
(Bild: Philip – stock.adobe.com)
- Wasserstoff soll einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung der europäischen Industrie leisten.
- Wenn es um konkrete Investitionen in Wasserstoffprojekte geht, fällt Europa aber hinter China und Nordamerika zurück.
- Industrie- und Wasserstoffverbände fordern nun klare Prioritäten von der EU-Kommission und den nationalen Regierungen.
In den letzten Jahren konnte man fast von einem Wasserstoff-Hype sprechen. Sauberer Wasserstoff soll, so die Vorstellung, so schnell wie möglich fossile Energieträger ersetzen – und zwar in quasi allen Bereichen: in Industrie, Mobilität, Energiewirtschaft und sogar beim Wohnen. Ablesbar ist der Hype an der Investitionspipeline: Zwischen 2020 und 2024 verzeichnen die „Hydrogen Insights“ der Unternehmensberatung McKinsey beim Wert der weltweit angekündigten Wasserstoffprojekte einen Anstieg von 90 auf 680 Mrd. US-Dollar – fast eine Verachtfachung.
Groß bei den Ankündigungen, schwach bei der Umsetzung
Bei den Ankündigungen ganz vorne dabei ist Europa: Über 600 der knapp 1.500 Wasserstoffprojekte, die McKinsey zählt, sollen in Europa umgesetzt werden. Die Investitionssumme von 200 Mrd. Dollar bedeutet Platz 1 unter den Weltregionen.
Schaut man sich aber nun die Projekte an, die auch wirklich umgesetzt werden sieht, das Bild ganz anders aus: Bei den Anlagen, die bereits im Bau oder in Betrieb sind beziehungsweise für die eine endgültige Invesitionsentscheidung (FID) vorliegt, liegt Europa deutlich hinter China und den USA, die mit 31 beziehungsweise 17 Mrd. Dollar mehr als 60 % der weltweiten „reifen“ Investitionen auf sich vereinen.
Prioritäten für den Wasserstoffhochlauf
Der Wille scheint da, an der Umsetzung hapert es noch. Damit der Wasserstoffhochlauf in Europa gelinge, brauche es „mehr als nur gute Absichten“, meint dann auch der Deutsche Wasserstoffrat. Gemeinsam mit den niederländischen und belgischen Pendants nimmt er vor allem die europäische Politik in die Pflicht. Die Räte rufen die politischen Entscheidungsträger „zu entschlossenem Handeln auf, um den europäischen Wasserstoffmarkt schnell und nachhaltig zu realisieren“.
Konkret formulieren die Wasserstoffräte in ihrem Aufruf die folgenden Prioritäten für die europäische Politik und insbesondere die Umsetzung des Clean Industrial Deals:
- Den Rechtsrahmen für sauberen Wasserstoff und seine Derivate verbessern und vereinfachen: Die Politik solle einen klaren, vereinfachten und harmonisierten Rechtsrahmen für sauberen Wasserstoff schaffen, der Investitionen sichere und den Binnenmarkt stärke. Dieser rechtliche Rahmen biete Flexibilität und erleichtere den Zugang zu den Märkten.
- Den Ausbau einer paneuropäischen Wasserstoffinfrastruktur priorisieren: Die europäischen Länder müssten gemeinsam eine effiziente, grenzüberschreitende Infrastruktur für die Produktion, Speicherung und den Transport von Wasserstoff entwickeln. Diese Infrastruktur stärke die europäische Wettbewerbsfähigkeit und verbinde Regionen mit hohem Wasserstoffpotenzial mit Industriestandorten, die auf sauberen Wasserstoff angewiesen sind.
- Maßgeschneiderte finanzielle Förderprogramme entwickeln unter Berücksichtigung geografischer und sektoraler Bedürfnisse: Die EU müsse europäische Fördermechanismen an die geografischen und sektoralen Bedürfnisse anpassen, um alle Produktionsarten von sauberem Wasserstoff zu berücksichtigen und den europäischen Markt zu stärken.
- Stabile Märkte für Wasserstoffprodukte schaffen: In Europa müsse eine verlässliche Nachfrage nach Wasserstoffprodukten wie grünem Stahl und Düngemitteln sichergestellt und stabile Wertschöpfungsketten geschaffen werden. Öffentliche Beschaffungsstrategien sollten den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien unterstützen und die industrielle Anwendung vorantreiben.
- Regionale Stärken nutzen, um globale Champions in Innovation und Technologie zu schaffen: Deutschland, Belgien und die Niederlande als „Herzstück der europäischen Wasserstoffwirtschaft“ sollten die Forschung und Entwicklung stärken und diese regionalen Stärken ausbauen, um Europa als globalen Technologieführer im Bereich Wasserstoff zu positionieren.
CT-Fokusthema Wasserstoff

In unserem Fokusthema informieren wir Sie zu allen Aspekten rund um das Trendthema Wasserstoff.
- Einen Überblick über die ausgewählten Artikel zu einzelnen Fragestellungen – von der Herstellung über den Transport bis zum Einsatz von Wasserstoff – finden Sie hier.
- Einen ersten Startpunkt ins Thema bildet unser Grundlagenartikel.
Auch große deutsche Verbände appellieren
Für eine Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg, um den Wasserstoffhochlauf in Europa endlich voranzubringen, plädierten zuletzt auch 13 große deutsche Industrieverbände. In einer ungewöhnlichen Eintracht forderten die Vertreter der Chemie- (VCI) und Automobilindustrie (VDA) sowie des Maschinen- und Anlagenbaus (VDMA) die Gründung einer europäischen „Wasserstoff-Allianz“.
Diese solle, so heißt es in dem offenen Brief an Friedrich Merz, „einen möglichst schnellen und ambitionierten Hochlauf aktiv vorantreiben wollen“. Denn die Zeit drängt: „Die nächste Legislaturperiode ist das entscheidende Zeitfenster, um dem Wasserstoffhochlauf in Europa neuen Schub zu geben.“ Auch den Verbänden scheint also klar: Andere Weltregionen werden nicht auf Europa warten.