Von der Zeichnung zum digitalen Nervenzentrum der Anlage
Wie KI die Arbeit mit R&I-Schemata radikal vereinfacht
Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagramme (R&I) zu erstellen ist mühsam, häufig fehlerhaft und veraltet. Das ändert sich jetzt grundlegend: KI-Systeme erfassen, prüfen und vernetzen R&I-Daten automatisiert – und verwandeln statische Pläne in dynamische Informationsmodelle, die sich dank Dexpi-Standard universell einsetzen lassen.
Armin Scheuermann, Chemieingenieur und FachjournalistArmin Scheuermann, Chemieingenieur undFachjournalist
(Bild: KI-generiert mit Gemini)
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KI kann den Aufwand für R&I-Erstellung und -Pflege um bis zu 50 % reduzieren.
Digitale, KI-gestützte R&I-Modelle schaffen eine konsistente Datenbasis für Planung, Betrieb und Instandhaltung über den gesamten Anlagenlebenszyklus.
Offene Standards wie Dexpi sind der Schlüssel zur Interoperabilität zwischen Softwarelösungen – und damit zur wirtschaftlichen Nutzung von KI im Engineering.
Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagramme (R&I-Schema) sind das Herzstück des verfahrenstechnischen Engineerings. Sie zeigen, wie eine Anlage funktioniert, wie Medien fließen, wo Messstellen installiert sind und welche Sicherheitsfunktionen greifen. Kurz: Sie verbinden die verfahrenstechnische Idee mit der technischen Umsetzung.
Trotz ihrer zentralen Bedeutung kämpfen Ingenieurteams oft mit denselben Problemen. Die Erstellung und Pflege von R&I-Schemata ist mühsam, fehleranfällig und selten durchgängig digital. Oft beginnt die Arbeit mit einem PDF-Dokument oder einer veralteten CAD-Datei, deren Inhalte manuell in andere Systeme übertragen werden müssen. Medienbrüche sind Alltag: Änderungen im R&I-Schema finden nicht automatisch ihren Weg in Materiallisten, 3D-Modelle oder Steuerungssysteme. Jede Änderung muss mehrfach überprüft, abgestimmt und dokumentiert werden – oft über Excel-Tabellen, E-Mails und in langwierigen Review-Runden.
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Hinzu kommt: R&I-Schemata sind teamübergreifende Dokumente. Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Automatisierung, Instandhaltung und Projektleitung greifen darauf zu – oft ohne zentrale Datenbasis oder konsistente Versionierung. Fehler im Entwurf führen im Bau zu Konflikten – etwa wenn ein Sicherheitsventil fehlt, eine Leitung falsch dimensioniert wurde oder ein Tag doppelt vergeben ist. Solche Fehler sind teuer: Sie verzögern Genehmigungen, erfordern Umplanungen oder führen im schlimmsten Fall zu Sicherheitsrisiken. Der Arbeitsaufwand ist entsprechend hoch: Studien zufolge fließen 30 bis 40 % der gesamten Engineering-Zeit in das Management von Planungsdaten – ein erheblicher Teil davon entfällt auf manuelle Korrekturen, Versionsvergleiche, Redlining und Absprachen.
Hier setzt künstliche Intelligenz an – mit dem Ziel, diese Prozesse zu beschleunigen, konsistenter und fehlerärmer zu gestalten. KI kann heute nicht nur alte R&I-Schemata digitalisieren, sondern auch neue mitgestalten, Fehler frühzeitig erkennen, Datenquellen verknüpfen und Änderungen automatisiert dokumentieren. Der Wandel ist tiefgreifend: Aus einem statischen Planungsdokument wird ein dynamisches, lernendes System.
