Messgerät Wasserstoff und Dr. Oliver Weinmann

(Bild: scharfsinn86 – AdobeStock / DWV)

Zur Person

Dr. Oliver Weinmann ist Präsident des Deutschen Wasserstoff-Verbandes (DWV) und Berater in den Bereichen Wasserstoff und erneuerbare Energien. Er ist seit mehr als drei Jahrzehnten in der Energiebranche tätig und konzentriert sich dabei hauptsächlich auf erneuerbare Energien und Wasserstoff. Bis Juli 2022 war er Geschäftsführer der Vattenfall Innovation GmbH. Die Tochtergesellschaft von Vattenfall entwickelte neue Geschäftsfelder für den Vattenfall-Konzern, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien. Nach seinem Studium der Verfahrenstechnik an der RWTH Aachen und der Promotion am DLR in Köln begann er seine Karriere 1992 bei HEW in Hamburg und wechselte 2003 als Leiter des Innovationsmanagements zu Vattenfall. Parallel dazu war er von 2004 bis 2007 Geschäftsführer der Vattenfall Renewables GmbH.

CT: Bis 2030 sollen in der EU jährlich 10 Mio. Tonnen erneuerbaren Wasserstoffs erzeugt werden, weitere 10 Mio. Tonnen sollen importiert werden. Bis Februar 2023 war jedoch nicht rechtsverbindlich definiert, was unter „erneuerbarem Wasserstoff“ zu verstehen ist. Was ist notwendig, damit der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nun gelingen kann?
Weinmann: Wasserstoff ist eine riesige Chance für unsere Wirtschaft, wir können damit große Teile der Industrie und Mobilität dekarbonisieren. Gleichzeitig bietet Wasserstoff die Möglichkeit, die Resilienz des Energieversorgungssystems deutlich zu steigern, da grüner Wasserstoff aus vielen Quellen und Regionen der Welt bezogen werden kann. Allerdings waren wir bisher viel zu langsam, wir brauchen jetzt vor allem Geschwindigkeit, um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu erreichen. Es hat bisher mehr als zwei Jahre gedauert, um auf europäischer Ebene die Kriterien für erneuerbaren Wasserstoff im Delegated Act der Renewable Energy Directive 2 festzulegen. Das ist viel zu lange. Der im Februar von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Delegated Act muss nun noch durch das Europäische Parlament und von den Mitgliedsländern der EU in nationales Recht umgesetzt werden – und das muss schnell und pragmatisch geschehen.

CT: Wie bewerten Sie die Inhalte des Delegated Act?
Weinmann: Der Delegated Act hätte besser sein können, ist aber nicht so schlecht, wie einige Entwürfe vorher waren. Mit diesem Kompromiss können wir erst einmal leben, die fehlende Definition für grünen Wasserstoff und damit die Unsicherheit der Anrechenbarkeit auf Treibhausgasminderungen war eines der größten Investitionshemmnisse. Dennoch bleibt abzuwarten, wie sich die Industrie nun im Hinblick auf Großanlagen aufstellen wird. Die zeitliche Korrelation, nach der den Elektrolysekapazitäten auch zusätzliche Erzeugungskapazitäten für erneuerbar erzeugten Strom gegenüberstehen müssen, ist jetzt großzügiger gestaltet als im ursprünglichen Entwurf. Die Verpflichtung zum Bau von zusätzlichen erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen zur Deckung des Strombedarfs der Elektrolyse ist bis 2028 ausgesetzt. Das ist zu begrüßen, da es durchschnittlich acht Jahre dauert, um einen neuen Offshore-Windpark zu bauen. Dennoch bleiben hier Bauchschmerzen.

CT-Fokusthema Wasserstoff

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In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.

 

  • Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
  • Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.

CT: Wo sehen Sie Probleme?
Weinmann: Das Zeitfenster, für das die Anforderung an zusätzliche erneuerbare Anlagen nicht gilt, ist auf zehn Jahre beschränkt. Danach müssen Betreiber von Elektrolyseuren nachweisen, dass die zusätzlichen Kapazitäten für erneuerbaren Strom geschaffen wurden. Das kann dazu führen, dass die investierenden Unternehmen ihre Abschreibung auf einen sicheren Zeitraum von zehn Jahre kalkulieren – und dann wird der erzeugte Wasserstoff relativ teuer. Wir brauchen aber Abschreibungen über 15 bis 20 Jahre, um bezahlbaren grünen Wasserstoff herzustellen. Wenn über diese Zeit keine Investitionssicherheit im Hinblick auf den Ausbau erneuerbarer Energien vorhanden ist, dann wird die Industrie ein schwer kalkulierbares Investitionsrisiko nehmen müssen.

