Kann´s losgehen mit der Modulautomation via MTP? Die Protagonisten meinen „Ja!“

Kann´s losgehen mit der Modulautomation via MTP? Die Protagonisten meinen „Ja!“ (Bild: Maridav - adobe stock)

Vor mehr als einem halben Jahrzehnt fiel der Startschuss für eine modulare Automatisierung verfahrenstechnischer Anlagen. Das Konzept der Module war schon damals nicht neu: Produktionsanlagen in der Chemie werden seit jeher aus verfahrenstechnischen Grundoperationen – und oft sogar aus autarken Package Units – aufgebaut. Allerdings wurden und werden diese bis heute in der Regel zentral automatisiert: Steuerungen und andere Komponenten der Automatisierung müssen mit hohem Engineeringaufwand für jede Anlage angepasst und in das zentrale Automatisierungssystem eingebunden werden. Ein Konzept, das angesichts wachsender Ansprüche an die Flexibilität chemischer Produktionsanlagen seit einiger Zeit nicht mehr zeitgemäß ist.

Und so definierten Chemiker und Verfahrenstechniker bereits auf dem Tutzing-Symposium in 2009 Chemieanlagen, die aus einzelnen, gleichbleibenden Modulen, zum Beispiel für das Mischen, Aufheizen, Dosieren oder Trennen von Stoffen, aufgebaut werden. Doch es dauerte bis 2012, bis die in der Namur organisierten Prozessautomatisierer das Thema aufnahmen: Auf deren Treffen im November 2014 stellte der Automatisierungsanbieter Wago mit Dima (Dezentrale Intelligenz für Modulare Anlagen“) einen Ansatz vor, bei dem die Steuerungsintelligenz in die Module verlagert wird. Über eine einheitliche Schnittstelle können die Funktionen des Moduls als Dienst genutzt werden – die „Module Type Package – MTP“ genannte digitale Beschreibung war geboren; genau rechtzeitig, um einen Weg zu der mit der Vision „Industrie 4.0“ propagierten flexiblen Produktion auch für die Prozessindustrie aufzuzeigen. Von der Namur – der Interessensgemeinschaft Prozessautomatisierung – wurde das Konzept in der Namur-Empfehlung NE 148 übernommen.

Modul- und Orchestrierungsebene logisch getrennt

Das Modul Type Package MTP basiert auf der Tauchnitz-Torte der Namur und setzt sich aus verschiedenen Funktionen zusammen. Bild: Namur

Das Modul Type Package MTP basiert auf der Tauchnitz-Torte der Namur und setzt sich aus verschiedenen Funktionen zusammen.Bild: Namur

Bei der Modulautomation werden Modul- und Leitebene – auch „Orchestrierungs- oder Prozessführungsebene“ genannt – logisch getrennt: Das Modul nutzt einen eigenen Controller oder eine SPS, um die Logik des einzelnen Prozessmoduls auszuführen. Auf der Orchestrierungsebene werden Prozessmodule integriert und zu einer Prozessanlage kombiniert. Das MTP fungiert ähnlich wie ein Druckertreiber als Schnittstelle zwischen Modul und Orchestrierungsebene. Es sorgt dafür, dass die Prozessmodule ohne eigenen Engineering- oder Anpassungsaufwand in das übergeordnete Leitsystem integriert werden können.

Für die Automatisierung der verfahrenstechnischen Module entsteht – je nach dessen Funktion – eine herstellerneutrale Modultyp-Bibliothek, auf die bei der Anlagenplanung mit Engineering-Tools zugegriffen werden kann. D.h. an die Stelle des aufwändigen Engineerings aller Module einer Anlage tritt das Zusammenschalten der von Modullieferanten erstellten MTP, die standardisierte Funktionen und Dienste bereitstellen.

Evonik hat das MTP-Konzept bereits in einer Großanlage in Singapur gemeinsam mit Partnern getestet. Bild: Evonik

Evonik hat das MTP-Konzept bereits in einer Großanlage in Singapur gemeinsam mit Partnern getestet.Bild: Evonik

Dass dies funktioniert, wurde inzwischen in zahlreichen Demonstrations- und Pilotanwendungen gezeigt: Zunächst in kleinen Anlagen bei Evonik, Bayer und Merck und zuletzt auch in einem Großprojekt: Im Mai 2019 nahm Evonik in einer Anlage zur Produktion der Aminosäure DL-Methionin in Singapur die ersten mit MTP integrierten Package Units in einer kommerziellen Industrieanlage in Betrieb. In dem 2018 gestarteten Projekt für die erste praktische Anwendung von MTP-Standards in einer industriellen Umgebung arbeiteten die Unternehmen Evonik, Engie, Siemens und Yokogawa gemeinsam an der Integration einer Kälteaggregateinheit in eine konventionelle Produktionsanlage mittels MTP-Standard. Der Umfang der MTP-Integration umfasste Human Machine Interface (HMI) und OPC UA-Kommunikationsaspekte.