KI im Anlagenbau: Schwerpunkt auf dem Engineering Summit
Beim 11. Engineering Summit am 4. und 5. November 2025 in Darmstadt zeigen führende Expertinnen und Experten anhand konkreter Use Cases, wie künstliche Intelligenz den Anlagenbau verändert:
Florian Stürmer (Strategy&): Studie zu Potenzialen generativer KI auf die Produktivität im Industrieanlagenbau
Richard Noglik (Linde Engineering): KI im Engineering
Dr. Alice Boldis (Voith)): KI im Vertragsmanagement
Thomas Silbermayr (Primetals Technologies Austria): KI im Supply Chain Management
Jürgen Woll (Dieffenbacher): KI in der Produktionsüberwachung
Erleben Sie, wie KI neue Maßstäbe in Effizienz, Sicherheit und Produktivität setzt und welche Chancen sich für den Anlagenbau eröffnen.
KI als Assistenzsystem entlang des Anlagenlebenszyklus
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Der Nutzen von KI zeigt sich über alle Lebensphasen einer Anlage – vom ersten Blockfließbild bis zur Stilllegung. Schon im Basic Engineering lassen sich alte R&I-Schemata automatisch erfassen. KI-Systeme wie PIDGraph (Bilfinger) oder SymphonyAI analysieren eingescannte Pläne, erkennen Symbole, Equipment-IDs und Medienflüsse und überführen die Daten in strukturierte Modelle. Der Unterschied zur herkömmlichen Methode ist drastisch: Wo früher tagelange Handarbeit nötig war, entsteht heute in Stunden ein digital nutzbares Informationsmodell – Grundlage für digitale Zwillinge und durchgängige Datenketten.
Im Detail Engineering übernehmen KI-Systeme zunehmend die Rolle eines intelligenten Gegenlesers. Siemens’ Engineering Copilot etwa generiert erste R&I-Entwürfe direkt aus Texteingaben und schlägt Komponenten und Signalverläufe vor. Systeme wie X-Visual PlantEngineer prüfen Entwürfe automatisch auf logische Inkonsistenzen – etwa doppelte Instrumentierungen oder fehlende Sicherheitsfunktionen – und reduzieren so aufwendige Re-Design-Schleifen. Der Nutzen: mehr Qualität im Entwurf, weniger Rückfragen, kürzere Planungszyklen.
In der Konstruktions- und Bauphase hilft KI, Änderungen medienbruchfrei zu verarbeiten. Hexagon Smart P&ID beispielsweise erkennt Abweichungen zwischen R&I-Schema und 3D-Modell und stellt sie automatisiert dar. Bei Bayer wurde so im Vorfeld eines FAT eine fünfstellige Zahl an Fehlern und Inkonsistenzen erkannt – ohne manuelles Abgleichen.
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Im Betrieb schließlich wird das R&I-Schema zunehmend zur interaktiven Plattform. Instandhalter können über KI-gestützte Systeme direkt aus dem Diagramm auf Wartungshistorien, Alarme oder Ersatzteilinformationen zugreifen. Predictive-Maintenance-Tools nutzen R&I-Daten, um Schwachstellen zu identifizieren und Ausfälle zu prognostizieren. Auch bei Umbauten oder Stilllegungen spielt KI ihre Stärken aus: Änderungen werden automatisch erkannt, dokumentiert und ins Datenmodell übernommen – revisionssicher und konsistent.
Engineering Summit 2026 – Save the date!
(Bild: Redaktion)
Mit dem Engineering Summit steigt am 15. und 16. September 2026 in Darmstadt wieder die wichtigste Veranstaltung des europäischen Anlagenbaus. Top-Speaker aus Industrie, Politik und Forschung liefern Impulse, Best Practices und kontroverse Debatten – ergänzt durch Networking-Sessions und eine Fachausstellung. Der Summit bietet damit einmal mehr die Plattform, um Trends zu setzen und Projekte der Zukunft auf den Weg zu bringen.
Dass dieser Wandel nicht nur technisch möglich, sondern auch wirtschaftlich attraktiv ist, zeigen erste Projekte aus der Industrie. Bei Lanxess konnten mit Bilfingers PIDGraph mehrere Tausend R&I-Schemata aus Altanlagen digitalisiert werden – mit einer Zeit- und Kosteneinsparung von über 50 % gegenüber der herkömmlichen Methode. Siemens berichtet von Produktivitätsgewinnen bis zu 50 % bei der Erstellung von R&I-Schemata und Steuerungscode durch den Einsatz des Engineering Copilot.
