- Viele Unternehmen aus unterschiedlichen Bereichen wollen in die Produktion von Wasserstoff einsteigen.
- Neue Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen und Kostensenkung in der Wasserstoffproduktion eröffnet die Integration eines digitalen Zwillings.
- Dieser kann die Projektkosten einer Anlage um ungefähr 15 % senken und die Inbetriebnahmezeit um bis zu 30 % verkürzen.
Der rapide ansteigende Bedarf an sauberen Energiequellen macht Wasserstoff zu einem zentralen Element in der Energiewende. Seine Fähigkeit, Energie in großen Mengen zu speichern und zu transportieren, macht ihn besonders für Industrien interessant, die nachhaltige Alternativen zu fossilen Brennstoffen suchen. Die Entwicklung hin zu grünem Wasserstoff, der mithilfe erneuerbarer Energiequellen produziert wird, ist ein bedeutender Schritt in Richtung Dekarbonisierung verschiedener Sektoren, einschließlich Transport, Industrie und Energieerzeugung. Das hat auch dazu geführt, dass Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen auch außerhalb der Prozessindustrie Teil der Wasserstoff-Ökonomie geworden sind und Wasserstoff produzieren wollen. Die Integration des digitalen Zwillings in die Wasserstoffproduktion eröffnet neue Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen. Durch den Einsatz von Simulationsmodellen, die den realen Anlagenbetrieb nachbilden, können Ingenieure und Betreiber Anlagenentwürfe optimieren, bevor physische Komponenten gebaut oder modifiziert werden. Dieser Ansatz ermöglicht es, potenzielle Probleme frühzeitig zu identifizieren und zu beheben, was zu einer Verkürzung der Entwicklungszeiten und einer Reduzierung der Kosten führt. Für den Aufbau und Betrieb von digitalen Zwillingen ist es aber zwingend notwendig, dass Automatisierungstechnik und Industriesoftware optimal aufeinander abgestimmt sind. Siemens bietet hierfür bereits passende Blueprints, vorgeplante Engineering-Templates und Libraries an.
CT-Fokusthema Wasserstoff
In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.
- Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
- Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.
Standardisierung entscheidend bei modularen Anlagen
Im Gegensatz zu den seit Jahrzenten etablierten Verfahren zur Erzeugung von zumeist grauem Wasserstoff handelt es sich bei den neuen Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff in der Regel um modulare Greenfield-Anlagen, die aus unterschiedlichen Package Units bestehen. Es werden häufig Skids verschiedener Hersteller verwendet. Die daraus resultierende Herausforderung ist, dass jedes Modul eine herstellerspezifische Logik, Programmierung und Bedienung aufweist. Neben den Übertragungsprotokollen müssen auch die von den Skids generierten Alarme und Meldungen korrekt in das Leitsystem integriert werden.
Das Gleiche gilt für die Visualisierung aller Steuerungsparameter. Um eine nahtlose Interoperabilität dieser unterschiedlichen Systeme zu gewährleisten, ist die Standardisierung der Schlüssel zu einem offenen und flexiblen Automatisierungskonzept. Nur auf dieser Basis können digitale Zwillinge ihre volle Wirkung entfalten.
Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild der aktuellen und zukünftigen physischen Realität, zum Beispiel eines Produkts, eines Produktionsprozesses, einer Anlage oder auch nur eines kleinen Sensors oder einer Pumpe, einschließlich ihres Verhaltens und Gesundheitszustandes. Es führt Daten aus allen Lebenszyklusphasen und aus allen Funktionen und Ebenen zusammen und hilft so, die Leistung der entsprechenden Komponenten zu verstehen, zu verwalten und vorherzusagen und damit die Grundlage für fundierte datenbasierte Entscheidungen.
Der erste Schritt auf dem Weg zu Digital Twins in der Wasserstoffproduktion ist der Designprozess für Greenfield-Anlagen. Um optimale Prozessdesigns für eine Anlage zu ermitteln, werden Simulationen per Prozessmodelierungs-Software wie Gproms gefahren. Die Software erfasst tiefes Prozesswissen in mathematischen Modellen, die die Physik und Chemie der Prozessabläufe beschreiben.
Prozesssimulation für modulare Anlagen
Um im nächsten Schritt das verfahrenstechnische Konzept zu veranschaulichen und zu verfeinern, werden die zuvor gesammelten Prozessdaten für das Prozessflussdiagramm (PFD) genutzt. Anschließend werden die detaillierteren Rohrleitungs- und Instrumentendiagramme (P&IDs) erstellt. Übliche Anlagenteile, die durch P&IDs dargestellt werden, sind Behälter, Rohrleitungen, Ventile und Pumpen. Außerdem zeigen P&IDs, wie der Prozess mit typischen Automatisierungselementen, wie Sensoren und Aktoren, gesteuert wird. Für die verschiedenen Disziplinen des Anlagenbaus, etwa Verfahrenstechnik, Elektrotechnik, Systemtechnik, Verrohrung und Automatisierung, hilft ein Engineering-Tool wie Comos, den Digitalen Zwilling zu erstellen.
