Bau neuer Erdgas-Pipelines

Neben der Umwidmung von Erdgasleitungen, braucht es für eine bundesweite Wasserstoff-Infrastruktur auch den Bau neuer Pipelines. (Bild: Gascade Gastransport / FNB Gas)

Das Thema Wasserstoff erlebt derzeit geradezu einen Hype. Aktien von Unternehmen im Umfeld schießen in die Höhe und eine Rekordprojekt-Meldung löst die andere ab. Das hat vor allem damit zu tun, dass gerade grüner Wasserstoff – der sauberste in der H2-Farbenlehre – bei vielen als Schlüssel für die Energiewende, ja als das "neue Öl" einer saubereren, nachhaltigeren Weltwirtschaft gilt. Ähnlich wie Öl ist auch H2 als Einsatzstoff, Brennstoff oder Energieträger vielseitig einsetzbar. Gerade in Bereichen, in denen fossile Alternativen schwer zu ersetzen sind, könnte H2 zur Dekarbonisierung beitragen – etwa in der Chemie-, Stahl-, und Zementindustrie oder im Schwerlastverkehr. Mehr über die verschiedenen Einsatzgebiete von Wasserstoff finden Sie in unserem Spezialartikel dazu.

Diese Vorzüge sind auch der Politik nicht entgangen. Sowohl die EU als auch Deutschland haben im Sommer 2020 jeweils ihre eigenen Wasserstoff-Strategien vorgestellt und gestartet. Allein durch das europäische Programm sollen bis 2050 viel Energie und nicht weniger als 470 Mrd. Euro in den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft fließen. Und auch die nationalen Pläne sind alles andere als bescheiden: "Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, ein weltweit führender Hersteller von Technologien zur Wasserstofferzeugung, -speicherung, -nutzung und -transport zu werden", erklärte etwa Bundeswirtschaftsminster Robert Habeck. Und während etwa im Bereich Strom die Energiewende an der Frage der Infrastruktur – Stichwort Nord-Süd-Trasse – zu scheitern droht, soll nun mit grünem Wasserstoff alles anders werden und frühzeitig ein koordinierter Netzentwicklungsplan für ein H2-Netz entstehen. Denn noch existiert kein flächendeckendes Verteilnetz für Wasserstoff – weder in Deutschland noch in Europa.

CT-Fokusthema Wasserstoff

(Bild: Corona Borealis – stock.adobe.com)

In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.

 

  • Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
  • Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.

Straße, Schiene, Pipeline: Wie wird Wasserstoff am besten transportiert?

Der Transport von Wasserstoff stellt eine Herausforderung dar, da dafür entweder hohe Drücke oder tiefkalte Temperaturen notwendig sind. Heute erfolgt der Wasserstoff-Transport – etwa für Tankstellen – fast ausschließlich als verdichtetes Gas in speziellen Druckbehältern auf LKW – der Druck beträgt hier in der Regel 200 oder 300 bar. Grundsätzlich sind heute jedoch auch Drücke bis 700 oder sogar darüber hinaus möglich. Selbst wenn dadurch mehr Wasserstoff in die Behälter passt, sind die Mengen bei dieser Transportart stark begrenzt.

Größere Mengen bei gleichem Speichervolumen lassen sich durch die Verflüssigung des Wasserstoffs erreichen. Da hierfür Temperaturen von -270 °C benötigt werden, sind die Herausforderungen an die Logistik hier jedoch auch deutlich höher. Ein weiteres Problem stellt der hohe Energieaufwand für die Verflüssigung dar, für die etwa 40 % der im Wasserstoff enthaltenen Energie aufgebraucht werden müssen. Weniger energieintensiv ist der Transport per Ammoniak, in den sich Wasserstoff am Entstehungsort umwandeln und am Einsatzort wieder zurückwandeln lässt, oder in flüssigen organischen Trägern, sogenannten LOHC. Beide Varianten sind aber jedoch noch nicht in kommerziellen Maßstab umsetzbar. Mehr Hintergründe zu den verschiedenen Wasserstoff-Trägern mit ihren Vor- und Nachteilen finden Sie hier.

