ein großes Thema. Dazu kommt die Transportlogistik – für die neuen Rohstoffe müssen zum Beispiel Verladeanlagen gebaut werden. Aber auch CO2-Abscheidung und Speicherung: Da werden immense Ingenieur-Kapazitäten benötigt werden. Und das konkurriert natürlich mit den klassischen Projekten, beispielsweise im Chemieanlagenbau.

 

CT: Ich kann mir vorstellen, dass solche Trends und Herausforderungen ein Unternehmen verändern. Was macht das mit der Griesemann-Gruppe?

Griesemann: Das hat vielfältige Facetten. Ganz wichtig: Wir müssen unsere Effizienz deutlich steigern. Schon allein aufgrund des EPCM-Drucks müssen unsere internen Projekte viel besser werden. Deshalb stellen wir alle Engineering-Prozesse neu auf – der Transformationsprozess läuft bereits seit drei Jahren. Wir investieren viel da rein, die Abläufe in allen Projekten zu hinterfragen und neu zu gestalten. Dabei geht es vor allem auch um klare Schnittstellen zwischen den Gewerken und mittelfristig soll alles auch digital abgebildet werden.

CT: Digitalisierung wird ja häufig als Allheilmittel gesehen, aber im Kern geht es doch um Fragen der Organisation, oder?

Griesemann: Exakt. Digitalisierung sehen wir zur Unterstützung, aber die strukturelle und fachliche Arbeit müssen wir selber machen. Natürlich helfen uns datenbankgestützte und automatisierte Abläufe dabei. Unser Anspruch muss sein, dass wir die besten und effizientesten Projekte und Prozesse haben. Und ich glaube, da sind wir schon ziemlich gut.

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