Anlagenbau

Flexible Skids und Module stellen die Zukunft im Anlagenbau dar. Per MTP sollen sie einfach zu steuern und zu betreiben sein. (Bild: ZVEI/Namur/ProcessNet)

  • Erste Lösungen mit MTP-Standard für Modularisierung im Anlagenbau sind vorhanden und ermöglichen Anbietern wie Betreibern neue Möglichkeiten.
  • Software-Tools erleichtern Modulbauern das Implementieren des Standards. So entwickelte Module sind bereits MTP-ready, auch wenn diese Funktionalität erst zu einem späteren Zeitpunkt genutzt wird.
  • Als weitere Entwicklung fordern Experten unter anderem die Möglichkeit zur Integration auch in bestehende Leitsysteme.

Auf die praktische Umsetzung der Modul Type Packages (MTP) konnten sich Anwender und Automatisierer relativ rasch verständigen. Ihre Wiederverwendbarkeit und das einfache Engineering wird den Anlagenneu- und -umbau beschleunigen, da sind sich die Experten einig. Die nötige Standardisierung dauerte jedoch etwas länger, und mit der Umsetzung sind besagte Experten ein wenig im Verzug. Das meint jedenfalls Dr. Jens Bernshausen, Namur-Ansprechpartner für modularen Anlagenbau im Arbeitskreis „Plug & Produce“. Vor sieben Jahren, als die Idee eines Module Type Package zur Realisierung des modularen Anlagenbaus und Engineerings aufkam, war er überzeugt: „In fünf Jahren können wir ein MTP kaufen.“
Es dauerte doch länger, auch wenn das Thema damals schnell Fahrt aufnahm. Etliche Anbieter von Automatisierungstechnik, Hersteller von Skids oder Anlagenmodulen sowie verschiedene Meinungsmacher unter den Automatisierungsexperten der Chemie- und Pharmaindustrie zeigten sich angetan. Die Branchenverbände ZVEI und Namur waren rasch im Boot und begannen, die Idee des MTP als Grundlage für einfach zu automatisierende und zu integrierende Module zu konkretisieren.
Engineering-Managern wie Bernshausen und Kollegen war schnell klar, was nötig ist: eine Art Treiber, der die Modulfunktionalitäten kapselt und dazu beiträgt, dass sich die Modulautomatisierung leicht in übergeordnete Prozessleitsysteme einbinden lässt. „Ich dachte seinerzeit, dass es sich relativ einfach gestalten sollte, die Funktionen zu beschreiben“, blickt Bernshausen zurück. „Dass es so komplex wird, habe ich nicht vorausgesehen. Die Details, die wir in den Namur- und ZVEI-Arbeitskreisen und in der GMA (VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik) diskutieren mussten, um eine Vereinheitlichung der MTPs sicherzustellen, waren sehr umfangreich und kompliziert.“

Herstellerunabhängige Beschreibung der Funktionen

Dr. Jens Bernshausen, Namur-Arbeitskreis „Plug &  Produce“
„50 bis 70 Prozent der Engineering-Tätigkeiten werden von den derzeit festgelegten MTPs unterstützt.“, Dr. Jens Bernshausen, Namur-Arbeitskreis „Plug & Produce“

Sieben Jahre später ist es nun so weit. Auf der Process-Automation-Edition der Phoenix Contact Dialog Days im Juni 2021 vertrat Bernshausen den Standpunkt: „MTP ist nicht mehr zu stoppen.“ Er konnte sogar verkünden, dass schon die ersten Projekte umgesetzt wurden. Was dahintersteht, erwarten viele Unternehmen der Prozessindustrie dringend: Durch die modulare Automatisierung sollen Produktionsanlagen deutlich flexibler als bisher werden. Bei Bedarf sollen sie sich rasch umbauen lassen. Einzelne Module sollen auf einfache Weise und bei geringen Stillstandzeiten zugefügt oder zu neuen Anlagen zusammengestellt werden können. Zudem war die Erwartung, den Engineering-Aufwand erheblich zu senken, um bei den immer häufigeren Produktwechseln den Faktor Time-to-Market zu reduzieren.
Dies alles funktioniert jedoch nur, wenn nicht jeder Modulbauer seinen Anlagenteil nach eigenem Gusto automatisiert und mit den von ihm bevorzugten Schnittstellen ausstattet. MTPs bilden die Spezifikationen ab, auf die sich Anwender und Automatisierer verständigt haben. Das Module Type Package soll die Prozessmodulfunktionen herstellerunabhängig beschreiben. Dies konnte lediglich durch Standardisierung gelingen.

Dr. Christian Brehm, Global Product Manager Digital Solutions, Seepex
„MTP eröffnet den Modulbauern neue Geschäftsmodelle durch das Angebot von Dienstleistungen.“, Dr. Christian Brehm, Global Product Manager Digital Solutions, Seepex

Festgehalten wird der Standard in der Richtlinie VDI/VDE/Namur 2658, die inzwischen so weit verabschiedet ist, dass Modulbauer und Anlagenbetreiber Nägel mit Köpfen machen. Nicht nur die Engineering-Teams in der Prozessindustrie profitieren von MTPs. Auch die Modulhersteller, die die Transformation vom einfachen Maschinenbauer zum Lösungsanbieter gemeistert haben oder sich auf diesem Weg befinden, können durch Standardisierung treffsicher die Wünsche ihrer Kunden erfüllen. Für sie sind ebenfalls Lösungen entstanden, mit denen sie MTPs für ihre Anlagenmodule mit überschaubarem Aufwand generieren können.

