Einen seltsamen Zeitpunkt hat US-Präsident Biden gewählt, um sein CO2-Gewissen wiederzuentdecken. Das größtenteils per Fracking gewonnene Gas hat die USA in kurzer Zeit nicht nur zum Netto-Exporteur, sondern sogar zum Gasexport-Weltmeister gemacht. Mit Verweis auf die zum LNG-Transport per Schiff notwendigen Dieselmengen und die damit verbundenen CO2-Emissionen sollen künftige Exportvereinbarungen jedoch genau überprüft werden. Also, ob sie überhaupt nötig sind, vielleicht auch nur, ob der Preis stimmt.
Moment mal, LNG-Transporte, war da nicht was? Etwa genau die Transporte, für die wir uns endlich, nach Rekordverzögerung, zum Bau von passenden Terminals durchgerungen und diese dann endlich, in Rekordzeit, hochgezogen haben? Müssen wir jetzt etwa sowohl Beziehungen als auch Pipelines nach Russland reparieren?
Zur Dekarbonisierung gezwungen
Eins vorweg: keine Panik. Die bereits geschlossenen Exportverträge bleiben bestehen, vorerst gestoppt sind nur neue Genehmigungen. Die teilweise auf Jahrzehnte angelegten Lieferungen gehen also (erstmal) weiter. Es wäre ja auch zu peinlich, wenn uns ausgerechnet die Amerikaner zur Dekarbonisierung unserer Energieträger zwingen würden.
Allerdings könnte es sich auszahlen, für den Fall der Fälle einen Notfallplan bereitzulegen. Oder, um das Deutschland-Tempo aufrechtzuhalten, wenn USA die deutschen LNG-Terminals bestreiken sollten, vielleicht sogar einen Notfall-Fahrplan. Mit Streiks können wir dank DB und GDL mittlerweile umgehen, wenn sie sich frühzeitig abzeichnen. Die Gewerkschaft der Chemieindustrie macht derzeit bereits vor, wie das geht: Die Forderungsempfehlung für die Tarifrunde 2024 steht und liegt mit 6 – 7 % mehr Lohn nur ganz knapp über den Forderungen der GDL. Bleibt zu hoffen, dass die Verhandlungen weniger eskalativ verlaufen als bei der Bahn. Vergleichbare Streiks wie im deutschen Schienennetz würden die Chemieverbünde kaum ohne Störfälle überstehen.
Die Bahn könnte von freien Kapazitäten an den LNG-Terminals profitieren: Mit nur weiteren zehn Monaten Deutschlandtempo ließen sich diese für den Frachtbetrieb aufrüsten und DB Cargo könnte die Binnenschifffahrt ausbauen. Apropos Cargo: Nach dem Zweiten Weltkrieg bauten pazifische Eingeborenenstämme hölzerne Landebahnen, Türme und Signalfackeln in der Hoffnung, weitere US-amerikanische Flugzeuge mit Nachschublieferungen anzuziehen. Dieses Phänomen wurde als „Cargo Cult“ bekannt. In Wilhelmshaven und Brunsbüttel bleibt den Betreibern vielleicht auch nur noch kultisches Glauben und Hoffen auf mehr LNG.
Wenn alle Stricke reißen, bleibt noch die touristische Nutzung: Wilhelmshaven könnte sich rühmen, nicht nur das am schnellsten errichtete Terminal der Welt zu haben, sondern auch das am schnellsten wieder stillgelegte.