Wasserstoff

(Bild: Alexander Limbach – stock.adobe.com)

  • Die Bundesregierung hat Ende Juli eine Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschlossen.
  • Nach der neuen Strategie wird für 2030 nun ein höherer Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh erwartet.
  • Unter anderem durch höhere Anreize auf Erzeuger- und Nutzerseite sowie durch verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen soll der Markthochlauf beschleunigt werden.

Es gibt nicht viele Themen, in denen alte und neue Bundesregierung übereinstimmen. Die Forderung von Peter Altmaier, Deutschland müsse bei „Wasserstoff die Nummer eins in der Welt werden“, dürfte aber auch sein Nachfolger im Amt des Bundeswirtschaftsministers, Robert Habeck, so unterschreiben.

Der Weg dorthin unterscheidet sich aber dann doch. So hat die Bundesregierung Ende Juli eine Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschlossen. Das alte Konzept aus dem Jahr 2020 hat zwar „grundsätzlich weiter Bestand“ – die Strategie werde mit der Fortschreibung aber an „das gesteigerte Ambitionsniveau im Klimaschutz“ angepasst.

Die aktuelle Bundesregierung – neben dem Wirtschaftsministerium sind noch vier weitere Ressorts an der Strategie beteiligt: Verkehr, Umwelt, Forschung sowie Entwicklung – hat dabei ein Zielbild vor Augen: Deutschland ist 2030 ein Land mit einem funktionierenden Wasserstoffmarkt, importiert Wasserstoff und produziert in einer Vielzahl von Elektrolyseuren auch selbst relevante Mengen, die in einem fast 2.000 km langen Netz aus Pipelines an die verschiedenen Abnehmer in Industrie und Verkehr verteilt werden. Mehr noch: Deutschland ist bis 2030 „Leitanbieter für Wasserstofftechnologien“, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Produktion bis hin zu den unterschiedlichen Anwendungen.

Angepasst: höherer Bedarf, mehr Elektrolyse, blauer Wasserstoff

Konkret in Zahlen gefasst bedeutet dies: Nach der neuen Strategie wird für 2030 nun ein höherer Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh erwartet, im Vorgängerkonzept waren es noch 90 bis 110 TWh gewesen. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch in Deutschland lag laut den Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft 2022 bei knapp 520 TWh.

Apropos Strom: Die Bundesregierung betont auch in der aktuellen Wasserstoffstrategie, dass die direkte Nutzung von Strom, also in Form von Elektromobilität und Wärmepumpen, aufgrund der geringeren Umwandlungsverluste grundsätzlich zu bevorzugen sei. Aber: Insbesondere in den Jahren bis 2030 werde die Nutzung von Wasserstoff und seiner Derivate „eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung einnehmen“.

Es soll jetzt also schnell gehen. Und um die Markthochlaufphase kurzfristig zu beschleunigen, greift die Wasserstoffstrategie auch auf einen Weg zurück, der besonders vielen Umweltverbänden aufstößt: blauen Wasserstoff. Dabei handelt es sich um Wasserstoff, der konventionell erzeugt wird, das dabei entstehende CO2 aber unterirdisch gespeichert wird – das sogenannte Carbon-Capture-and-Storage (CCS). Auch blauer Wasserstoff soll, ebenso wie Wasserstoff aus Methanpyrolyse mit gebundenem Kohlenstoff („türkis“) und Wasserstoff aus der Abfallverwertung („orange“), künftig gefördert werden. Allerdings alles in „begrenztem Umfang“ und unter Berücksichtigung von „ambitionierten Grenzwerten“, wie in der Strategie betont wird.

Wasserstofftransporter
Die Bundesregierung geht mittlerweile von einem höheren Wasserstoffbedarf aus als noch vor drei Jahren. (Bild: malp – stock.adobe.com)

Trotzdem wird diese Ausrichtung von verschiedenen Verbänden scharf kritisiert. So spricht die Deutsche Umwelthilfe von „einem massiven klimapolitischen Rückschritt“. Fördergelder und Investitionen würden so in fossile Quellen gelenkt, die dann wiederum beim grünen Wasserstoff fehlen würden. Auch der Bundesverband Erneuerbare Energie betont, dass blauer Wasserstoff durch seine Vorkettenemissionen viel klimaschädlicher sei als sein grünes Pendant aus Elektrolyse. Dabei gebe es eigentlich viel Potenzial für dessen Produktion: Allein 2021 hätten 5,8 TWh erneuerbarer Strom abgeregelt werden müssen, rechnet der Verband vor.

Doch auch bei grünem Wasserstoff will die Bundesregierung nachziehen: Gegenüber der ursprünglichen Wasserstoffstrategie wurde das nationale Ausbauziel der Elektrolyseleistung von 5 auf mindestens 10 GW bis 2030 verdoppelt. Ob sich dies auch wirklich erreichen lässt, bleibt dabei fraglich: Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bezeichnete das Ausbauziel als „äußerst optimistisch“ – zu unkonkret seien die in der Strategie dargestellten Maßnahmen in Form von verstärkten Förderungen und Investitionsanreizen.


Größter Teil wird über Importe gedeckt

Doch selbst wenn das heimische Elektrolyseziel erreicht werden sollte – klar ist, dass ein Großteil des Wasserstoffbedarfs nur über den Import gedeckt werden kann. Die Bundesregierung geht davon aus, dass 50 bis 70 % des für 2030 prognostizierten Bedarfs, also 45 bis 90 TWh, durch Importe in Form von Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten aus dem Ausland gedeckt werden muss. Der Import soll dabei zumindest bis 2030 großteils schiffsbasiert erfolgen – zunächst vor allem in Form des Wasserstoffderivats Ammoniak, mittel- bis langfristig sollen dann auch Importe von grünem Methan, synthetischem Methanol, Liquid Organic Hydrogen Carriern (LOHC) und flüssigem Wasserstoff eine Rolle spielen.

