Welche Chemieanlagen in Deutschland geschlossen werden
Die Chemieindustrie steckt in einem tiefen Umbruch – gerade in Deutschland. Dies hat hierzulande zuletzt immer wieder zu Stilllegungen von Anlagen und ganzen Standorten geführt: Wo und aus welchen Gründen Anlagen geschlossen werden, zeigen wir hier.
In den vergangenen Jahren häufen sich am Chemiestandort Deutschland die Meldungen über Standort- und Anlagenschließungen. Dahinter stehen nicht nur kurzfristige konjunkturelle Schwächen, sondern tiefgreifende strukturelle Herausforderungen, die den gesamten Sektor betreffen (ausführlicher zu den Gründen siehe unten). Besonders betroffene Bereiche sind die Grundstoffchemie (z. B. Ammoniak, Methanol oder Melamin) die Agrochemie, insbesondere ältere Pflanzenschutzmittel, sowie die Kunststoff-Produktion.
Chronik der Anlagenschließungen seit 2023
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Februar 2023: BASF gibt bekannt, am weltweit größten Standort Ludwigshafen zwei Anlagen in der Polymer-Produktion (TDI und Caprolactam) sowie eine der beiden Ammoniak-Anlagen samt der damit verbundenen Düngemittelanlagen zu schließen. Insgesamt sollen 10 % der Anlagenwerte in Ludwigshafen und etwa 700 Stellen von den Kosteneinsparungen und Umstrukturierungen betroffen sein.Mehr Hintergründe.(Bild: BASF)
Februar 2023: Die geplante Schließung von Dyneon schlägt Wellen über den Standort im bayerischen Chemiepark Gendorf hinaus. Der Dyneon-Mutterkonzern 3M bereitet sich mit dem Ausstieg aus der PFAS-Produktion auf ein mögliches Verbot dieser Substanzen vor. Inzwischen ist klar: Die Anlage wird nicht verkauft, sondern stillgelegt. 600 Mitarbeiter sind betroffen.Zur ganzen Meldung.(Bild: Chemiedelta Bavaria)
August 2023: Der Spezialchemie-Konzern Lanxess will angesichts der schwachen Konjunktur hunderte Millionen Euro einsparen. Zu den Maßnahmen gehören unter anderem die Schließung von Anlagen am Standort Krefeld-Uerdingen: Der Produktionsbetrieb für die Hexan-Oxidation, die energieintensiv ist, soll bis 2026 stillgelegt werden. Dort sind knapp 60 Mitarbeiter beschäftigt.Mehr in der Meldung.(Bild: Lanxess)
Mai 2024: BASF hat mit einem Anbieter für verfahrenstechnische Anlagen einen Vertrag geschlossen, um Ammoniak-, Methanol- und Melaminanlagen vom Standort zu verkaufen. Die Anlagen sollen nicht nur den Besitzer wechseln, sondern an einen ganz anderen Standort verlagert werden.Zur ganzen Meldung.(Bild: BASF)
Juli 2024: Aus wirtschaftlichen Gründen will BASF die Produktion des Wirkstoffs Glufosinat-Ammonium (GA) an den Standorten Knapsack und Frankfurt bis Ende 2024 einstellen. Anschließend sollen beide Produktionsanlagen stillgelegt werden. In Frankfurt wird bis 2025 auch die Formulierung des Wirkstoffs beendet. Alle der etwa 300 Arbeitsplätze bleiben zunächst bis Ende 2025 erhalten und sollen anschließend in Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung schrittweise reduziert werden.Weitere Hintergründe.(Bild: BASF)
August 2024: Und nochmal BASF: Der Konzern schließt weitere Anlagen in Ludiwgshafen. Das Unternehmen will die Produktion von Adipinsäure, Cyclododecanon (CDon) und Cyclopentanon (CPon) am Standort Ludwigshafen im Laufe des Jahres 2025 einstellen. Adipinsäure und CDon sind Vorprodukte für Kunststoffe, CPon dient unter anderem als Baustein für die Synthese von Pflanzenschutzmitteln und pharmazeutischen Wirkstoffen. Von den Anlagenschließungen sind rund 180 Mitarbeitende betroffen.Hier gibt es die ganze Meldung.(Bild: BASF)
Oktober 2024: Evonik dampft die Geschäftsgebiete Coating & Adhesive Resins sowie Health Care auf ihre jeweiligen Kerngeschäfte ein. Eine Folge: Die Herstellung von Ketosäuren für Pharma-Anwendungen in Hanau soll Ende 2025 eingestellt werden. Die insgesamt rund 260 betroffenen Mitarbeiter müssen sich "Optionen in anderen Bereichen von Evonik oder außerhalb des Konzerns" suchen.Zu den Hintergründen.(Bild: Evonik)
Januar 2025: Der Düngemittelhersteller SKW Piesteritz drosselt seine Produktion, in dem er eine von zwei Ammoniakanlagen in Wittenberg für unbestimmte Zeit abstellt. Gründe dafür seien die Marktlage und die politischen Rahmenbedingungen.Was die Geschäftsführerin des Düngemittelherstellers dazu sagt, lesen Sie hier.(Bild: SKW Piesteritz)
Mai 2025: Die Krise der Chemie in Deutschland ist historisch: Zum ersten Mal in der 162-jährigen Konzerngeschichte kündigte im Mai 2025 auch der Bayer-Konzern an, einen deutschen Standort komplett zu schließen. Betroffen sind die Produktionsanlagen für Agrochemikalien im Industriepark Höchst mit ihren rund 500 Mitarbeitern. Als Grund nannte die Niedrigstpreise der asiatischen Konkurrenten, die teilweise sogar unter den Herstellungskosten in Europa lägen – außerdem: regulatorische Beschränkungen und nationale Exporthemmnisse. Auch der Standort Dormagen ist von Maßnahmen betroffen.Weitere Hintergründe gibt es hier.(Bild: Infraserv Höchst)
