Konrad Saur - Trelleborg Sealing Solutions

Kondrad Saur, Geschäftsführer von Trelleborg Sealing Solutions (Bild: Trelleborg Sealing Solutions)

CT: Was sind denn im Moment die Markttrends bei Dichtungen?
Saur: Die technischen Trends sind seit Jahren, dass wir immer höhere Anforderungen bekommen. Die Leistungsdichte in vielen Produkten nimmt zu, der Wunsch unserer Kunden und der Endkunden geht hin zu höheren Wirkungsgraden und höherer Effizienz. Stillstandszeiten kann sich heute niemand mehr leisten. Eine Anlage muss 24/7 das ganze Jahr durchlaufen und sehr kurze Wartungszyklen, wenn überhaupt, haben.
Auch Miniaturisierung ist ein ganz großes Thema. Gerade im Bereich Verdichter oder Pumpen. Da kommt auf einmal die Frage des Wärmemanagements auf. Bei kompakteren Systemen ist es viel schwieriger, die Wärme abzuführen.
Und sicherlich ein dritter ganz wichtiger Trend: Das Thema Nachhaltigkeit, CO2-Footprint, beschäftigt uns, aber auch sehr viele Kunden.  

CT: Nachhaltigkeit und CO2, ist das Thema auch deshalb wichtig, um sich damit auszeichnen zu können?
Saur: Es ist weniger ein Marketingthema, sondern es geht um Reporting, das zunehmend von den Investoren gefordert wird. Sustainability Kennzahlen werden heute ähnlich oder gleich auditiert wie Finanzkennzahlen. Da gibt es große institutionelle Investoren, die sagen, “Wenn du kein anspruchsvolles Sustainability Programm hast, investiere ich gar nicht in dich.” Deshalb ist Nachhaltigkeit ein ganz wichtiger Markttreiber geworden. Das erleben wir auch so von unseren Kunden. Wir bei Trelleborg Sealing Solutions versuchen bereits im Design neue Lösungen zusammen mit unseren Kunden zu finden, wie wir z.B. über Gewichtseinsparungen, verminderte Reibung und andere Aspekte sehr früh in der Entwicklung einzubringen.

CT: Ein anderes Trendthema: die PFAS. Welche Auswirkungen hätte denn ein mögliches Verbot auf Trelleborg Sealing Solutions?
Saur: Wenn wir uns zurücklehnen würden und nichts täten, hätte das auf uns durchaus wahrnehmbare wirtschaftliche Auswirkungen. Das dürfen wir nicht verhehlen. Aber wir beschäftigen uns sehr aktiv mit dem Thema, sind sicherlich relativ weit und kommunizieren offen mit unseren Kunden. Es würde weh tun. Es ist so, dass die Alternativen nicht breit verfügbar sind. Wir verstehen uns als Anbieter von Alternativen. Es wird ein großer Aufwand notwendig sein, um Alternativen zu qualifizieren und sie wirklich serienreif für die Massenproduktion zu machen. Und da wird der eine oder andere Anbieter stolpern, weil er vielleicht schnell eine Lösung auf den Markt bringt, die aber nicht dauerhaft in der notwendigen Qualität produziert werden kann.

CT: PFAS-freie Alternativen, sind nicht so universell einsetzbar. Das heißt, sie müssen dann auch sehr viel spezieller mit den Kunden zusammenarbeiten, sehr viel kleinteiliger? Sie können ja den Produktkatalog nicht ewig erweitern.
Saur: Doch – das tun wir. Das tun wir auch heute schon. Wir haben heute über 10.000 unterschiedliche Werkstoffe. Und da werden mehr dazukommen. Ein paar werden natürlich im Rahmen der Diskussion herausfallen. Es wird eine große Veränderung im Werkstoff-Portfolio geben. Hier sind wir dabei, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln. Wir entwickeln für einzelne Kunden Werkstoffe speziell für eine Applikation, wenn das Paket groß genug ist.