In dem Projekt zeigte sich, dass die MTP HMI-Beschreibung zu 80 % eins-zu-eins importiert werden konnte, 20 % mussten manuell angepasst werden. Die SPS von Siemens wurde über das OPC UA-Kommunikationsprotokoll mit einem Leitsystem von Yokogawa verbunden. Der Kühlprozess wurde zunächst auf der SPS simuliert und konnte auf der MTP-Bedienungsgrafik am Prozessleitsystem überwacht werden. Wie schon bei den kleineren Pilotprojekten im Vorfeld zeigte sich, dass der Aufwand für die Implementierung von Modulen mit MTP drastisch sinkt.

Riesiges Potenzial in der Pharma- und Lebensmittelindustrie

4 Gea Separator-Skid plug and win mit funktionaler MTP-Beschreibungt

Der Anlagenbauer Gea hat bereits ein Separator-Skid mit funktionaler MTP-Beschreibung im Programm.Bild: Gea

Auch beim Skid-Hersteller Gea hat man den Nutzen der Modulautomation früh erkannt. Dieser bietet unter anderem für Bierbrauer Separator-Skids an, mit denen die Brauer mehrere Prozesse durchführen können. Im Separator-Skid „plug & win“ hat der Anlagenbauer die Eigenschaften des Moduls als standardisierte und funktionale MTP-Beschreibung umgesetzt. Damit lassen sich die mit Siemens-Steuerungen ausgerüsteten Anlagen und Komponenten ohne Engineeringaufwand in übergeordnete Systeme integrieren.

Das Beispiel wirft ein Schlaglicht auf das Potenzial der MTP-Idee: Denn in noch größerem Maße als die Chemie könnten die sehr viel stärker auf Skids basierenden Produktionsanlagen der Lebensmittel-, Getränke- und Pharmaindustrie von der Modulautomation profitieren. Dort kommen oft Skids unterschiedlicher Hersteller zum Einsatz, die mit jeweils eigener Logik, Programmierung und Bedienphilosophie realisiert werden. Eine Standardisierung nach dem MTP-Konzept bietet hier großes Potenzial, um Engineeringkosten zu reduzieren.

Dies haben auch die in der ISPE organisierten Ingenieure der Pharmazeutischen Industrie erkannt: MTP soll die Basis der ISPE Pharma 4.0 Plug&Produce-Initiative werden. Das zuständige Architecture Team des Verbands schlägt vor, das MTP-Konzept um zusätzliche Informationen wie den im Pharma-Umfeld wichtigen Audit-Trail sowie Metadaten der implementierten Ausrüstung (z.B. Versionsinformationen) und Sicherheitsmechanismen zu ergänzen. Der daraus resultierende „MTP+“ würde so weitere Einsparungen bei der Integration von Anlagenkomponenten ermöglichen

Internationale Norm auf dem Weg

Um der Technologie zu einer breiten Akzeptanz zu verhelfen, haben die Verbände Namur und ZVEI bereits Normungsvorhaben gestartet: Das Konzept, die Schnittstellen und der Aspekt der Modellierung von Bedienbildern wurden bereits in der VDI/VDE/Namur-Richtlinie 2658 verabschiedet. Weitere Aspekte wie die Modellierung von Moduldiensten, das Alarmmanagement sowie Monitoring & Diagnose sind in Arbeit und auch ein „Safety MTP“ gehört zu den weiteren Zielen und geplanten Schwerpunkten der Richtlinie.

Langfristiges Ziel ist zudem ein internationaler Standard im Rahmen einer IEC-Richtlinie: Der Vorschlag eines neuen Normungsvorhabens („New Work Item Proposal“) wurde bereits im Oktober 2018 bei der IEC eingereicht und ist inzwischen angenommen worden. Auch der von der amerikanischen Open Group (OPAF) angestrebte „Standard of Standards“, OPA-S, referenziert bereits auf MTP als Konzept für  die Automatisierung von Modulen.