Juni 2025: Ineos Phenol beabsichtigt, die Produktion am Standort Gladbeck endgültig einzustellen. Als Gründe dafür nennt das Unternehmen die „extrem hohen Energiekosten“ in Europa in Verbindung mit der „strengen CO₂-Steuerpolitik“. Mehr dazu,lesen Sie hier.(Bild: Ineos)
Juli 2025: Bereits im April hatte der Chemiekonzern Dow seine mitteldeutschen Standorten Böhlen und Schkopau in Frage gestellt. Nun steht fest: Drei zentrale Anlagen für das Chemiecluster werden geschlossen, darunter ein Steamcracker. Betroffen sind 550 Stellen. Grund für die Schließungen: Die Anlagen sind besonders energie- und kostenintensiv. Alle Hintergründe:Weitere Infos in der Meldung.(Bild: Dow)
September 2025: Solvay stellt die Produktion von TFA in Bad Wimpfen bis 2026 ein. Auch Fluorwasserstoff und weitere Anorganika sind betroffen. Rund 100 Jobs fallen weg. Die als „Ewigkeitschemikalie“ kritisierte Substanz TFA geriet wegen ihrer Einleitung in den Neckar in die Schlagzeilen.Zur kompletten Meldung.(Bild: Solvay)
September 2025: Der Umbau am BASF-Standort Ludwigshafen geht weiter: Der Konzern hat angekündigt, die Produktion von Hydrosulfiten einzustellen. Das entsprechende Geschäft soll auslaufen, betroffen sind rund 65 Mitarbeiter. Für die Produkte mit den Absatzmärkten Textil- und Papier-/Zellstoffindustrie sieht der Konzern offenbar "kein langfristiges Wertschöpfungspotenzial" mehr.Zur kompletten Meldung.(Bild: BASF)
Oktober 2025: Ineos hat vor, zwei Produktionsstätten in Rheinberg zu schließen, wodurch 175 Arbeitsplätze wegfallen. Neben den Energie- und CO₂-Kosten nennt der Konzern auch den fehlenden Zollschutz als Grund für die geplanten Schließungen.Zur kompletten Meldung.(Bild: Ineos)
Was sind die Gründe für die Anlagenschließungen in der deutschen Chemie?
Hohe Energie- und Rohstoffkosten
Ein zentraler Treiber ist das gestiegene Kostenniveau in Europa, insbesondere in Deutschland. Der Standortnachteil durch hohe Energiepreise macht energieintensive Produktionsprozesse zunehmend unwirtschaftlich. Dies betrifft unter anderem die Ammoniakherstellung oder andere Grundstoffproduktionen, bei denen Energie ein maßgeblicher Kostenfaktor ist.
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Überkapazitäten und Nachfragerückgänge
Auf vielen globalen Märkten – etwa bei Basis- und Petrochemikalien – stehen die Unternehmen vor Überkapazitäten. Neue, kostengünstigere Produktionsstätten in Asien oder im Nahen Osten verschärfen den Wettbewerbsdruck. Gleichzeitig ist in einigen Bereichen die Nachfrage eingebrochen, etwa infolge der schwächelnden Bauwirtschaft oder rückläufiger Automobilproduktion.
Strukturelle Transformation und Portfoliofokus
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Hinzu kommen strategische Neuausrichtungen. Viele Unternehmen überprüfen ihre Portfolios und trennen sich von margenschwachen oder nicht zukunftsfähigen Bereichen. Dazu zählen unter anderem die Herstellung bestimmter Pflanzenschutzmittel, PFAS-haltiger Produkte oder veralteter Kunststofftypen. Produktionsstandorte, die nicht flexibel genug für moderne, nachhaltigere Prozesse sind, geraten dabei schnell ins Abseits.
Regulatorische Vorgaben
Auch verschärfte Umweltauflagen oder geplante Verbote – etwa im Bereich PFAS – führen dazu, dass ganze Produktlinien eingestellt werden. Der Aufwand für Umrüstungen oder Genehmigungen steht dabei oft in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis.
Es gibt jedoch auch gute Nachrichten zu neue Anlagen - nicht nur, aber auch in Deutschland. Hier geht es zu unserer Übersicht der jüngsten Anlagenbauprojekten aus den vergangenen Monaten:
Engineering Summit 2025 – Jetzt anmelden!
(Bild: Redaktion)
Am 4. und 5. November 2025 diskutieren auf dem wichtigsten Branchentreffpunkt für den Anlagenbau im deutschsprachigen Raum hochkarätige Branchenvertreter aktuelle Herausforderungen und Perspektiven:
Welt im Umbruch – Chance oder Herausforderung für den Anlagenbau?
Wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz den Anlagenbau voranbringen.
Wie Kollaborationsmodelle den Anlagenbau stärken.
Welche Chancen Dekarbonisierung und Energiewende (immer noch) bieten.
Top-Speaker aus Industrie, Politik und Forschung liefern Impulse, Best Practices und kontroverse Debatten – ergänzt durch Networking-Sessions und eine Fachausstellung. Der Engineering Summit bietet damit einmal mehr die Plattform, um Trends zu setzen und Projekte der Zukunft auf den Weg zu bringen.