CT: Wird das dann nicht sehr viel aufwändiger?
Saur: Es ist deutlich aufwändiger. Es wird für uns und für unsere Kunden aufwändiger. Nehmen wir als Beispiel einen großen Automobilzulieferer: Der verwaltet die Materialfreigaben in seiner Abteilung selbst und hat für Lenkungen, Getriebe, etc. heute ein Portfolio von 20 freigegebenen Werkstoffen, mit denen er relativ weit kommt. In einer PFAS-freien Welt braucht er bis zu 2000 Werkstoffe, und da wird es dann natürlich sehr, sehr schwierig.

CT: Ist jemand bereit, den Aufwand zu bezahlen?
Saur: Unsere Kunden sind es nur bedingt. Für uns bedeutet das natürlich auch einen Effizienzverlust. Wenn wir zum Beispiel statt zwei Rezepturen 20 brauchen, verlieren wir Effizienz in der Herstellung oder der Verarbeitung der Materialien. Wir verlieren den ganzen Vorteil von Gleichteilen, die wir produzieren können. Es wird auch immer schwieriger, mit Katalogprodukten umzugehen. Eine große Branche, die wir bedienen, sind die Hydraulik-Anwender. Da gibt es heute Katalogprodukte, die es in Zukunft nicht mehr so einfach geben wird. Die Lösungen werden spezieller: ein Produkt, das nach Kanada oder in die Rocky Mountains geht, braucht wegen der kalten Temperaturen dort einen anderen Dichtungssatz als ein Produkt, das nach Texas geht. Es wird eine Inflation von Material Compounds und Produkten geben, definitiv eine größere Materialvielfalt, denn die Applikationsfenster werden deutlich kleiner sein. Heute hat man im Grunde so ein Breitband-PTFE. Das kann ich bei tiefen und hohen Temperaturen einsetzen, bei kleinen und großen Drücken - das ist wirklich eine eierlegende Wollmilchsau. Die Alternativen geben dieses breite Leistungsspektrum nicht mehr her.

CT: Wie optimistisch sind sie denn, dass sie weiterhin mit zumindest nötigen PFAS arbeiten können?
Saur: Ich persönlich bin sehr optimistisch. Da bin ich zu sehr Wissenschaftler, ich glaube an das Thema der Fakten. Aber in der Politik weiß man im Grunde nicht, ob sich nicht doch die Emotion durchsetzt, es wird schwierig werden. Dass sich England jetzt festgelegt hat, ist schon ein relativ wichtiges Zeichen. In der Konsultationsphase der ECHA bis Mitte September weisen viele Industriebranchen auf das Beispiel Großbritannien hin. Hier sind die Fluorpolymere, mit dem Hinweis, dass diese unbedenklich sind, von einer Beschränkung ausgenommen worden. Da wird es politischen Druck geben. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingt, weil wir glauben, dass nicht Lobbyismus und politischer Einfluss siegen, sondern die besseren Argumente für eine differenzierte Betrachtung.

CT: Zum Thema Dichtungen und Wasserstoff. Das ist doch eine ganz spannende Sache.
Saur: Super spannende Sache! Wasserstoff ist das kleinste Molekül, da ist Permeation ein Riesenthema. Wir betreiben hier einen sehr großen Aufwand. In unserem Prüflabor haben wir spezelle Lackageprüfeinrichtungen. Wir nähern uns dem Thema Wasserstoff von zwei Ebenen. Zum einen suchen wir ein Material, das eine extrem geringe Permeation hat, zum anderen denken wir über Konstruktionsrichtlinien nach. Das eine ist die was durch die Dichtung hindurchgeht, und das andere die Grenzflächen-Leckage. Beides muss berücksichtigt werden. Entscheidend ist die gesamte Leckage-Rate. Die schaffen wir nur, wenn beide Komponenten angemessen berücksichtigt werden.

Warum ist es so schwierig für Wasserstoff geeignete Dichtungen herzustellen?

