Wecker

Das gesteckte EU-weite Klimaziel gilt es in den nächsten acht Jahren zu erreichen, die Zeit läuft also. (Bild: More - AdobeStock)

  • Die EU-Kommission hat 2021 bekannt gegeben, bis 2030 55 % der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einsparen zu wollen.
  • Die meisten Chemiekonzerne haben sich schon vor der Verkündung der EU-Kommission ehrgeizige Klimaziele gesteckt.
  • Viele Unternehmen konnten bereits Meilensteine erreichen, aber es braucht weitere Unterstützung durch die Politik.

Die EU-Staaten und das Europaparlament haben 2021 über grundlegende Änderungen an den Klimazielen der EU abgestimmt. Demnach sollen die Treibhausgase bis 2030, im Vergleich zu 1990, nicht mehr nur um 40 %, sondern um 55 % gesenkt werden. Außerdem ist in dem neuen Beschluss verbindlich verankert, dass die EU bis 2050 klimaneutral werden will.

Das bedeutet für die produzierende Industrie im Allgemeinen und für die chemische Industrie als Zulieferer für viele andere Branchen im Besonderen, dass nicht nur umgedacht, sondern auch aktiv daran gearbeitet werden muss, diese Ziele umzusetzen. Praktischerweise haben viele der größten Unternehmen in der Chemieindustrie bereits Schritte unternommen, bevor die Politik ihre Vorgaben konkretisiert hat – was bisher auch noch nicht bedeutet, dass diese Vorgaben im nationalen Gesetz umgesetzt worden sind.

Unternehmen wie Bayer, BASF oder Evonik haben schon seit mehreren Jahren vorausschauender Weise ihre eigenen Klimaziele gesteckt und diese verfolgt, da sie bei etwaigen Klima-Sanktionen natürlich auch die ersten wären, die zahlen müssten.

Von A wie Abfallaufkommen bis Z wie Zertifikat

Bayer hat sich als klimaneutrales Zieljahr 2050 gesetzt und will die absoluten Emissionen bis 2030 bereits um 42 % gegenüber 2019 reduzieren. Außerdem hat sich das Chemie- und Pharmaunternehmen vorgenommen, bis zur Etappe 2030 100 % des eingekauften Stroms aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, seine eigenen Standorte klimaneutral zu gestalten und in der Lieferkette und bei Anwendern den CO2-Ausstoß bis 2029 um 12,3 % (Basis 2019) zu reduzieren.

Als konkrete Maßnahmen gibt Bayer an, 500 Mio. Euro in Energieeffizienz-Maßnahmen investieren zu wollen. Die bis 2030 verbleibenden Emissionen will der Konzern ausgleichen, indem er Zertifikate für Klimaschutzprojekte wie den Waldschutz erwirbt. Seit 2021 werden außerdem 20 % der langfristigen Vergütung (LTI) des Vorstands und der Führungskräfte mit den Nachhaltigkeitszielen des Konzerns verknüpft.

Auch die BASF hat sich solche Rahmenbedingungen gesetzt. Das klimaneutrale Zieljahr wurde ebenfalls für 2050 definiert und die erste Etappe 2030. Auch der Konzern aus Ludwigshafen will bis 2030 alle fossilen Energieträger durch Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzen und bis dahin, im Vergleich zu 2018, weltweit 25 % weniger Treibhausgase emittieren.

Die Bauarbeiten am Offshore-Windpark von BASF und Vattenfall gehen voran
Die Bauarbeiten am Offshore-Windpark von BASF und Vattenfall gehen voran. (Bild: Flying Focus BV)

Ein vielversprechender Schritt könnte eine neue Technologie sein, die sich aktuell noch in der Entwicklung befindet: ein elektrisch betriebener Steamcracker. Ebenfalls mittels Strom will das Unternehmen Dampf erzeugen, um CO2 einzusparen. An einem entsprechenden Ansatz arbeitet der Konzern mit Siemens Energy. Eine andere Maßnahme ist die CO2-freie Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas durch Methanpyrolyse.

In weiteren Projekten prüft das Unternehmen unter anderem ebenfalls mit Siemens Energy die Möglichkeit, einen PEM-Wasser-Elektrolyseur (Proton Exchange Membrane) für grünen Wasserstoff zu bauen und in Antwerpen will sich der Chemiekonzern daran beteiligen, CO2 unter der Nordsee zu speichern. 2021 erwarb der Chemiekonzern zudem einen Anteil am Windpark Hollandse Kust Zuid von Vattenfall. Sobald dieser vollständig in Betrieb ist, wird er mit einer installierten Gesamtleistung von 1,5 GW der größte Offshore-Windpark der Welt sein.

