- Die Termin- und Spotmarktpreise für Erdgas haben sich 2021 vervielfacht.
- Ein wesentlicher Grund ist das mangelnde Angebot von Gazprom im Spotmarkt.
- Langfristig ist mit einem weiter steigenden Gaspreis zu rechnen.
Diese Randnotiz hat Sprengkraft: Am 18. Dezember 2021 vermeldete das Handelsblatt, dass der Energiekonzern RWE für das Frühjahr 2022 vor möglichen Kraftwerksausfällen warnt. Der Grund: hohe Gaspreise und Lieferschwierigkeiten. So hat sich der Preis für Erdgas-Futures an der virtuellen Handelsbörse TTF zwischen Januar 2021 und Januar 2022 mehr als vervierfacht. Im Dezember kostete eine Einheit sogar das Zehnfache des Preises vom Januar 2021.
Neben der Energiewirtschaft sind die steigenden Gaspeise auch für energieintensive Industrien inzwischen ein wachsendes und existenzielles Problem: Die Schmelze Aluminium Dunkerque kündigte im Dezember an, die Produktion zu kürzen, beim Wettbewerber Aluminium Delfzijl (Aldel) ruht die Produktion seit Oktober. Beim deutschen Aluminiumhersteller Trimet will man kurzfristig die gedrosselte Produktion sogar zum Geschäftsmodell machen: Weil das Unternehmen Strom langfristig zu günstigen Konditionen eingekauft hat, drosselt Trimet die Al-Produktion um 30 % und verkauft den eingesparten Strom gewinnbringend weiter. Schätzungen zufolge fallen inzwischen 650 bis 730.000 Tonnen Aluminium-Produktionskapazität in Europa aus – in Summe rund 16 %.
Ammoniak-Produktion gedrosselt
Auch die Chemie ächzt unter hohen Energie- und Gaspreisen: Weil Erdgas die Hauptkomponente für die margenschwache Commodity Ammoniak ist, haben große Düngemittelproduzenten wie die BASF und SKW Piesteritz ihre Produktion aufgrund gestiegener Gaspreise zurückgefahren. Der norwegische Chemiekonzern Yara, weltweit die Nummer 2 in der Düngemittelproduktion, hat die Produktion im Herbst um 40 % gedrosselt, die amerikanische CF Industries in Großbritannien zwei Anlagen geschlossen. Die Folge: steigende Preise für die Landwirtschaft und die Befürchtung von sinkenden Ernteerträgen in 2022. Doch was ist der Grund für die stark gestiegenen Preise? Die Ursachen sind vielfältig: Gas ist in Europa knapp, die Nachfrage infolge der Konjunkturerholung weltweit groß. Und die Situation könnte sich in Zukunft weiter verschärfen: Denn neben einer starken Konjunktur in Asien stellen mehr und mehr Schwellenländer ihre Wirtschaft auf Erdgas um – vor allem Indien und Indonesien treiben den Bedarfszuwachs. Auch in Europa steigt die Nachfrage: einerseits aufgrund der wieder erstarkten Konjunktur, andererseits aufgrund der Energietransformation, in der Erdgas eine Schlüsselrolle als Brückentechnololgie spielt.
Spotmarkt ist unterversorgt
Verschärft wird die Situation aber auch dadurch, dass zuletzt deutlich weniger in die Erschließung neuer Gasfelder investiert worden ist. Außerdem spielt das Marktdesign eine wichtige Rolle: Gas wird einerseits am Terminmarkt und andererseits am Spotmarkt gehandelt. Versorger und Großindustrie decken ihren Grundbedarf überwiegend am Terminmarkt mit langfristigen Verträgen. Bedarfslücken und -spitzen werden dagegen am Spotmarkt eingekauft – und Letzterer verzeichnete zuletzt besonders dramatische Preissprünge. Doch auch am Terminmarkt haben sich die Gaspreise inzwischen mehr als verdoppelt. Warum das so ist, hat mit dem größten Lieferanten zu tun: dem Energiekonzern Gazprom, der zu 50 % dem russischen Staat gehört. Zuletzt war dieser aufgrund der gestiegenen Preise in die Kritik geraten. Zu Recht?