Bei Wasserstoffanwendungen bestehen drei wesentliche Herausforderungen:

  1. Permeation
    Wasserstoff ist als niedermolekulares Gas sehr permeativ. Eine Diffusion des Wasserstoffs durch das Material oder an der Grenzfläche muss vermieden werden.
  2. Hoher Druck
    Um die Speicherfähigkeit zu erhöhen wird häufig bei hohen Drücken bis zu 900 bar gearbeitet.
    Für die hohen Anforderungen an Dichtungen gegen explosive Dekompression können nur speziell für diesen Bereich konzipierte und getestete Elastomere zum Einsatz kommen.
  3. Niedrige Temperaturen
    Bei Wasserstoffanwendungen bewegt man sich meist im Temperaturbereich um -50 Grad Celsius. Hier ist eine besondere Kälteflexibilität gefragt.

Jede einzelne Herausforderung ist lösbar. In Kombination widersprechen sich die Anforderungen aber. Hier ist Innovation gefragt.

CT: Sie testen mit Helium, wie nahe ist das dran?
Saur: Definitiv können wir von Helium auf Wasserstoff rückschließen. Wir machen Versuche in Helium und in einem externen Labor auch mit Wasserstoff. Wir können dann über Arrhenius Analogieschlüsse ableiten. Gleichzeitig werten wir unseren externen Versuchsergebnisse gezielt aus und können daraus nicht nur die Absicherung und Bestätigung, sondern auch unsere eigenen Untersuchungen und Simulationsrechnungen verifizieren. Darüber hinaus bauen wir aktuell ein eigenes Wasserstoff-Versuchszentrum auf.
Jetzt haben wir eine neue Generation von wasserstofftaugliche Materialien gelauncht. Da waren wir aus zwei Gründen bei externen Laboren. Erstens haben wir bei uns im Haus die Betriebsgenehmigung für Wasserstoff noch nicht, und zum zweiten hat ein externes Labor natürlich auch eine andere Glaubwürdigkeit.

CT: Wenn Sie die Sachen besonders dicht bekommen wollen, dann sind ja PFAS gerade wieder ein Thema. Geht es bei Wasserstoffanwendungen ohne diese?
Saur: Gerade eine Wasserstoffökonomie ist ohne PFAS-Werkstoffe schwer denkbar, wenn es um besondere Anwendungsfälle geht. Die Fluorelastomere bringen an sich nämlich bereits eine hohe Dichte mit sich. Es gibt Versuche mit hochgefüllten Werkstoffen zu arbeiten. Häufig geht das aber zu Lasten der Tieftemperaturfähigkeit und beim Compression Set. FKM oder PTFE haben durch die hohe Zahl an Quervernetzungen eine extrem hohe Molekulargewichtsverteilung, was zu einer hohen instrinsischen Permeationsdichtigkeit führt. Ein weiterer Vorteil liegt in der PTFE-Verarbeitung: Eigentlich ist PTFE ein Thermoplast. Was wir aber machen, ist, eigentlich ein Sintern; wir haben ein spezielles Verfahren, wie wir unsere PTFE-Rohlinge, aus denen wir die Dichtungen herstellen, machen. Damit erzielen wir noch einmal eine ganz andere Dichte. Diese Dichtungen sind als solches schon permeationsresistenter. Bei Elastomeren müssen wir dann eben über die Rezeptur Optimierungen erzielen. Aber tatsächlich sind Stand heute Wasserstoffökonomie und Elektromobilität ohne PFAS-Werkstoffe nicht denkbar.

CT: Das wäre doch eigentlich schon ein ultimatives Argument, oder?
Saur: Das ist für mich heute ein ultimatives Argument. weil ich glaube, gesellschaftlich ist das Thema Sustainability zu wichtig: eine Dekarbonisierung schaffen wir nur, wenn wir die nachhaltige Energie wie Wind oder Welle speicherbar machen. Wir brauchen Energiespeicher. Wasserstoff hat zwar keine optimale Energiedichte, aber Wasserstoff ist von der ganzen Handhabbarkeit her geeignet, denn viele LNG-Technologien sind auf Wasserstoff übertragbar. Man kann Wasserstoff zum Beispiel dem Erdgas beimischen und die Thermen zu Hause mit einem bestimmten Wasserstoffanteil fahren. Das wäre schon eine riesige Dekarbonisierung. Es gibt ja auch schon Pläne, zum Beispiel das Stadtgas mit 35 Prozent Wasserstoff zu versetzen. Wir glauben, da ist viel Musik drin. Aber da brauchen wir technische Lösungen bei der Herstellung des Wasserstoffs, bei der Speicherung, beim Transport und dann bei der Rückwandlung, und das geht ohne PFAS-Materialien nicht.