Seepex zählt zu diesen Lösungsanbietern. Der Pumpenbauer mit Schwerpunkt Exzenterschneckenpumpen hat sich bereits lange der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit seinen Kunden verpflichtet – mit dem Ziel, Förderanlagen zu optimieren und die Produktivität zu steigern. Kürzlich vom Wirtschaftsmagazin Capital zum „Champion der digitalen Transformation“ gekürt, treibt der Anbieter unter anderem digitale Services und Analysemöglichkeiten zur Performance-Optimierung voran. Steuerungslösungen für Förderaufgaben als Modul, zum Beispiel für Dosieraufgaben oder die Förderung entwässerter Stoffe, gehören schon seit einiger Zeit zum Angebot.
Dr. Christian Brehm, als Global Product Manager bei Seepex für Digital Solutions verantwortlich, sah bereits vor einigen Jahren als nächsten logischen Schritt die „Weiterentwicklung unserer Aktivitäten im Bereich der Modularisierung mit MTP.“ Als Mitglied im ZVEI-Arbeitskreis Modulare Automation hat sich Brehm daher tatkräftig in den Standardisierungsprozess eingebracht. Er ist überzeugt: „MTP eröffnet den Modulbauern neue Geschäftsmodelle durch das Angebot von Dienstleistungen.“

Darstellung der Vorteile und der unterschiedlichen Facetten der Standardisierung
MTP – Darstellung der Vorteile und der unterschiedlichen Facetten der Standardisierung (Bild: ZVEI/Namur/ProcessNet)

Einfache Integration in die Prozessführung

Wilfried Grote, Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals, Phoenix Contact
„Im Rahmen unseres Leitbilds der All Electric Society arbeiten wir derzeit mit einigen Startups zusammen, die erste Pilotanlagen für Power-to-X entwickeln“, Wilfried Grote, Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals, Phoenix Contact

Das Engagement von Seepex mündete schon in einem marktfähigen Produkt: der ersten automatisierten Exzenterschneckenpumpe mit MTP. Sie lässt sich nicht nur automatisiert und energiesparend im Konti- und Batchbetrieb fahren; in Kombination mit einem Condition-Monitoring-System ist auch die Pumpen-Performance zu überwachen – und das sogar NOA-konform über einen Seiten-Kommunikationskanal. Kombiniert mit der erforderlichen Sensorik und Steuerungslogik wird die Exzenterschneckenpumpe zum Pumpenmodul Smart Dosing Pump (SDP). Die zugehörige MTP-Treibersoftware sorgt schließlich dafür, dass sich das Pumpenmodul einfach in die Prozessführungsebene einbinden lässt. Die Pumpe übernimmt jetzt Funktionen wie Dosieren oder Abfüllen über Dienste, anstelle einzelner Steuerungsschritte. Ferner stellt das MTP die HMI-Visualisierung zur Verfügung – in jedem Automatisierungssystem, das bereits MTP-fähig ist.

Claus Vothknecht, System Manager Process Industry, Phoenix Contact
„Mit dem MTP-Designer gelangt man per Mausklick vom R&I zum fertig automatisierten Modul.“, Claus Vothknecht, System Manager Process Industry, Phoenix Contact

Gerade die erleichterte Einbindung ist für Christian Brehm ein wichtiges Argument pro MTP. Insbesondere die Funktionsintegration in die Prozessdarstellung für den Anlagenfahrer war früher aufwendig und von System zu System unterschiedlich, doch „nun können wir unseren Kunden zusätzlich zu unserem Pumpenmodul ein fertiges Faceplate liefern.“ Durch die einfachere Einbindung erhofft er sich einen geringeren Supportaufwand. Denn nicht wenige Kunden holten sich bisher Unterstützung, wenn einzelne Signale in die überlagerte Automatisierung eingepflegt werden mussten. „Vor allem aber können wir jetzt die Anforderungen vieler Kunden aus der Prozessindustrie bedienen, die ergänzend zu Prozessmodulen eine zugehörige Beschreibungsdatei – eben ein MTP – anfragen.“

