Das Ziel, Ventil- und Sensortechnik in einem Gerät zu vereinen, ist es, was den Armaturenhersteller Samson und den Messtechnik-Spezialisten Krohne zusammengebracht hat. 2019 haben die beiden Unternehmen das Joint-Venture Focus-On der Öffentlichkeit vorgestellt. Das erste konkrete Ergebnis der Kooperation war im Jahr darauf der Focus-1 – ein Gerät, das die beiden Partner als „intelligenten Prozessknoten“ bezeichnen.
Was in diesem Knoten zusammenkommt, sind im Wesentlichen drei Funktionen: Sensorik, Aktorik und Regelung: Das Modul misst den Durchfluss in einer Rohrleitung und regelt seine Ventilfunktion eigenständig entsprechend der vorgegebenen Sollwerte. Und diese lassen sich, so verspricht der Hersteller, mit dem Gerät schneller erreichen als im klassischen Aufbau, die Regelabweichungen fallen geringer aus.
Die Kombination von Ventil- und Messtechnik macht es außerdem möglich, die Komplexität von Installationen und Anlagen deutlich zu verringern – so lassen sich etwa Flansche und Verkabelungen einsparen. Auch die Installation wird einfacher: Statt mehrerer Komponenten muss nur eine projektiert, installiert und in Betrieb genommen werden.
Integriert sind im Gerät Messsensoriken für Durchfluss, Temperatur und Druck. Dies ermöglicht verschiedene Anwendungen wie die Verhältnisregelung der Produktzufuhr, die Füllstandregelung bei der Lagerung von Flüssigkeiten oder aber auch die Temperaturregelung. Alle Sensoren im Gerät sind dabei „digital redundant“ ausgelegt. Ein digitaler Zwilling kann eine Sensorabweichung innerhalb von Millisekunden erkennen und ersetzen. Auch dies trägt zu einer hohen Anlagenverfügbarkeit bei.
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Interview mit André Boer, Geschäftsführer von Focus-On
CT: Wie ist die Idee für Focus-1 entstanden? Wie kamen Samson und Krohne hier zusammen?
André Boer: Das ist ziemlich bemerkenswert, denn was haben ein Hersteller von Messinstrumenten und ein Hersteller von Regelventilen gemeinsam? Hier kommt es aber nicht auf die Gemeinsamkeiten an, sondern vielmehr auf die Bereiche, in denen sie sich ergänzen. Das hatten CEOs der beiden Unternehmen erkannt, und schnell war die Idee geboren, Sensortechnologie in ein Regelventil zu integrieren. Und dabei wollten sie es nicht belassen, und so wurde Intelligenz in Form eines leistungsstarken Mikroprozessors integriert, der neben umfangreichen Diagnosefunktionen auch die Möglichkeit bietet, lokale und autonome Prozesssteuerung durchzuführen.
CT: Sensoren und Armaturen arbeiten bereits in vielen Prozessen Hand in Hand. Trotzdem stößt die Idee, beides gleich in einem Gerät zu verbinden, bei Ingenieuren häufig auf Skepsis. Warum ist das so?
Boer: Ich bin seit fast 40 Jahren in der Mess- und Regeltechnikbranche tätig und habe irgendwann festgestellt, dass es sich um einen sehr konservativen Markt handelt – und das zu Recht. Bevor Innovationen, wie gut sie auch sein mögen, in der Praxis in großem Umfang eingesetzt werden, müssen sie lange Zeit im Labor und in Praxistests erprobt werden. Kurz gesagt, die Akzeptanz und Integration von Innovationen in der Prozessindustrie ist ein langfristiger Prozess und umfasst viele Schritte. Wir sind mit Focus-1 auf einem guten Weg und es gibt eine deutlich wachsende Zahl von Kunden, die das Produkt annehmen.
CT: Was passiert, wenn ein Sensor kaputt geht?