Im weiteren Verlauf muss die gesamte Automatisierung der Anlage geplant und projektiert werden (Detail-Engineering) – also Schaltpläne, Verdrahtung und das Prozessleitsystem (Distributed Control System, DCS). Die entsprechende DCS-Hardware, wie Remote IOs oder Controller, muss im Feld platziert, verdrahtet und konfiguriert werden. Dasselbe gilt für die DCS-Software, die designt und implementiert werden muss. Der Plant Automation Accelerator von Siemens bietet hierfür einen integrierten Engineering-Ansatz. Nach dem DCS-Engineering beginnt die kritische Phase der Abnahmeprüfung und Inbetriebnahme. Mit der Software Simit lässt sich das DCS-Verhalten für die virtuelle Inbetriebnahme simulieren, während sich die reale Anlage noch im Bau befindet.
Hohe Effizienzsteigerung, schnellere Time-to-Market
Durch die Wiederverwendung der Daten aus dem Prozessleitsystem, Simit, Comos und Gproms kann das komplette Anlagenverhalten vor der Inbetriebnahme simuliert werden. Die Kombination dieser Anwendungen stellt zudem sicher, dass die Daten der digitalen Zwillinge konstant aktuell bleiben. Liegt zudem ein 3D-Modell einer Anlage vor, ermöglicht Comos Walkinside eine frühzeitige Schulung des Bedienpersonals per virtueller Realität. Auch eine störungsarme Betriebsphase kann auf diese Weise besser erreicht werden. Dafür ist es unerlässlich, Anlagen- und Betriebsdaten sowie Dokumentationen sowohl mit Echtzeit- als auch mit historischen Daten anzureichern.
Im Ergebnis reduzieren digitale Zwillinge den Aufwand für die Inbetriebnahme vor Ort auf ein Minimum, verringern Fehler und können die Projektkosten einer Anlage um ungefähr 15 % senken – während gleichzeitig die Inbetriebnahmezeit um bis zu 30 % verkürzt wird. Die Kombination der vier Anwendungen ermöglicht es, den digitalen Zwilling immer auf dem neuesten Stand zu halten, indem die Daten ständig aktualisiert werden. Bei Engineering, Automatisierung und Simulation werden Anlagenproduktivität und -leistung durch den Einsatz von Vorhersagemodellen optimiert, die die tatsächliche Anlage genau widerspiegeln.
Spezielle Anforderungen bei Elektrolyseuren
Elektrolyseure sind die Kernkomponente einer grünen Wasserstoffanlage. Deren Kapazität lässt sich nicht beliebig skalieren. Stattdessen werden durch ein sogenanntes Numbering-up mehrere Elektrolyseure parallel betrieben, um die Leistung einer Anlage zu erhöhen. Verfügt man nun über einen digitalen Zwilling der Elektrolyseure, ist das Engineering einer H2-Anlage sehr einfach möglich – durch Kopieren und Einfügen sowie Drag und Drop.
Auf diese Weise lassen sich künftig auch ganze H2-Anlagen kopieren und nachbauen. Diese sogenannte Digital Hydrogen Plant stellt die Basis dar, um das Elektrolyseurgeschäft zu skalieren. Die beschriebenen Simulationsmodelle laufen dann im Hintergrund parallel zum Anlagenbetrieb und erkennen mögliche Abweichungen vom Optimalbetrieb. So lassen sich letztlich auch die effizientesten und materialfreundlichsten Betriebsweisen von Wasserstoffanlagen finden.
Darüber hinaus erleichtert der Digitale Zwilling die Integration von Wasserstoffproduktionsanlagen in bestehende Energiesysteme. Durch die präzise Simulation des Anlagenbetriebs können Betreiber besser verstehen, wie ihre Anlagen auf schwankende Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen reagieren und wie sie am besten in das breitere Energienetz integriert werden können. Diese Fähigkeit ist entscheidend, um die Rolle des Wasserstoffs als Energiespeicher zu maximieren und die Flexibilität des Energiesystems insgesamt zu erhöhen. Wetterprognosen können zudem in Simulationsmodelle von Anlagen eingespeist werden, sodass Betreiber früher wissen, wie viel Strom sie für ihre Anlage am Markt zukaufen müssen. Das spart wiederum Kosten.
Die gesamte Architektur des digitalen Zwillings ist auf Flexibilität ausgelegt. Anlagenbetreiber können ihre Prioritäten damit selbst setzen, etwa auf Informationslatenz, Infrastruktur- und Bereitstellungskosten, digitales Geschäftsmodell und Grad der erforderlichen Informationssicherheit. Ziel muss immer sein, Datensilos aufzubrechen und Daten zu kombinieren, um eine digitale Anlage zu schaffen, die datenbasierte Entscheidungen in Echtzeit ermöglicht. Flächendeckend eingesetzt, wird dieser Ansatz die grüne Wasserstoffproduktion bedeutend vorantreiben.
10. Engineering Summit
Bereits zum zehnten Mal veranstalten die VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau und Hüthig Medien / CHEMIE TECHNIK den Engineering Summit. Vom 1. bis 2. Oktober 2024 treffen sich auf der branchenübergreifenden Kommunikationsplattform Führungskräfte aus allen Segmenten des Anlagenbaus sowie Betreiber und Zulieferer. Dort werden strategische Fragestellungen, Herausforderungen und Chancen des Anlagenbaus thematisiert. In diesem Jahr stehen die Aspekte Agilität in volatilen Zeiten, Verbesserung der Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Nachwuchsgewinnung auf dem Programm. Nähere Informationen und Tickets unter www.engineering-summit.de