CT: Welche Faktoren sind außerdem wichtig für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft?
Weinmann: Grüner Wasserstoff wird anfangs noch teurer sein als konventionell aus Erdgas hergestellter grauer Wasserstoff. Wir werden also in der Markthochlaufphase Förderprogramme brauchen. Vor dem Krieg in der Ukraine wurde angenommen, dass man zehn Jahre brauchen wird, bis grüner Wasserstoff mit grauem Wasserstoff konkurrieren kann. Und das ist noch ein steiniger Weg mit vielen Ungewissheiten – ähnlich wie zu Anfang bei den erneuerbaren Energien. Möglichkeiten zur Förderung sind beispielsweise Zuschüsse oder Quotenregelungen wie etwa die Quote für den Einsatz von Sustainable Aviation Fuels, SAF, in der Luftfahrt, die bereits beschlossen worden ist. Und schließlich müssen Wasserstofftechnologien vom heutigen Klein- und Pilotmaßstab hochskaliert werden. Die meisten Elektrolyse-Anlagenbauer haben angekündigt, in die Gigawatt-Fertigung einsteigen zu wollen. Hier ist sicher auch noch mit technologischen Herausforderungen bei der Hoch­skalierung zu rechnen.

Die Wasserstoff-Wirtschaft braucht Investititionssicherheit im Hinblick auf den Ausbau der Erneuerbaren.
Die Wasserstoff-Wirtschaft braucht Investititionssicherheit im Hinblick auf den Ausbau der Erneuerbaren. (Bild: AA+W – AdobeStock)

CT: Wo könnten Fördergelder besonders effektiv helfen?
Weinmann: Raffinerien brauchen große Mengen an Wasserstoff und haben schon heute eine CO2-Minderungsquote, die sie bislang mit Biofuels erfüllen. Raffinerien könnten die Quote auch mit grünem Wasserstoff erfüllen. Diese Verwendung von grünem Wasserstoff liegt heute am nächsten an der Wirtschaftlichkeit. Um die Wasserstoffwirtschaft voranzubringen, brauchen wir aber weitere große Hebel – diese gibt es in der Stahl- und Chemieindustrie mit großen Bedarfen an Wasserstoff, hier müssen in der Anfangsphase ebenfalls Förder­instrumente implementiert werden. Die Instrumente sind auf dem Weg, aber die Prozesse sind viel zu langsam. Zum Beispiel zieht sich das europäische Förderprogramm IPCEI, Important Projects of Common European Interest, schon zwei Jahre hin, bisher wurden kaum Förderbescheide ausgestellt. Da müssen wir in Europa und Deutschland schneller werden und uns nicht ständig in Details verlieren. Positiv anzumerken sind die in Deutschland geplanten Klimaschutzverträge – diese basieren auf einem Contracts-for-Difference-Modell – die aber in der Ausgestaltung auch wieder ziemlich kompliziert sind. Die Amerikaner zeigen mit dem Inflation Reduction Act vor, dass das auch deutlich einfacher geht.

Dazu kommt, dass die Fördermittel der EU zu klein bemessen sind: Die Kommission plant mit der H2-Bank, grünen Wasserstoff über zehn Jahre mit 3 Mrd. Euro zu fördern. Bei einer Anfangsförderung von 3 Euro pro kg grünen Wasserstoff entspricht das 100.000 t/a – das ist weit weg von den für 2030 geplanten 10 Mio. Tonnen. Hier muss deutlich aufgestockt werden. Erfreulicherweise hat die Bundesregierung für die Klimaschutzverträge ein weit höheres Budget vorgesehen.

CT: Die prognostizierten benötigten Wasserstoffmengen sind enorm. Welche Rolle könnte blauer Wasserstoff spielen, der aus Erdgas gewonnen wird?
Weinmann: Wenn es schnell gehen muss, ist blauer Wasserstoff eine mögliche Übergangslösung. Grüner Wasserstoff bedeutet, dass man sowohl die Kapazität für grünen Wasserstoff als auch für grünen Strom parallel hochfahren muss, eine große Herausforderung. Blauer Wasserstoff kann temporär eine Rolle spielen. Es muss aber darauf geachtet werden, dass dadurch Investitionen in grünen Wasserstoff nicht ausgebremst werden und dass nicht zusätzliche Emissionen durch blauen Wasserstoff entstehen. Auch ist die Produktion von blauem Wasserstoff in Deutschland wenig realistisch, da es hier keine Akzeptanz für die CO2-Speicherung gibt.