Boer: Es ist naheliegend, anzunehmen, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit hoch ist, wenn viele Komponenten integriert sind. In der Theorie ist diese Annahme korrekt, aber sie trifft auf Focus-1 nicht zu, denn hier wurden Standardkomponenten verwendet, die sich bei Krohne und Samson über lange Zeit in der Praxis bewährt haben. Dies reduziert das Ausfallrisiko erheblich. Sollte dennoch ein Sensor ausfallen, übernimmt das eingebaute digitale Zwillingssystem seine Funktion. Der digitale Zwilling ist ein Algorithmus, der ständig im Hintergrund im Mikroprozessor aktiv ist und alle Messwerte miteinander kombiniert und validiert. Wenn also ein Messwert ausfällt oder nicht korrekt ist, wird dies vom Algorithmus des digitalen Zwillings erkannt und korrigiert. So entsteht ein sehr robustes Gesamtsystem. Focus-1 besteht eigentlich aus zwei Instrumenten, einem physisch greifbaren Gerät und einer digitalen Komponente, die sich ständig überwachen und ergänzen.
CT: Worin liegt hier die technische Herausforderung – konkret, einen Durchflussmesser und eine Regelarmatur zu kombinieren?
Boer: Wenn man sich die Spezifikationen eines Ultraschall-Durchflussmessers ansieht, fällt auf, dass immer Anforderungen an die Einbauumgebung gestellt werden. Es muss immer eine gewisse gerade Länge stromaufwärts vom Durchflussmesser vorhanden sein. Diese Anforderung ergibt sich daraus, dass ein Ultraschall-Durchflussmesser ein gutes, symmetrisches Strömungsprofil benötigt, um genau messen zu können. Das Strömungsprofil in einem Regelventil ist weit entfernt von symmetrisch, und hier liegt die Herausforderung. Während der Entwicklung konzentrierte sich das Team auf die Bildung eines möglichst guten Strömungsprofils im Regelventil in Kombination mit der Anordnung der Messpfade des Ultraschall-Durchflussmessers. Nach Millionen Berechnungen und Simulationen wurde das Optimum gefunden, mit dem Ergebnis einer Messgenauigkeit, die der eines konventionellen Ultraschall-Durchflussmessers in nichts nachsteht.
CT: Was sind typische Anwendungen, in denen Focus-1 seinen Mehrwert ausspielen kann?
Boer: Die erste Anwendung von Focus-1 sahen wir vor allem bei den Anlagenbauern. Dank der kompakten Abmessungen und der einfachen Installation – sowohl mechanisch als auch elektrisch – eröffnete Focus-1 neue Möglichkeiten und Einsparungen. Die Tatsache, dass unser Gerät autonom steuern kann – Durchfluss-, Druck- und Niveauregelung –, führt auch zu einer viel einfacheren Steuerarchitektur der Gesamtanlage. Dadurch werden wertvolle Ingenieur- und Inbetriebnahme-Stunden eingespart.
CT: Eignet sich die Lösung vor allem für neue „durchautomatisierte“ Anlagen oder auch für die Automatisierung von Brownfield-Anlagen? Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Boer: Auf den ersten Blick eignet sich das Gerät insbesondere für Greenfield-Anwendungen, also dort, wo man nicht lange nachdenken muss. Die kompakte und einfache Installation, die zusätzliche Funktionalität und die Kostenersparnis bieten so viele Vorteile gegenüber einer konventionellen Lösung, dass das für sich spricht. Bei Brownfield-Installationen ist dies oft schwieriger. Wenn ein Regelventil ersetzt werden muss, wird oft ein identisches Exemplar ausgewählt und weiter produziert. In einigen Fällen ist dies jedoch anders. Oft handelt es sich dabei um Anwendungen, bei denen man mit der Funktionsweise der Instrumentierung nicht vollständig zufrieden ist oder bei denen während des Betriebs zusätzliche Anforderungen entstanden sind. Hier sehen wir, dass Focus-1 oft eine Chance bekommt, sich zu bewähren.
