Jahrelang hat Deutschland mit dem Bau von Terminals für den Import von verflüssigtem Erdgas, LNG, gezögert. Angesichts drohender Lieferausfälle aus Russland soll nun jedoch alles ganz schnell gehen. Im Rahmen der nun anlaufenden und bislang beispiellosen Investitionsoffensive in Energieinfrastruktur wurde bereits in der ersten Maiwoche mit dem Bau eines ersten Terminals begonnen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck war dazu nach Wilhelmshaven gereist, um beim ersten „Rammschlag“ mit dabei zu sein.
Gleich zwei Vorhaben mit unterschiedlichem Zeithorizont sollen in Wilhelmshafen realisiert werden: Ein schwimmendes LNG-Importterminal, das bereits Anfang 2023 in Betrieb gehen soll, und ein stationäres Terminal für den Import von grünem Ammoniak, mit dem Wilhelmshafen zu einem nationalen Knotenpunkt für Wasserstoff werden soll.
Das LNG-Spezialschiff (Floating Storage and Regasification Unit, FSRU) soll bereits im kommenden Winter verflüssigtes Erdgas aus den unterschiedlichsten Weltregionen in Empfang nehmen. Habek, der seit Beginn der russischen Invasion fieberhaft daran, die deutsche Gasversorgung unabhängig von russischem Pipeline-Gas aufzustellen, nutzte den Termin in Wilhelmshafen dafür, um gleich zwei Verträge für die Nutzung schwimmender LNG-Terminals zu unterschreiben: Die griechische Reederei Dynagas überlässt Deutschland die erst im vergangenen Jahr gebauten FSRU-Schiffe Transgas Force und Transgas Power, die dann vom Energiekonzern Uniper im Auftrag der Bundesregierung 10 Jahre lang betrieben werden sollen.
Erdgasterminal FSRU – was ist das?
Schwimmende Speicher- und Regasifizierungseinheiten ("FSRU") sind schwimmende LNG-Importterminals, die LNG an Bord transportieren, speichern und regasifizieren können. „LNG“ steht dabei für Liquified Natural Gas (Flüssigerdgas). Bei der Regasifizierung wird LNG mit einer Temperatur von -162 °C wieder in Erdgas mit atmosphärischer Temperatur umgewandelt. Das Wiederverdampfungssystem an Bord ermöglicht es dem FSRU, Erdgas direkt an den Endverbraucher zu liefern, entweder über ein Netz oder eine spezielle Pipeline. FSRUs können bis zu sechsmal schneller in Betrieb genommen werden als Onshore-Regasifizierungsterminals.
Hier finden Sie unsere interaktive Karte zu existierenden und geplanten LNG-Terminals in Europa.
Brunsbüttel mit langer Leitung
Der Standort für das zweite Transgas-Schiff des Reeders George Procopiou steht aktuell noch nicht fest. Zwei weitere FSRU leiht die Bundesregierung über den Betreiber RWE von der dänischen Reederei Höegh LNG. Eines der Terminal-Schiffe wird in Brunsbüttel anlegen, daneben sind die Standorte Stade, Rostock, Hamburg und Lubmin im Gespräch.
RWE sieht in den von Höegh LNG gecharterten FSRU eine „schnelle Übergangslösung, bis die ersten LNG-Terminals auf dem deutschen Festland fertiggestellt sind. Zwischen 10 und 14 Mrd. Kubikmetern Erdgas könnten die von RWE gecharterten Schiffe künftig pro Jahr anlanden.
Derzeit sind insgesamt sechs Terminal-Vorhaben in Planung: Vier FSRU und zwei auf dem Festland. Ein Terminal in Brunsbüttel soll künftig acht Mrd. m3 Erdgas verarbeiten können. Die Besonderheit dabei: Der Bund beteiligt sich über seine Förderbank KfW zu 50 % an der Investition. Betreiben soll die Anlage der niederländische Gasnetzbetreiber Gasunie gemeinsam mit RWE. Die Crux: Um das Erdgas aus Brunsbüttel in das deutsche Erdgasnetz einspeisen zu können, muss zunächst eine 65 km lange Pipeline gebaut werden, die alleine bis zu 200 Mio. Euro kosten wird – Tendenz, angesichts galoppierender Stahlpreise, stark steigend.