Engineering Summit 2023

Im Rahmen des Engineering Summit, der zentralen Networking-Veranstaltung des europäischen Anlagenbaus, werden die Themen einer nachhaltigen Energiewirtschaft im Fokus stehen. Der Kongress wird vom 19. bis 20. September zum inzwischen neunten Mal stattfinden und dient als Plattform für den Austausch unter Führungskräften des Anlagenbaus. Schwerpunkte sind Aspekte der Anlagenbau-Ressourcen und Technologien. Veranstaltungsort ist Darmstadt.
Anmeldung und weitere Informationen unter www.engineering-summit.de

CT: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Wasserstoffprojekt angekündigt wird. Oft ist unklar, ob das Chancen auf Realisierung hat. Wie schätzen Sie das Projektgeschehen ein?
Weinmann: Die Investitionsbereitschaft in der Industrie ist groß, jedoch wurden bislang kaum finale Investitionsentscheidungen getroffen. Das lag bislang vor allem an Rechtsunsicherheiten – wie zum Beispiel dem Delegated Act – und Verzögerungen bei der Umsetzung von Förderinstrumenten. Für die Herstellung von grünem Wasserstoff wird grüner Strom benötigt, der in der Regel über Power Purchase Agreements (PPA) bereitgestellt wird. In diesen Verträgen ist die Lieferung von grünem Strom zu längerfristigen Konditionen festgeschrieben. Allerdings sind PPAs derzeit stark nachgefragt, das führt zu relativ hohen Energiepreisen. Einige Investoren haben sich bereits PPAs gesichert, aber es ist fraglich, ob alle Interessenten PPAs zu wirtschaftlich attraktiven Konditionen erhalten. Wir brauchen daher einen zügigen Ausbau zusätzlicher Kapazität an erneuerbaren Energien.

CT: Der Inflation Reduction Act wird in den USA einen Investitionsboom in Klimamaßnahmen auslösen. Welche Folgen könnte das für Engineering und Skalierung von Wasserstoffprojekten in Europa haben?
Weinmann: Wir sehen jetzt schon, dass sich deutsche und europäische Technologieanbieter in Richtung USA orientieren. Die IRA-Förderung ist sehr pragmatisch: Grüner Wasserstoff wird beispielsweise mit 3 USD pro kg gefördert, die gesamte Wasserstoff-Förderung ist im IRA mit 50 Mrd. USD hinterlegt. Das ist kalkulierbar und wirkt sofort – Unternehmen können auf dieser Basis schneller investieren als in Europa. Wenn Unternehmen auf dieser Basis größere Investitionsentscheidungen für die USA treffen, dann ist die ohnehin limitierte Fertigungskapazität für Elektrolyseanlagen erst einmal ausgebucht. Im IRA gibt es für Wasserstoffprojekte auch nicht die Restriktion, dass die Wasserstoffanlagen in den USA hergestellt sein müssen – also wird die Technologie auch in der EU und in Deutschland zugekauft werden und steht in unserem europäischen Markt nicht mehr für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zur Verfügung.

CT: Welche Rolle kann der Anlagenbau spielen?
Weinmann: Der Anlagenbau spielt eine zentrale Rolle und hat ein enormes wirtschaftliches Potenzial für Deutschland. Zum einen ist der Anlagenbau in der Elektrolyse technologisch und bei der Produktion von Anlagen sehr gut aufgestellt, ob Alkali-, PEM- oder Hochtemperatur-Elektrolyse. Wir haben hier die Chance, große Anlagen zu bauen und zu betreiben und dabei kontinuierlich weiter zu optimieren. Mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sehe ich einen ähnlichen Paradigmenwechsel wie in der Stromwirtschaft: Dort findet die Transformation von Kohle, Kernkraft und Gas hin zu erneuerbaren Energien seit mehr als zwei Jahrzehnten statt. Ähnlich beginnt es nun in der Gaswirtschaft – weg von Erdgas und hin zu Wasserstoff. Das wird die gesamte Branche umwälzen und Investitionen im Multimilliardenmaßstab auslösen. Das ist eine riesige Chance, die sich der deutsche Anlagenbau nicht entgehen lassen sollte.

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