Lanxess hat sogar noch ambitioniertere Ziele als der ehemalige Mutterkonzern Bayer. Das Spezialchemie-Unternehmen will die Netto-Null schon 2040 erreichen. Das Unternehmen aus Köln berichtete bereits 2018, seine Treibhausgas-Emissionen seit der Gründung im Jahr 2004 um 50 % gesenkt zu haben. Bis 2030 plant das Unternehmen daher, den Ausstoß von Treibhausgasen ein weiteres Mal zu halbieren und auf rund 1,6 Mio. t CO2-Äquivalente zu reduzieren.

Eine konkrete Maßnahme ist zum einen die Neutralisation von stark klimawirksamen Lachgas-Emissionen (N2O) in die beiden Elemente Stickstoff und Sauerstoff. Die dabei entstehende Wärme soll für andere Produktionsprozesse genutzt werden. Zum anderen will das Unternehmen ab 2024 den Kohleausstieg an seinen indischen Standorten durchführen und den fossilen Energieträger durch Biomasse und Solarenergie ersetzen. Durch diese Projekte und weitere Maßnahmen rechnet der Konzern 2025 mit einem Ausstoß von 2,6 Mio. t CO2-Äquivalenten.

Auch Merck hat sich das Jahr 2040 als Ziel für einen klimaneutralen Betrieb gesetzt sowie 2030 als Etappenziel. Bis in acht Jahren will der Chemie- und Pharmakonzern seine Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 2020 um 50 % senken und bis zu 80 % Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Weiterhin ist geplant, im Rahmen der CO2-Einsparung bis 2023 90 % der Healthcare-Produkte mit dem Schiff anstelle des Flugzeugs zu transportieren. Als Erfolge gibt der Konzern für 2020 unter anderem an, seit 2006 25 % der Treibhausgas-Emissionen eingespart und 231 kT seines Abfalls (entspricht 69 % des Abfallaufkommens) recycelt zu haben.

CT-Fokusthema Wasserstoff

(Bild: Corona Borealis – stock.adobe.com)

In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.

 

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Meilensteine: Für eine Klimawende auf den letzten Metern

Der Spezialchemie-Konzern Evonik hat sich das Ziel gesetzt, die direkten (Scope 1) und indirekten Treibhausgasemissionen (Scope 2) der eigenen Produktions- und Verarbeitungsprozesse bis 2030 von aktuell 6,5 Mio. t auf 4,9 Mio. t zu senken. Gleichzeitig baut das Unternehmen Produkte mit hohem Nachhaltigkeitsnutzen, sogenannte Next Generation Solutions, aus – bis 2030 will es mehr als 3 Mrd. Euro in diese Produkte investieren.

Auch der Kunststoffhersteller Covestro hat sich 2022 detailliert zu seinen Klimazielen geäußert. Das Unternehmen gibt an, 2021 bereits 54 % seiner spezifischen Treibhausgas-Emissionen gegenüber 2005 eingespart zu haben. Der Hersteller verfolgt von den hier vorgestellten Unternehmen das vermutlich ambitionierteste Ziel: bis 2035 klimaneutral zu werden und die Netto-Null-Emissionen für Scope 1 und 2 zu erreichen. Der für 2030 angesetzte Meilenstein sieht vor, die Treibhausgas-Emissionen aus eigener Produktion (Scope 1) sowie externen Energiequellen (Scope 2) bis 2030 um 60 % auf 2,2 Mio. t zu senken. Das Ausgangsjahr ist 2020 mit einem Emissionswert von 5,6 Mio. t.

Anfang 2024 gab der Hersteller dann bekannt, die Klimaneutralität der Scope-3-Emissionen bis 2050 erreichen zu wollen. Nach eigener Aussage machen diese Emissionen etwa 80 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen des Unternehmens aus. Den höchsten Anteil an den Scope-3-Emissionen verursachen die gekauften Rohstoffe. Damit der Hersteller bis 2050 klimaneutral sein kann, muss er seine gesamte Wertschöpfungskette neu denken, da sich verschiedene Faktoren wechselseitig beeinflussen. Unter anderem spielen die Verfügbarkeit alternativer Rohstoffe, erneuerbare Energien, technologische Fortschritte, neue Verfahren und die Transformation von Kundenmärkten eine Rolle. Geplant sind Investitionen im mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich.

Die bereits erreichten Meilensteine der Chemieunternehmen in Bezug auf den CO2-Ausstoß machen Mut, dass die Klimawende doch noch auf den letzten Metern funktionieren könnte. Dafür braucht es aber mehr als einzelne Unternehmen. Denn damit diese ihre Wettbewerbsfähigkeit im globalen Vergleich nicht verlieren, muss die Politik sie unterstützen: durch gezielte Projektförderungen oder auch bezahlbare erneuerbare Energien. Um mit den Worten von VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup zu schließen: „Sonst droht statt einer klimaneutralen europäischen Industrie ein klimaneutrales Europa ohne Industrie.“

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