Auf den Transport von flüssigem Wasserstoff setzt auch die Deutsche Bahn. So hat DB Cargo zusammen mit Energieversorgern 2022 ein Konzept vorgestellt, mit dem man zukünftig große Mengen Wasserstoff per Güterzug transportieren möchte. Das Ziel ist es, vor allem per Schiff importierten Wasserstoff, der dann in Flüssigkeiten gebunden vorliegt, von den Häfen oder anderen Importstellen zu den Verbrauchern im Hinterland zu bringen. Der Wasserstoff soll dabei für den Bahn-Transport in der Flüssigkeits-Bindung belassen werden. Damit können die üblichen Kesselwagen im Schienengüterverkehr genutzt werden, wie sie heute schon vielfach für die chemische Industrie im Einsatz sind. Erst dort, wo Wasserstoff als Energiespender eingesetzt werden soll, wird das Ladegut dann wieder in seine Bestandteile „gecrackt“ und der Wasserstoff separiert. Schon heute sei man so bereit, umgerechnet etwa 20 TWh Wasserstoff auf der Schiene zu liefern, so DB Cargo. Das entspricht etwa 20 % des geschätzten Wasserstoffbedarfs 2030.

Gleichzeitig will DB Cargo aber auch Wasserstoff-Container für den Transport von reinem Wasserstoff – flüssig oder gasförmig – entwickeln. Diese Lösung ist nach Auskunft des Unternehmens aufgrund des höheren Aufwandes vor allem dann sinnvoll, wenn es um die kleinteilige Verteilung von an dezentralen H2-Anwender geht – beispielsweise Wasserstoff-Tankstellen. Gerade gegenüber dem Transport auf Straße soll die Schiene dabei einen entscheidenden Vorteil liefern: Sie ist der wesentlich umweltfreundlichere Transportweg. "Grüner Wasserstoff braucht grüne Logistik – und das bieten wir“, erklärt Dr. Sigrid Nikutta, Chefin von DB Cargo und Vorstand Güterverkehr des DB-Konzern.

Schematische Karte des geplanten Wasserstoff-Netzes von DB-Cargo
Auf dem Schienennetz von etwa 33.000 km will der DB-Konzern etwa ein Fünftel des Wasserstoff-Transports abwickeln – ein Vorteil: Dieses Netz gibt es im Gegensatz zur Pipeline schon. (Bild: DB)

Am wirtschaftlichsten – zumindest bei Distanzen bis etwa 10.000 km – lässt sich Wasserstoff jedoch gasförmig per Pipeline transportieren. Auch der von der Bundesregierung berufene Nationale Wasserstoffrat hält diese Option für "das sicherlich einfachste Medium". Wasserstoff kann hier in großen Mengen fließen: Das Unternehmen Neuman & Esser rechnet für eine DN 1000-Pipeline bei einem Druck von 85 bar und einer moderaten Gasgeschwindigkeit von 15 m/s mit einem Volumenstrom von 3,6 Mio. m3/h. Bei voll ausgelasteten Leitungen gestaltet sich der spezifische Transportpreis gering. Die Betreiber der zukünftigen europäischen Pipelinenetzes "European Hydrogen Backbone" gehen hier von nur ca. 0,16 Euro pro kg Wasserstoff je 1.000 km aus. Anders als bei den Herstellungskosten unterscheiden sich die Transportkosten dabei zwischen grünem, blauem und grauem Wasserstoff nicht.

Welche Wasserstoff-Infrastruktur gibt es bereits in Deutschland?

Eine bereits genutzte Möglichkeit für den Transport von H2 ist es, ihn dem Erdgas beizumischen und so ins bestehende Gasnetz einzuspeisen. Derzeit sind in Deutschland bis zu 10 % vol im Erdgas erlaubt. Für ein funktionierendes Zukunftssystem mit grünem Wasserstoff wird es jedoch eigene, dezidierte H2-Leitungen in ganz Deutschland benötigen. Und diese gibt es in kleinem Umfang bereits: Während der Transport zu den wenigen Wasserstofftankstellen vor allem per Lkw läuft, hat die Industrie, dort wo der Bedarf besonders hoch ist, längst eigene Wasserstoff-Pipelines aufgebaut. In Deutschland gibt es so zwei größere regionale H2-Netze, welche die Erzeuger und große Verbraucher wie Chemieunternehmen verbinden.

Luftansicht Chemiepark Marl
Die größte bestehende Wasserstoffleitung in Deutschland verbindet den Chemiepark Marl mit anderen großen Standorten im Ruhrgebiet. (Bild: Evonik)

Die längste dezidierte Wasserstoff-Pipeline in Deutschland betreibt der Industriegase-Konzern Air Liquide im Ruhrgebiet. Das Netz erstreckt sich vom Ausgangspunkt am Standort des Unternehmens im Chemiepark Marl nach Castrop-Rauxel und Leverkusen auf einer Länge von insgesamt 240 km. Auch im sogenannten Mitteldeutschen Chemiedreieck um die großen Standorte Bitterfeld, Schkopau und Leuna gibt es mit 3,6 Mrd. m³/a einen besonders hohen Bedarf an H2 und daher seit Jahrzehnten ein eigenes Netz. Die ebenfalls von einem der Industriegase-Größen – hier ist es Linde – betriebenen H2-Pipelines in der Region haben eine Gesamtlänge von 150 km. Eine dritte Wasserstoffleitung in Deutschland gibt es in Schleswig-Holstein auf 30 km von der Raffinerie in Heide zum Chemcoast Park in Brunsbüttel.

