Mitarbeiterin im Labor

High Performance Computing erlaubt das Simulieren und Modellieren von Produkten unter realen Bedingungen. (Bild: Microsoft)

  • Entwicklungsprozesse in Chemie und Pharma zu digitalisieren, war aufgrund der Komplexität der zu verarbeitenden Daten bisher mit herkömmlicher IT praktisch unmöglich.
  • Das im Wesentlichen auf die Parallelverarbeitung von Daten ausgelegte High Performance Computing (HPC) bietet der Branche hier ganz neue Möglichkeiten.
  • Die Vorzüge des Einsatzes von HPC aus der Cloud zeigen zwei konkrete Praxisbeispiele.

Dass sich Entwicklungsprozesse in der Branche mit herkömmlicher IT so schwer digitalisieren lassen, liegt vor allem an der Komplexität der zu verarbeitenden Daten. Das im Wesentlichen auf die Parallelverarbeitung von Daten ausgelegte HPC eröffnet hier ganz neue Möglichkeiten – und zwar „ab initio“, also von Anfang an.
Zu den bisher fast unmöglich zu digitalisierenden Prozessen gehören etwa Simulationen von Materialien auf atomarer Ebene. Das ging zwar auch bisher schon digital, aber nur für einfache Problemstellungen. Besonders schwierig war dabei die molekulare Modellierung industrierelevanter Applikationen, was sich oft sogar als unlösbar herausstellte, weil der Rechenaufwand mit der Anzahl der Atome massiv steigt.


Das ist der Grund, warum über HPC Simulationen und experimentelle Methoden kombiniert werden, um die Anzahl der möglichen Lösungen zu begrenzen. So beträgt zum Beispiel die Anzahl organischer Moleküle, die man testen könnte, eine Dezillion: eine Eins mit 60 Nullen. Um solche Dimensionen in akzeptabler Zeit bewältigen zu können, braucht es zwingend eine skalierbare, sichere und robuste HPC-Infrastruktur mit sehr viel CPU- oder GPU- Leistung, Konnektivität mit niedriger Latenz und einer hohen Bandbreite zwischen den Servern und effizienten Speichersystemen.


Über HPC können Simulationen auf molekularer Ebene nicht nur die physikalischen und chemischen Eigenschaften abbilden, sondern auch die Reaktivität von Materialien. Das erweitert die Materialforschung um neue Möglichkeiten und bringt Mehrwerte für Entwicklungsteams und Management. In der Summe stehen bei HPC kürzere Entwicklungszeiten, mehr Einblicke in die chemischen Reaktionen und weniger Experimente im Labor auf der Habenseite. Insgesamt führt der Einsatz von HPC aber nicht nur zu schnelleren Produktzyklen, sondern auch zu einer besseren Qualität der Produkte.

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Beispielsweise bei der Entwicklung neuer Arzneimittel werden moderne Simulations- und Modellierungsverfahren erst durch HPC ermöglicht. (Bild: Microsoft)

Superrechner sind schon da

Bei HPC, wie es zum Beispiel Microsoft mit seinem cloudbasierten Azure-HPC als On-Demand-Service anbietet, handelt es sich um die Zusammenstellung von Computing-, Netzwerk- und Speicherressourcen, die mit Orchestrierungsdiensten für Workloads integriert sind. Diese Superrechner, im Grunde eine Übergangstechnologie zum noch leistungsfähigeren Quantencomputing, eignen sich unter anderem für Szenarien im Gesundheitswesen und den Biowissenschaften, wo sie aufwendige Genomanalysen, datenintensive bildgebende Verfahren oder Simulationen klinischer Studien unterstützen.

Wirkstoffentwicklung: HPC erhöht Kapazitäten für Simulationen

Auch die Daten, die bei klinischen Tests neuer Medikamente anfallen, können mit HPC-Architekturen schneller durchsucht und besser klassifiziert werden, wie das Anwendungsbeispiel des Unternehmens Molecular Modelling Laboratory (MML) zeigt. Das in der Schweiz ansässige Unternehmen setzt für die Metabolisierung von Medikamenten und Wirkstoffen auf die sogenannte Amorphous Solid Dispersion (ASD). Genau hier, also beim biochemischen Um- und Abbau von Substanzen durch körpereigene Enzyme, haben Menschen Probleme, chemisch komplizierte Arzneimittel zu verarbeiten. Das wird nicht besser durch die Tatsache, dass Moleküle pharmazeutischer Wirkstoffe (API) immer komplexer werden und so die Bioverfügbarkeit und den Anteil der Wirkstoffe, die schließlich den therapeutischen Ort erreichen, zusätzlich beeinträchtigen. Bei ASD werden API-Kristalle aufgebrochen und mit organischen Polymeren gemischt, um die Löslichkeit, die Auflösungsgeschwindigkeit und die Bioverfügbarkeit von Arzneimittelabgabesystemen zu verbessern. Das Verfahren ist ein deutlicher Fortschritt in der Pharmazie, aber es bleibt immer noch ein komplizierter Prozess, der die Entwicklungszyklen von Medikamenten um Monate verlängern kann. Die Vorhersage einer ASD-Stabilität galt lange Zeit als zu komplex für computergestütztes Screening, sodass die ASD-Formulierung weitgehend auf manuelles Ausprobieren beschränkt war.


