Tarifverhandlungen im Oktober fortgesetzt

Gewerkschaft erneuert ehrgeizige Forderungen für Chemietarif

Vor dem Neustart der Tarifverhandlungen für die chemisch-pharmazeutische Industrie hat die Bundestarifkommission der IGBCE ihre Forderungen bekräftigt. Die Gewerkschaft fordert für die 580.000 Beschäftigten „eine nachhaltige Kaufkraftsteigerung“.

Streik
Die Gewerkschaft bereitet sich auf die weiteren Verhandlungen im Oktober vor.

Das gut 100-köpfige Gremium erneuerte damit seine bereits im Februar 2022 getroffene Forderung. „Unser Beschluss ist heute aktueller denn je“, sagte IGBCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski. „Den Beschäftigten rinnt das Geld täglich schneller durch die Finger, gleichzeitig verdienen die meisten ihrer Arbeitgeber weiterhin gut.“

Nach zwei Verhandlungsrunden im April hatte man sich angesichts der unsicheren Weltlage mit den Arbeitgebern auf eine Vertagung der Gespräche und eine einmalige Brückenzahlung verständigt. Die Gespräche sollen nun im Oktober fortgesetzt werden.

Hier zeigen wir die letzten Positionen der Tarifparteien nach den Gesprächen im April:

Arbeitgeber sollen „Verantwortung für Beschäftigte übernehmen“

Auch darauf hatten sich beide Seiten auch nach den zwei Verhandlungsrunden im April verständigt, als die Gespräche über nachhaltige Entgeltsteigerungen aufgrund der großen Unsicherheit nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in den Oktober vertagt worden waren. Im Gegenzug erhielten die Beschäftigten eine Brückenzahlung in Höhe von 1400 Euro, unabhängig von der persönlichen Entgeltgruppe. Notleidende Betriebe konnten diesen Betrag auf 1000 Euro pro Kopf reduzieren. Davon hatten 149 von 1900 Betrieben Gebrauch gemacht. Nach einer Umfrage unter IGBCE-Betriebsräten ist auch aktuell die Lage bei der Mehrheit der Firmen noch immer gut. 61 % der Befragten gaben an, dass es weder Produktionsdrosselungen, noch Personalmaßnahmen gebe.

Lage hat sich nochmal zugespitzt

„Natürlich hat sich die Lage in den vergangenen Monaten dramatisch zugespitzt“, sagte Sikorski. „Das gilt aber vor allem für unsere Leute.“ Allein die explodierenden Energiepreise dürften viele in den kommenden Monaten an den Rand ihrer Möglichkeiten bringen. „Das trifft besonders die Armen, aber längst nicht nur sie. Wir reden von der breiten Masse – von der Chemie-Laborantin, dem Anlagenführer, der Pharma-Referentin.“

Vor dem Hintergrund begrüßte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende die Bemühungen der Bundesregierung um Entlastung der Menschen und ihr Angebot an die Tarifparteien, eine Sonderzahlung von bis zu 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei zu stellen. „Das ist ein starkes Angebot, das jetzt schnell konkret ausformuliert werden muss.“ Die IGBCE hatte bereits die Idee eines tariflichen Entlastungsgelds ins Spiel gebracht, das zusätzlich zu tabellenwirksamen Entgelterhöhungen als zeitlich befristete Zulage gezahlt werden könnte.

Besonders brisant: Am gleichen Tag, an dem die Gewerkschaft ihre ehrgeizigen Forderungen für die Tarifrunde erneuerte, berichtet der Chemieverband VCI, dass die Produktion in allen Sparten der Branche eingebrochen sei. Diese Diskrepanz lässt schwierige Gespräche im nächsten Monat erwarten.

Die dritte Verhandlungsrunde findet am 17. und 18. Oktober in Wiesbaden statt

Die Forderungen der Chemiegewerkschaft in Bildern

Streik
Die Chemie-Tarifverhandlungen betreffen deutschlandweit rund 580.000 Beschäftigte in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Gespräche zwischen der Gewerkschaft und den Arbeitgebern sind am 2. März zunächst auf regionaler Ebene gestartet, am 21. März wird in Hannover erstmals auf Bundesebene verhandelt.
Gehalt
Ins Zentrum ihrer Forderungen hat die Chemiegewerkschaft die Erhöhung der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen gestellt. Angesichts des Fachkräftemangels seien Investitionen ins Personal im ureigenen Interesse der Chemiebetriebe. "Sie brauchen dringend eine Investitionsoffensive – mit Blick auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber, die Wertschätzung ihrer Beschäftigten, die Nachwuchsarbeit“, sagte der stellvertretende IGBCE-Vorsitzende Ralf Sikorski.
Inflation
Eine genaue Zahl, um wieviel die Entgelte steigen sollen, nennt die Gewerkschaft nicht. Da die Beschäftigten wie der Rest der Bevölkerung derzeit von der hohen Inflation betroffen ist, müsse aber am Ende "ein Plus oberhalb der Teuerungsrate" stehen. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Januar 2022 bei 4,9 % (im Vergleich zum Vorjahr).
Nachtbetrieb
Gefordert wird außerdem eine Erhöhung der Schichtzuschläge für die Beschäftigten in Nachtschichten auf einheitlich 25 %. „Es waren die Schichtarbeiter, die in der Pandemie 24/7 den Laden am Laufen gehalten haben, während ihre Vorstände im Homeoffice arbeiten konnten“, so Gewerkschaftsfunktionär Sikorski. Heute sei Schichtarbeit für junge Menschen unattraktiver denn je. „Wir müssen und werden das ändern.“
Homeoffice
Die Attraktivität des Arbeitsplatzes steht auch beim Thema "mobile Arbeit" und Homeoffice im Vordergrund. Die Arbeitswelt werde sich in den nächsten Jahren "massiv verändern", glaubt die Chemiegewerkschaft. Daher bedürfe es klarer tariflicher Leitplanken für betriebliche Vereinbarungen, "damit wir für die gesamte Branche zu einheitlichen Qualitätsanforderungen an gute mobile Arbeit kommen".
Ausbildung
Eine weitere wichtige Forderung betrifft die Ausbildung. In der Corona-Krise hatten zudem viele Chemieunternehmen ihre Ausbildungsanstrengungen zurückgefahren, so die Gewerkschaft. Das sei "ein falsches Signal an die junge Generation". Die IGBCE will deshalb neue Fördermöglichkeiten zur Ausbildung Jugendlicher schaffen.
Umfrage
Ihre Forderungen stützt die Gewerkschaft auf die Beobachtung, dass die wirtschaftliche Situation der Chemie- und Pharmabranche positiv sei. In einer Umfrage gaben 78 % der befragten Beschäftigten an, ihrem Arbeitgeber gehe es gut bis glänzend.
Stop
Die Arbeitgeber sehen dies naturgemäß anders. Trotz der deutlichen Erholung der letzten Monate liege die Produktion der chemisch-pharmazeutischen Industrie nach Rezessionsverlusten und Corona-Krise noch nicht wieder auf Wachstumskurs, erklärte etwa der Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber Westfalen Dirk W. Erlhöfer. Außerdem seien die Betriebe „flächendeckend durch massiv gestiegene Energie- und Rohstoffkosten sowie Logistikprobleme belastet“. Die Arbeitgeberverbände weisen die Forderungen der IG BCE daher als „teures Überraschungspaket“ weitgehend zurück.
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