Zunächst ist festzuhalten, dass Gazprom seine langfristig vereinbarten Liefermengen einhält. Allerdings verkauft das Unternehmen inzwischen deutlich weniger als in den Vorjahren zusätzlich über den Spotmarkt. 2021 hat Russland Schätzungen zufolge 20 % weniger Erdgas nach Deutschland geliefert als im Jahr 2019. Im Herbst hatte der russische Präsident Wladimir Putin Gazprom medienwirksam angewiesen, mehr Erdgas nach Europa zu liefern. Tatsächlich passierte das Gegenteil, wie die Daten des deutschen Netzbetreibers Gascade zeigen. Deutlich wird das durch einen Blick auf die Import- und Exportzahlen, die Gascade über die Webseite https://tron.gascade.biz bereitstellt. Im brandenburgischen Mallnow kommt sibirisches Erdgas aus der Jamal-Pipeline an. Seit 1. Dezember fließt das russische Erdgas allerdings nicht mehr nach Westen, sondern zu Abnehmern in Osteuropa. Waren im November noch stündlich 13,5 Mio. Kilowattstunden Erdgas nach Deutschland geleitet worden, flossen am 20. Januar 2022 beispielsweise 10 Mio. kWh/h ostwärts.
Zufall oder Absicht? Obwohl die russische Regierung einen Zusammenhang abstreitet, ist es wahrscheinlich, dass sowohl der Konflikt um die fertige, aber noch nicht genehmigte Gas-Pipeline Nord Stream 2 und auch der drohende bewaffnete Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine Rolle spielen. Die Entscheidung über die endgültige Zulassung von Nord Stream 2 soll erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 fallen – ob dies geschieht, darüber gibt es sowohl in Brüssel als auch in der neuen Bundesregierung noch keine Einigung.
Versorgung per Tankschiff als Alternative?
Mit Blick auf einen drohenden Krieg hatte zuletzt die amerikanische Regierung eine Versorgung Europas mit verflüssigtem Erdgas (LNG) per Tankschiff ins Gespräch gebracht. Schon heute sorgen LNG-Tanker für eine steigende Flexibilität im Gasmarkt: Zuletzt waren bereits Tankschiffe mit dem Ziel Asien nach Europa umgeleitet worden, weil die hohen Preise hierzulande für die Lieferanten lukrativer waren. Aber eine weitgehende Versorgung Europas per LNG-Tanker ist logistisch und wirtschaftlich kaum machbar, denn die europäische Gasversorgung ist zu einem Drittel von russischen Lieferungen abhängig. Dazu kommt, dass Russland auch in der Vergangenheit ein zuverlässiger Lieferant für Europa war. Denn die gegenseitige Abhängigkeit ist groß: Obwohl man sich über neue Pipelines auch neue Kunden in der Türkei und in China erschlossen hat, dürfte eine Abkehr Europas von russischer Gasversorgung nicht im Sinne von Gazprom sein. Denn Europa nimmt nach wie vor rund 80 % der Exporte des Energiekonzerns ab.
Auf der anderen Seite ist die Erdgasförderung in den Niederlanden und anderen europäischen Ländern rückläufig. Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung und der Abschaltung von Kernkraftwerken in Deutschland steigt zudem die Abhängigkeit vom Erdgas – und Pipelinegas aus Russland kostet nur einen Bruchteil des per Schiff angelieferten LNG.
CO2-Preis sorgt für weiteren Auftrieb
Doch nicht nur die steigenden Beschaffunskosten treiben den Gaspreis nach oben. Auch Steuern und Abgaben sowie Netzentgelte sorgen langfristig für höhere Preise. Zu den jüngsten Entwicklungen gehört vor allem der CO2-Preis. Dieser wird für den Ausstoß von Treibhausgasen bei der Wärmegewinnung erhoben und soll dazu beitragen, dass sich Investitionen in CO2-arme Energiequellen schneller rechnen. Der Preis für eine Tonne CO2-Emissionen wurde erstmals 2021 auf 25 Euro festgelegt, 2022 wird die Abgabe auf 30 Euro/t angehoben. Bis 2025 soll der Preis auf 55 Euro/t steigen. Ab 2026 sollen dann CO2-Zertifikate gehandelt werden, deren Preis ab 2027 von Angebot und Nachfrage abhängen soll.
Fazit: Die Industrie in Deutschland und Europa muss sich aufgrund der aktuellen Entwicklungen und langfristigen Projektionen auf weiter steigende Gaspreise einstellen. Temporäre Übertreibungen am Spotmarkt bleiben angesichts der Spannungen mit Russland wahrscheinlich. Im Falle einer deutlichen Unterversorgung und leerer Gasspeicher droht zuerst der Industrie ein Versorgungsengpass.
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