CT: Und bei 35 Prozent im Gas reicht da die reine Erdgasleitung aus?
Saur: Das ist tatsächlich so, deshalb kommt man auf die Zahl. Da passt ein ganz großer Teil der Infrastruktur. Dazu wäre das bestehende Leitungssystem geeignet. Man müsste aber zum Beispiel die Dichtungen austauschen. Denn die Dichtungen sind heute auf Erdgas, auf Methan ausgelegt. Wir arbeiten daran mit, die nächste Generation zu entwickeln.

CT: Und wie sieht es mit der reinen Wasserstoffleitung aus? Da müsste man ja hin, wenn man Dekarbonisierung und Transformation ernst nimmt.
Saur: Wenn wir metallische Rohrverbindungen haben, haben wir kein Problem, solange wir auch keine höhereTemperatur haben. Bei höheren Temperaturen versprödet Stahl in Kontakt mit Wasserstoff und der Stahl verliert seine Elastizität. Das kennt man vom Kernkraftbau, da haben wir ein großes dokumentiertes Wissen, was mit Wasserstoff und Stahl passiert. Bei Kunststoffsystemen müssen wir Multilevel-Rohre machen, das ist möglich. Aber das sind dann nicht mehr die extrudierten PVC- oder Polyamidrohre. Da muss man ein bisschen was anderes machen.

CT: Wie weit sind wir da? Sind Sie schon involviert in solche Ausbaupläne, oder ist das alles noch Zukunftsmusik?
Saur: Das ist zum Teil Zukunftsmusik. In das ganze Thema Houses und Exklusionsprofile sind eher unsere Kollegen von Trelleborg Industrial Solutions eingebunden. Wir wissen aber, dass sie für erste Demonstrationsprojekte angefragt sind. Die Frage “Wie könnt Ihr eine Wasserstoffökonomie sicherstellen?” wurde durchaus schon gestellt.

CT: spannende Angelegenheit!
Saur: Zweifellos. Sie werden die Diskussionen verfolgt haben, mit LNG-Häfen und -Pipelines. Wasserstoff wird man im Grunde auf die genau gleiche Art und Weise behandeln. Man wird irgendwo in Nordafrika Solarwasserstoff erzeugen, und diesen dann über Schiffe und LNG-ähnliche Verladestationen bei uns in die Pipeline-Systeme bringen.

CT: Als flüssiger oder gasförmig verdichteter Wasserstoff?
Saur: Gasförmig verdichtet, denn flüssiger Wasserstoff hat ein großes Problem, da wir dann in den kryogenen Temperaturbereich kommen. Da wird Dichten ganz schwierig, denn ein Elastomer hat bei so tiefen Temperaturen keine Elastizität mehr. Das ist komplett eingefroren.
Wir glauben, dass wir es schaffen, dass wir bei Druck Wasserstoff auch bis minus 40, minus 50, vielleicht in ein paar Jahren auch bis minus 60 abdichten können und dass das Elastomer dann auch noch eine Elastizität hat. Ein Vorteil, den wir haben, ist, dass wir heute schon Lösungen für Flugzeuge, die in zwölf Kilometer Höhe fliegen, haben. Dort herrschen die selben Temperaturbedingungen und wir haben dadurch heute schon Anwendungen, wo wir eben minus 50 Grad als eine Anforderung an Elastomere haben. Da haben wir gegenüber jemandem, der sonst nur im Anlagenbau liefert, einen Erfahrungsvorsprung.

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