Auch das vom Wirtschaftsministerium mit 11 Mio. Euro geförderte Projekt Basys 4.0 nutzt MTP und könnte die Nutzung der Modulautomation weiter voranbringen, weil Basys 4.0 zum „Betriebssystem für Industrie 4.0“ werden will.

Prozessindustrie ist am Zug

Doch bedeuten Normungsvorhaben und erfolgreiche Pilotprojekte automatisch auch, dass die Technologie in die Umsetzung kommt? Mitnichten. Auch die Modulautomation mit MTP muss das für neue Technologien typische Henne-Ei-Problem überwinden: Erst wenn der Markt diese einfordert, wird eine kritische Masse an Anbietern entsprechende Lösungen entwickeln.

Denn für Modulanbieter, Systemintegratoren und auch Leitsystemhersteller bedeutet die Implementierung der MTP zunächst einmal Aufwand und Investitionen. Dass die Technik noch nicht komplett standardisiert ist, ist aus Sicht der MTP-Protagonisten kein Hindernis für die Umsetzung. Schließlich erlauben der bisherige Stand und ein agiler Entwicklungsansatz durchaus schon jetzt die Umsetzung der Modulautomation.

Deshalb sind nun Anwender am Zug, die Modulautomation in ihren Projektausschreibungen zu spezifizieren. Ob die Pilotanwender wie BASF, Bayer, Evonik, Merck und andere das MTP künftig von ihren Modul- und Automatisierungslieferanten einfordern werden, wird darüber entscheiden, wie schnell sich die Technik durchsetzen wird.

 

Vom R&I-Schema über den MTP-Ansatz zum Programm-Code                                        – ANZEIGE –

Zur weiteren Vereinfachung der Programmiertätigkeit generiert die Software MTP-Designer die lokale Visualisierung inklusive Faceplates

Zur weiteren Vereinfachung der Programmiertätigkeit generiert die Software MTP-Designer die lokale Visualisierung inklusive Faceplates. Bild: Phoenix Contact

Das verfahrenstechnische R&I-Fließschema bildet die Grundlage jedes Automatisierungsmoduls. Aus dieser Perspektive denkt und entwickelt der Verfahrenstechniker respektive Modulbauer. Deshalb galt es stets für Phoenix Contact, das R&I in den Mittelpunkt der Modulkonzeption zu stellen. Mit dem MTP-Designer – dem Engineering-Tool des Unternehmens für modulare Anlagen – ist es nun möglich, das Fließschema in die Bestandteile umzusetzen, die der Entwickler und Nutzer eines Moduls benötigt. Zu diesem Zweck konvertiert die Software das R&I des Moduls in eine entsprechende MTP-Datei, die alle vom Process Orchestration Layer (POL) geforderten Informationen umfasst.

Parallel dazu wird ein IEC61131-Projektrumpf im PLCopen-Format erzeugt, der in das Engineering-Tool PLCnext Engineer für das offene Ecosystem PLCnext Technology von Phoenix Contact importiert werden kann. Der SPS-Programmierer erhält so automatisch ein Code-Gerüst, das zum R&I passt. Sämtliche OPC UA-Tags, Services und MTP-Interfaces werden automatisch angelegt. Der Rumpf ist allerdings noch mit Leben zu füllen. Für den Service „Entleeren“ wird dem SPS-Programmierer beispielsweise die gesamte Statusmaschine automatisch und vollständig eingerichtet. Er muss lediglich programmieren, welche Sensorik oder Aktorik in diesem Service bedient wird respektive auf welche Verriegelungen zu achten ist. Die Interfaces für die Sensoren und Aktoren stehen selbstverständlich bereits als MTP-konforme Funktionsbausteine zur Verfügung.

Zur weiteren Vereinfachung der Programmiertätigkeit generiert die Software MTP-Designer die lokale Visualisierung inklusive Faceplates, die zum Beispiel für die Einstellung von Alarm-/Warngrenzen notwendig sind, und realisiert auch die OPC UA-Alarme.  Somit liegen alle Interfaces und Programmrümpfe vor, die aufgrund der gemeinsamen Datenbasis (R&I) immer zusammenpassen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass das POL jederzeit auf die richtigen OPC UA-Tags zugreift. Das vereinfacht und beschleunigt die Inbetriebnahme eines Moduls erheblich.

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