X-Visual liefert Praxisberichte, wonach durch KI-gestützte Prüfregeln rund ein Fünftel aller potenziellen Korrekturschleifen im Engineering vermieden werden konnten. SymphonyAI wiederum ermöglicht es, mit seiner Plattform große Bestandsdatenbanken zehnmal schneller zu erfassen und gleichzeitig Prozessengpässe frühzeitig zu erkennen – ein klarer Wettbewerbsvorteil für Betreiber wie EPCs.
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Ein weiteres Beispiel liefert Bayer: Mithilfe von Hexagon Smart P&ID wurden mehr als 5.000 R&I-Schemata in ein digitales System überführt und mit 3D-Modellen abgeglichen. Die Folge: weniger Clashs, schnellere Planung, deutlich geringeres Risiko in der Inbetriebnahmephase.
Offene Daten statt Insellösungen – die Rolle von Dexpi
Entscheidend für den Erfolg KI-gestützter R&I-Anwendungen ist die Interoperabilität – und hier kommt der Dexpi-Standard (Data Exchange in the Process Industry) ins Spiel. Dexpi wurde 2011 als gemeinsame Initiative führender Unternehmen und Organisationen ins Leben gerufen. Zu den Gründungsmitgliedern zählen BASF, Bayer, Evonik, Linde und Wacker sowie Softwarehäuser wie Siemens, Hexagon (vormals Intergraph) und Aucotec. Koordiniert wird das Projekt heute unter dem Dach der Namur und der Dechema.
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Ziel von Dexpi ist es, ein herstellerunabhängiges, XML-basiertes Austauschformat für R&I-Daten zu schaffen – inklusive aller relevanten Informationen zu Komponenten, Verbindungen, Medienflüssen, Messstellen und Funktionen. Grundlage ist die objektorientierte Beschreibung der Engineering-Modelle, die auf die Spezifikation von ISO 15926 zurückgreift. Der Dexpi-Standard erlaubt es, Informationen über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage hinweg konsistent weiterzugeben – von der Planung über die Errichtung bis zum Betrieb und Rückbau.
Der aktuelle Schwerpunkt der Dexpi-Arbeitsgruppen liegt auf der Standardisierung des R&I-Austauschs sowie der Ausweitung auf Instrumentierungs- und Rohrleitungslisten, Datenblätter und 3D-Verknüpfungen. Die Spezifikation befindet sich mittlerweile in Version 1.4 und wird kontinuierlich erweitert – auch im Dialog mit internationalen Normungsinitiativen und der OPC Foundation, etwa im Kontext der standardisierten OPC UA Companion Specifications.
In der Praxis unterstützt heute eine wachsende Zahl von Softwarelösungen den Dexpi-Standard: darunter PIDGraph (Bilfinger), Smart P&ID (Hexagon), Engineering Base (Aucotec) und PlantEngineer (X-Visual). Damit können strukturierte R&I-Modelle systemübergreifend erzeugt, geprüft und aktualisiert werden – ohne aufwendige Konvertierungen oder Medienbrüche.
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Für Betreiber bedeutet das: konsistente Datenmodelle, schnellere Datenübergaben zwischen Engineering-Partnern und eine solide Grundlage für Digital Twins und KI-basierte Anwendungen. Dexpi entwickelt sich damit zunehmend vom Datenaustauschstandard zum Enabler für digitales Anlagenmanagement – ein entscheidender Baustein für die Zukunftsfähigkeit der Prozessindustrie.
Fazit: Durch die digitale Transformation der R&I-Prozesse werden die Rohrleitungs- und Instrumentierungsschemata von einfachen Zeichnungen zu Schlüsselressourcen für ein intelligentes Anlagenmanagement – von der Idee bis zur Außerbetriebnahme.