Kernnetz und Co.: Welche aktuellen Pläne gibt es?

Bei den bestehenden Netzen handelt es sich also um regional begrenzte Netze, die nur für einen kleinen Kreis von Industrieunternehmen zugänglich ist. Das Ziel der Bundesregierung und der großen Gasnetzbetreiber ist jedoch ein deutschlandweites, öffentliches Wasserstoffnetz. "Öffentlich" bedeutet dabei hier, dass der Zugang etwa für jedes Unternehmen, das Wasserstoff erzeugt und einspeist, und für jeden Abnehmer diskriminierungsfrei zu gleichen Entgelten möglich ist – analog zum heutigen Erdgasnetz.

Einen Vorschlag, wie eine solche überregionale Infrastruktur aussehen könnte, hatten 2020 die Gas-Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) mit einem „visionären Wasserstoffnetz" mit einer geplanten Gesamtlänge von etwa 5.900 km gemacht. Inzwischen wurden die Pläne in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auf ein sogenanntes "Wasserstoff-Kernnetz" konkretisiert und ausgebaut, das die erste Stufe der zukünftigen Wasserstoffinfrastruktur bilden soll. Die Grundlage dafür hat die Ampel-Koalition im Mai 2023 mit dem Entwurf einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes auf den Weg gebracht. Diese soll den regulatorischen, kartellrechtlichen und netzplanerischen Rahmen für ein Wasserstoff-Netz setzen. Der Gesetzesentwurf befindet sich derzeit im parlamentarischen Verfahren, das bis zum Herbst abgeschlossen sein soll.

Am 14. November 2023 haben die FNB und das Wirtschaftsministerium einen neuen Planungsstand für ein "optimiertes" Wasserstoff-Kernnetz vorgelegt. Die darin geplanten Leitungen haben eine Länge von rund 9.700 km, und damit rund 1.500 km weniger als nach den ersten Planungen im Juli.  Das optimierte Netz soll dabei zu rund 60 % aus umgestellten Erdgas-Leitungen und rund 40 % aus Neubauleitungen bestehen. Die FNB gehen für das Kernnetz von Kosten von knapp 19,8 Mrd. Euro aus. Diese wird die Bundesregierung zunächst vorstrecken, bis spätestens 2055 sollen die Kosten aber durch Netzentgelte wieder eingenommen sein. Bereits 2025 soll der erste Wasserstoff durch das Kernnetz fließen. "Wir wissen, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Die Bagger müssen nächstes Jahr rollen", erklärte FNB-Chef Thomas Gößmann bei der Vorstellung der optimierten Pläne im November 2023.

Karte des optimierten Wasserstoff-Kernnetzes der FNB Gas
Das geplante Wasserstoff-Kernnetz hat eine Länge von rund 9.700 km – mehr als die Hälfte sollen umgestellte Erdgas-Leitungen sein. (Bild: FNB Gas / BMWK)

Das Netz soll vor allem große Industriezentren, Speicher, Kraftwerke und Importkorridore erreichen, die gesamte Einspeiseleistungen für Wasserstoff durch das Netz sollen in Summe 101 GW betragen. Im dem ersten Szenario wurden laut FNB insgesamt 309 Wasserstoffprojekte berücksichtigt – laut Bundeswirtschaftsministerium die "wesentlichen Infrastrukturen", die bis 2032 in Betrieb gehen sollen.

Bis 28. Juli 2023 konnten sich interessierte Unternehmen und Verbände noch bei den Netzbetreibern melden. Auch danach ist das Netz aber nicht "gesetzt". Das Kernnetz bilde nur den "Startschuss und nicht die endgültige Ausbaustufe der Wasserstoffnetzinfrastruktur in Deutschland", betont das Wirtschaftsministerium. In der zweiten Stufe der Wasserstoffnetzplanung solle dann ein überregionales „flächenversorgendes“ Wasserstoffnetz folgen. In diesem Rahmen soll ab 2025 dann alle zwei Jahre regelmäßig ein integrierter Netzentwicklungsplan (NEP) für Erdgas und Wasserstoff entwickelt und aktualisiert werden. Dabei sollen dann auch weitere Projekte, Unternehmen und Sektoren Berücksichtigung finden, "die in dem mit dem Kernnetz gemachten ersten Schritt noch nicht dabei sind bzw. die Kriterien nicht erfüllen".