Es geht dann zum Beispiel um die erweiterten Diagnosefunktionen des Geräts, um den Prozess besser zu überwachen, oder um seine viel schnellere und stabilere Prozesssteuerung. Ein Beispiel dafür ist ein Wasserkühlsystem, das regelmäßig verstopft ist und nicht mehr richtig funktioniert, und bei dem unsere Lösung anhand der Ventilposition sowie der Durchfluss- und Druckmessungen rechtzeitig warnen kann. Ein weiteres Beispiel ist ein Wasserstrahlkühlsystem, das sehr schnell geregelt werden muss, innerhalb von 0,5 s. Für eine konventionelle Regelung ist dies schwer zu erreichen. Für Focus-1 mit einer Totalregelung von zehnmal pro Sekunde ist dies möglich.
CT: Gibt es auch Anwendungsgebiete, die Sie vorher nicht im Blick hatten und die sie im Einsatz bei Kunden überrascht haben?
Boer: Manchmal kommen wir auch gemeinsam mit dem Kunden als Focus-On zu Lösungen, die wir vorher nicht vorgesehen hatten. Die Tatsache, dass so viele Daten in einem Instrument zusammenlaufen, kombiniert mit leistungsstarker Software, bietet viele neue Möglichkeiten. So gab es zum Beispiel einen Kunden, der die Konzentration einer Salzlösung durch Zugabe von Wasser konstant halten musste. Die konventionelle Lösung bestand aus Analysegeräten, einer Durchflussmessung, einem Regelventil und einem PLC mit der richtigen Software. Nach Gesprächen mit dem Kunden stellten wir fest, dass all dies durch ein Focus-1 ersetzt werden konnte. Durch die Kombination von Ultraschallwerten mit anderen Parametern im Gerät konnte die Salzkonzentration gemessen werden. Die Regelungsfunktion war bereits vorhanden, sodass mit einem Instrument die gesamte Anwendung abgedeckt werden konnte.
CT: Wie blicken Sie generell auf die Entwicklung, mehr „smarte“ Funktionen und Intelligenz direkt ins Feld zu bringen? Werden wir uns bald von dem typischen Prozessleitsystem verabschieden?
Boer: Es wird immer mehr über Intelligenz im Feld gesprochen, und dazu gibt es viel zu sagen. Große Prozessanlagen umfassen oft Tausende von Regelkreisen, die alle zentral von einem System aus gesteuert werden. Es ist zu einem komplexen System geworden, bei dem die Interaktion zwischen den Regelkreisen schwer abzuschätzen ist. Darüber hinaus erfordert es hochqualifizierte Spezialisten, um Fehler zu erkennen, Anpassungen vorzunehmen und Updates durchzuführen. Dezentrale Steuerung macht die Architektur viel einfacher. Die Prozesssteuerung erfolgt dort, wo sie benötigt wird, und kann dort, und nur dort, einfach angepasst und bei Bedarf aktualisiert werden. Auch können Prozesse bei dezentraler, autonomer Steuerung bei Ausfall eines zentralen Regelungssystems weiterlaufen. Denken Sie dabei zum Beispiel an kritische Kühlsysteme. Eine Architektur, die auf dezentralen, autonomen Regelungssystemen basiert, wird daher immer noch ein zentrales System benötigen. Dieses zentrale System wird jedoch viel einfacher aufgebaut sein, da viele (Regel-)Funktionen ins Feld verlagert wurden.
CT: Mit mehr Rechenpower entsteht auch die Möglichkeit für neue Funktionen. Welche neuen Entwicklungen planen Sie noch für die Zukunft?
Boer: Mit Focus-1 bringen wir viele Innovationen in die Prozessindustrie. Wir stehen jedoch erst am Anfang. Momentan ist es nur unsere Vorstellungskraft, die uns begrenzt, nicht die technischen Möglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass die Entwicklungsmöglichkeiten dank dieses neuen Konzepts groß sind.