Nach 2030 schließlich soll grüner Wasserstoff auch per Pipeline aus Europa oder Nordafrika kommen. Dabei zog die Bundesregierung aber offenbar auch Lehren aus dem Russland-Gas-Fiasko: So setzt die Wasserstoffstrategie beim Import auf eine „Risikominimierung durch Diversifizierung“.

Um den Import sicherzustellen, reist Wirtschaftsminister Habeck bereits um die Welt, eine – schon länger angekündigte – Importstrategie soll diese Anstrengungen nun kurzfristig ergänzen. Die Wasserstoffstrategie verspricht diesen Schritt noch für das laufende Jahr.

Auch die Produktion in Verbindung CO2-Speicherung („blauer Wasserstoff“) soll gefördert werden.
Auch die Produktion in Verbindung CO2-Speicherung („blauer Wasserstoff“) soll gefördert werden. (Bild: immimagery)

Auch Infrastruktur zählt zu den „verlässlichen Planken“

Auch insgesamt will die Bundesregierung mit der Nationalen Wasserstoffstrategie schnell „verlässliche Planken“ für die Akteure auf dem Wasserstoffmarkt schaffen. Schließlich müssen angesichts der oftmals langjährigen Investitionszyklen die Investitionsentscheidungen, wenn schon nicht gestern, dann doch spätestens besser heute als morgen fallen.

Für ein solches Vertrauen soll neben der Produktions- und Importseite auch eine sichere Infrastruktur sorgen. Bis 2028 soll ein Wasserstoffnetz mit mehr als 1.800 km umgestellten und neu gebauten Wasserstoffleitungen aufgebaut sein. Den Grundstein haben die Fernleitungsnetzbetreiber Gas mit dem Entwurf des sogenannten Wasserstoffkernnetzes bereits gelegt. Über den sogenannten European Hydrogen Backbone sollen europaweit weitere ca. 4.500 km hinzukommen, vor allem für den Import von „erheblichen Mengen“ aus Norwegen. Für Importe auch außerhalb der EU sollen bis 2030 zudem „ausreichend Importterminals an deutschen Küsten“ aufgebaut sein – entweder eigene Wasserstoff- oder umgerüstete LNG-Terminals.


Sicherheit und Beschleunigung für die Industrie

Das dritte Handlungsfeld neben Verfügbarkeit und Infrastruktur definiert die Wasserstoffstrategie mit der Etablierung von Anwendungen in den verschiedenen Sektoren. Bis 2030 sollen Wasserstoff und seine Derivate insbesondere bei Anwendungen in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen sowie zunehmend im Luft- und Schiffsverkehr eingesetzt werden. Auch im Stromsektor sollen Wasserstoffkraftwerke, also vor allem umgerüstete Gaskraftwerke, ihren Beitrag leisten.

Deutschland wird maßgeblich auf Wasserstoffimporte angewiesen sein – etwa per Schiff in flüssiger Form.
Deutschland wird maßgeblich auf Wasserstoffimporte angewiesen sein – etwa per Schiff in flüssiger Form. (Bild: AA+W – stock.adobe.com)

Um den Wasserstoffeinsatz für die Industrie auch attraktiv zu machen, setzt die Bundesregierung vor allem auf die sogenannten Klimaschutzverträge. Mit diesen sollen Unternehmen emissionsintensiver Branchen Mehrkosten ersetzt bekommen, die bei Bau (Capex) und Betrieb (Opex) von klimafreundlichen Anlagen im Vergleich zu konventionellen Anlagen entstehen.

Auch der Deutsche Wasserstoffrat sieht diese Verträge „als das zentrale Instrument, um die Nachfrage für den Wasserstoffhochlauf in verschiedenen Industriebereichen anzuregen.“ Die Langfristszenarien des Wirtschaftsministeriums sehen für die Industrie im Jahr 2045 eine Nachfrage nach Wasserstoff zwischen 290 und 440 TWh.
Damit es aber überhaupt dazu kommt, braucht insbesondere die Industrie auch die vierte Säule: die Rahmenbedingungen. Darunter versteht die Wasserstoffstrategie die rechtlichen Voraussetzungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Vor allem geht es der Regierung um schnellere Genehmigungsverfahren, etwa für die Errichtung von Wasserstofftankstellen aber auch für (dezentrale) Produktionsanlagen von Wasserstoff und dessen Derivaten. Geplant sind außerdem einheitliche Standards und Zertifizierungssysteme sowie eine „ausreichend ausgestattete und auf allen Ebenen koordinierte“ Verwaltung. Konkret plant die Bundesregierung, noch in diesem Jahr ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg zu bringen.

Wie bei vielen in der Wasserstoffstrategie angekündigten Maßnahmen handelt es sich dabei aber – wie etwa auch bei der Importstrategie – bisher erst um eine Ankündigung. Der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband kritisierte die Strategie daher auch als „zu unkonkret“. Reine „Prüfaufträge“ für weitere Maßnahmen reichten nicht aus. „Der Hochlauf der Wasserstoffmarktwirtschaft hängt nicht mehr von Förderprogrammen und Demonstrationsprojekten ab, sondern braucht verlässliche Rahmenbedingungen für die nächsten fünf Jahre“, so der Verband. Genau dies soll die Wasserstoffstrategie ja eigentlich leisten. Ob die Bundesregierung dieses Ziel nun auch mit Leben füllen kann, wird sich aber wohl erst in den nächsten Monaten zeigen.

Sie möchten gerne weiterlesen?