In welchen Regionen startet das Wasserstoff-Netz?

Der Startschuss für ein bundesweites Netz könnte im Nordwesten Deutschlands fallen. Bis 2030 könnte in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen das „H2-Startnetz 2030“ mit einer Länge von 1.200 km entstehen. Die Voraussetzungen sind besonders günstig, da dort derzeit ohnehin die Leitungen für Erdgas mit niedrigem Brennwert – sogenanntes L-Gas – abgeschaltet beziehungsweise umgestellt werden. Dem Startplan liegen laut FNB darüber hinaus bereits 31 konkrete Wasserstoffprojekte in der Region zugrunde, darunter Projekte großer industrieller Abnehmer sowie Projekte an Raffineriestandorten.

Eine erste konkrete Umsetzung des H2-Startnetzes soll das Projekt Get H2 Nukleus bringen: Die Unternehmen BP, Evonik, Nowega, OGE und RWE Generation wollen zwischen Lingen und Gelsenkirchen gemeinsam die erste öffentlich zugängliche Wasserstoff-Infrastruktur aufbauen. Geplant sind Leitungen auf einer Länge von 130 km. Davon sind 118 km umgebaute Leitungen des Gas-Fernleitungsnetzes. Die weiteren 12 km sind ein Teilneubau von Evonik, der den Chemiepark Marl mit der BP-Raffinerie in Gelsenkirchen-Scholven verbinden soll. Weitere Startprojekte zum Aufbau einer größeren Wasserstoff-Infrastruktur gibt es außerdem mit dem Reallabor "Westküste 100" in Schleswig-Holstein und dem Hypos-Projekt in Mitteldeutschland. Über weitere wichtige Wasserstoff-Vorhaben lesen Sie und unserem Projekt-Artikel mit interaktiver Karte.

Video: H2-Infrastruktur für NRW und Niedersachsen

Wie könnte ein europäisches Wasserstoff-Netz aussehen?

Ähnlich wie für Deutschland gibt es auch für Europa bereits Pläne für ein flächendeckendes Wasserstoff-Netz. So haben sich für den sogenannten "European Hydrogen Backbone" insgesamt 31 Infrastrukturbetreiber aus 29 Ländern zusammengetan, um die Vision einer europaweiten Transportinfrastruktur zu realisieren. Zuletzt traten auch die Betreiber Amber Grid aus Litauen, Bulgartransgaz aus Bulgarien, Conexus Baltic Grid aus Lettland, Gassco aus Norwegen, Plinacro aus Koratien, REN aus Portugal sowie Fluxswiss aus der Schweiz sowie Transgaz aus Rumänien bei. Für Deutschland sind die Gasnetzbetrieber Ontrans, OGE und Gascade dabei.

Die europäische Initiative zielt auf die Errichtung eines Wasserstoffnetzes in ganz Europa ab. Bis 2030 rechnet man nach dem aktuellen Ausbau-Stand vom Juli 2023 mit einer Pipeline-Länge von 32.600 km, davon knapp die Hälfte aus umgestellten Erdgas-Leitungen. Bis 2040 soll das Netz auf eine Länge von 57.600 km steigen, dann sogar mit knapp 60 % aus Leitungs-Umwidmungen. Auch danach soll das Netz weiter ausgebaut werden können.

Karte European Hydrogen Backbone 2040
So soll das europäische Wasserstoff-Netz in seinem Ausbaustatus 2040 aussehen. (Bild: European Hydrogen Backbone)

Die neue, dezidierten Wasserstoff-Leitungen sollen vor allem künftige Wasserstoffabnehmer in Ländern mit derzeit kleinen Gasnetzen, aber voraussichtlich hohem Wasserstoffbedarf und -angebot anschließen – wie etwa in Skandinavien. Als Gesamtinvestitionen rechnet das Konsortium bis 2040 mit Kosten von ca. 80 bis 143 Mrd. Euro. Der Bericht davon aus, dass ein Großteil der heutigen Erdgas- und künftigen H2-Infrastruktur Leitungen mit einem Durchmesser von unter 48 Zoll umfassen wird. Soclhe kleinere Leitungen lassen sich kostengünstiger auf Wasserstoff umstellen, führen aber zu etwas höheren Transportkosten pro Kilometer. Ein Transport von 1 kg Wasserstoff über 1.000 km würde damit im Durchschnitt 0,11 bis 0,21 Euro kosten, für reine Unterseeleitungen rechnet man mit Kosten von 0,17 bis 0,32 Euro.

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