Wilhelmshafen soll Energiedrehscheibe werden
Für Wilhelmshafen spricht dagegen die bereits vorhandene Infrastruktur: Dort müssen lediglich 28 Kilometer Pipeline gebaut werden, um das regasifizierte Erdgas in das deutsche Gasnetz einzuspeisen. Die Landesregierung von Niedersachsen hegt an die Vorhaben in Wilhelmshafen große Erwartungen. Der Standort soll zu einer deutschen Energiedrehscheibe werden und Industriebetriebe anlocken.
Die erste Phase des Projekts, die bereits im kommenden Winter abgeschlossen sein soll, sieht die Regasifizierung von LNG über ein FSRU vor, das an die bestehende „Umschlagsanlage Voslapper Groden" (UVG) angeschlossen werden kann. Dort wird das LNG in gasförmiges Erdgas umgewandelt und anschließend in das deutsche Erdgasleitungsnetz eingespeist. Dazu will Uniper gemeinsam mit dem Hafenbetreiber Niedersachsen Ports die bestehende UVG angepassen und eine Verbindung zwischen der FSRU und den Anlagen an Land herstellen (sog. Ship-to-Shore-Interface).
Die Anbindung an das 28 Kilometer entfernte Erdgasleitungsnetz und damit auch an den Erdgasspeicher Etzel wird derzeit von Open Grid Europe realisiert und soll so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Mit einer Kapazität von bis zu 7,5 Mrd. m³ pro Jahr sollen künftig rund 8,5 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs in Wilhelmshaven angelandet werden. Ein Vergleich mit den aktuellen Pipeline-Lieferungen aus Russland macht deutlich, welcher Kraftakt notwendig wird: Nord Stream 1 lieferte 2021 fast 60 Mrd. Kubikmeter Erdgas nach Deutschland und von hier zu anderen Abnehmern in Europa. In Deutschland werden davon rund 40 Mrd. Kubikmeter benötigt.
In einem zweiten Projektschritt in Wilhelmshafen soll parallel zur bestehenden UVG eine dauerhafte und erweiterte Hafenlösung für die FSRU realisiert werden. Hierbei ist geplant, zusätzliche Entlade- und Umschlagsmöglichkeiten für grüne Gase, z. B. Ammoniak, zu schaffen, um das gesamte Potenzial dieses neuen Infrastrukturprojekts in Wilhelmshaven („Green Wilhelmshaven“) nutzen zu können. Das grüne Ammoniak wird entweder über die Schiene direkt abtransportiert oder über sogenannte Cracker vor Ort in Wasserstoff zurückverwandelt.
Temporäre Lösung soll Energietransformation nicht verbauen
Dass die Bundesregierung den Fokus auf FSRU legt, hat mehrere Gründe: Einerseits geht es darum, möglichst schnell Importkapazität für Erdgas aufzubauen. Doch um den Umbau von fossilen auf erneuerbaren Energien nicht zu gefährden, will sich die Bundesregierung gleichzeitig nicht auf Jahrzehnte hinaus festlegen und setzt auf die schwimmenden Übergangslösungen. „Mit zwei schwimmenden LNG-Terminals und vollen Gasspeichern werden wir über den Winter kommen“, schätzt Habeck.
Die Beschaffung der vier schwimmenden Terminals kann der grüne Wirtschaftsminister schon einmal als Erfolg verbuchen: Weltweit gibt es lediglich 48 der Spezialschiffe, zu Kriegsbeginn waren lediglich fünf davon verfügbar. Die Chartergebühren sowie den Bau der notwendigen Infrastruktur lässt sich die Bundesregierung 2,94 Mrd. Euro kosten – und macht damit das, was unter Verweis auf Marktkräfte den Bau eines LNG-Terminals in Deutschland jahrelang behindert hat: Sie schafft die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Betrieb, der die Unabhängigkeit von russischem Erdgas voranbringt.