Weil sich das Unternehmen für die Nutzung von HPC und künstlicher Intelligenz von Microsoft Azure in der Medikamentenentwicklung entschied, ist es dem Unternehmen nun aber gelungen, die ASD-Strukturen schnell für eine Vielzahl von Bedingungen zu modellieren. Über diesen Ansatz kann MML nun neue und möglicherweise unvorhersehbare Kombinationen entdecken, die Arzneimittelsicherheit erhöhen und dazu beitragen, die Entwicklungszeit bis zur Bereitstellung des Medikaments und die Kosten drastisch zu reduzieren.

Rezepturen: Intelligenz hilft, wachsende Komplexität zu bewältigen

Neben dem für die moderne Entwicklung von Wirkstoffen praktisch unverzichtbaren HPC gibt es einen anderen Weg, bei dem die Komplexität der Rechenaufgaben nicht reduziert, sondern intelligent gemanagt wird: Das Kölner Unternehmen Mobilab hat mit der künstlichen Intelligenz von Azure Machine Learning eine Empfehlungsmaschine für chemische Formeln entwickelt, die Rezepturen auf Basis früherer Experimente vorschlägt und so den Aufwand bei Forschung und Entwicklung um mehr als 30 % reduziert. Für das bessere Verständnis komplexer Rezepturen und das Ableiten neuer Formeln aus dem Studium von vorhandenen ist die KI nicht nur in der Lage, schnell und beliebig skalierbar zu arbeiten, sondern hilft auch dabei, die für die Ableitungen benötigten Datenmengen zu reduzieren. Die Algorithmen beschleunigen nicht nur Entwicklungsprozesse und die Suche nach chemischen Formeln, sondern verringern ganz nebenbei auch den CO2-Fußabdruck in der Entwicklung.

Die Prozessindustrie hat verstanden

Die Implementierung von HPC insbesondere in der DACH-Region ist bereits ziemlich fortgeschritten, wie eine IDC-Studie zeigt: 21 % der befragten Unternehmen evaluieren schon die Optionen einer HPC-Infrastruktur, 39 % planen die Anschaffung oder haben bereits einen Piloten gestartet. Weitere fast 30 % haben sogar schon begrenzte oder umfassende Implementierungen durchgeführt. Es sind Zahlen, die optimistisch stimmen: Unternehmen aus der Prozessindustrie mit einem hohen Bedarf an hoch performanten Berechnungen haben verstanden, wie sie von HPC-Technologien profitieren können. 81 % der befragten Unternehmen bezeichnen HPC als einen Game-Changer für ihre Produkt- und Prozessinnovationen. Organisationen mit ersten Erfahrungen in der Nutzung von HPC stimmen sogar zu 96 % zu.


Das ist aber nur die eine gute Nachricht. Die andere: Es ist nicht nur sinnvoll und innovativ, sondern auch für alle Unternehmen möglich, auf eine cloudbasierte HPC-Infrastruktur zuzugreifen und dort komplexe Simulationen, Modellierungen und Datenanalysen durchzuführen. Anbieter wie Microsoft bieten dafür die passenden Lösungen und führende KI-Anwendungen an, die sich ohne großen Aufwand nutzen lassen. Über den großen Geschwindigkeitsvorteil von HPC gegenüber traditioneller Datenverarbeitung können sehr viel mehr Simulationen abgearbeitet werden. Das steigert die Qualität der Ergebnisse sehr deutlich.


HPC aus der Cloud öffnet Unternehmen aus der Prozessindustrie neue Einsatzszenarien, die bisher nur wenigen wissenschaftlichen Einrichtungen mit speziellen Supercomputern vorbehalten waren. Die Leistung steht On-Premises-Infrastrukturen in nichts nach, die Sicherheit ist aber in der Regel deutlich höher. Durch die Preismodelle bei voller Transparenz können die Unternehmen im Voraus planen, welche Projekte sie in die Cloud schieben und welche nicht. In der Cloud gehen sie auch den Lieferproblemen bei Hardware und Chips aus dem Weg. Und im Moment nicht ganz unwichtig: Die Stromkosten sind schon im Preis inbegriffen. So können Unternehmen nicht nur ihre Entwicklungszyklen, sondern auch die explodierenden Energiepreise besser managen.

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