Neue Richtlinienblätter reduzieren Aufwand

So entsteht ein echter Wettbewerbsvorteil für Skid- und Modulbauer, die schon Module mit der Treibersoftware ausstatten. Die ersten Anwender machen deutlich, dass sie dies erwarten. Bernshausen betont: „In unsere Lastenhefte schreiben wir die Anforderung nach MTPs bereits hinein. Denn wir wollen, dass sich unsere Lieferanten und Engineering-Partner zumindest mit dem Thema auseinandersetzen. Sofern es möglich ist, sollen MTPs genutzt werden.“ Immerhin gebe es schon industriereife Projekte mit MTP-Einsatz, wenn bislang auch nur als Teillösung.
Aktuell sind die ersten drei Blätter der Richtlinie VDI/VDE/Namur 2658 veröffentlicht. Neben dem generellen Konzept definieren sie im Wesentlichen die Modellierungsvorschriften von Bedienbildern und Moduldiensten sowie die Schnittstellen für die auszutauschenden Daten. Damit sind die Grundlagen zur Anwendung der MTP für die Modulautomatisierung gelegt. „50 bis 70 Prozent der Engineering-Tätigkeiten“, konkretisiert Bernshausen, „werden von den derzeit festgelegten MTPs unterstützt, abhängig von der Art des Moduls. Ein Thermostat beispielsweise wird bereits weitgehend abgebildet; bei komplexeren Modulen - wie Reaktoren mit kompletter Steuerung - fallen noch ergänzende Engineering-Arbeiten an.“ Der Namur-Vertreter sagt: „Für uns ist es wichtig, bei aktuell geplanten Anlagen schon das Fundament für MTP zu implementieren, um künftig Module einfach einsetzen zu können. Mit jedem weiteren veröffentlichten Blatt der Richtlinie reduziert sich der Aufwand.“ Unter anderem wird bis dato an der Normierung von Laufzeit- und Kommunikationsaspekten sowie der Anforderungen an das Alarmmanagement gearbeitet.

Pumpensystem
Pumpensystem SCT (Smart Conveying Technology), wobei die Statorklemmung der Pumpe automatisiert, hydraulisch und hochpräzise auf Knopfdruck verstellbar ist. (Bild: Seepex)

Bernshausen beobachtet, dass seine Kollegen immer mehr Anwendungen identifizieren, für die sich das MTP-Konzept eignet: „Nicht nur mobile, kleine Anlagen profitieren von MTPs; World-Scale-Anlagen in der Chemie- und Pharmaindustrie und selbst in der diskreten Fertigung ebenfalls.“ In Zukunftsfeldern wie der Wasserstofferzeugung werden MTPs das Engineering ebenso erleichtern, etwa bei Elektrolyseuren. Dies unterstreicht Wilfried Grote, Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals bei Phoenix Contact. „Im Rahmen unseres Leitbilds der All Electric Society arbeiten wir derzeit mit einigen Startups zusammen, die erste Pilotanlagen für Power-to-X entwickeln“, berichtet er.

Computerbildschirme
Schnelle Integration in die Prozessführungsebene mit der MTP-Beschreibungsdatei gemäß des Plug & Produce-
Ansatzes. (Bild: Phoenix Contact)

MTP erstellen ist kein Hexenwerk

Phoenix Contact unterstützt Modulhersteller mit Tools wie dem MTP-Designer, mit dem Module auf Basis des R&I-Schemas automatisiert werden können. Dazu wird das R&I-Schema importiert und auf einer grafischen Oberfläche um MTP-Informationen angereichert. Zum Beispiel können Interfaces, Eclass-Nummern und Services hinzukonfiguriert werden. Die Informationen lassen sich als MTP-Datei exportieren, die alle Modulinformationen für die Prozessführungsebene (Process Orchestration Layer, POL) enthält. Auch um OPC UA-Tags oder MTP-Interfaces muss sich der Modulprogrammierer nicht kümmern. Diese werden automatisch generiert und können als Teil eines normgerechten Programmrumpfs für Steuerungen genutzt werden. Zudem wird die lokale Visualisierung des Moduls erzeugt. „Es ist wirklich kein Hexenwerk, ein MTP zu erstellen“, sagt Brehm.
Claus Vothknecht, System Manager Process Industry bei Phoenix Contact, verdeutlicht den Nutzen eines Modul-Engineering-Tools: „Mit dem MTP-Designer gelangt man per Mausklick vom R&I zum fertig automatisierten Modul.“ Dies sei für Modulbauer, die sich so wenig wie möglich mit dem Thema MTP beschäftigen wollen, ideal. Sie können eine Bibliothek mit vorprogrammierten MTP-Funktionsbausteinen verwenden, die die Schnittstellen zu Feldgeräten, zur lokalen Visualisierung und zur Integration des Moduls in die POL enthält. „Die Verbindung von POL und Modul gelingt dadurch nicht nur schneller, sondern vor allem fehlerfrei“, sagt Vothknecht.

Deutlich kürzere Time-to-Market

Aus Sicht des Modulherstellers Seepex gehen die Vorteile weit über die schnelle Generierung der Modulautomatisierung hinaus. Christian Brehm hebt hervor: „Wir können künftig als Integrator auftreten und unseren Kunden, die sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren möchten, noch besser als bisher zur Seite stehen. Darüber hinaus sind sowohl wir ebenso wie Dritte in der Lage, hilfreiche Services für die Module anzubieten, beispielsweise in Form von Funktionen für die vorausschauende Instandhaltung oder die Fernwartung.“ Natürlich stehe man bislang am Anfang. Hersteller und Anwender können beim Thema MTP noch viel lernen. Im Rahmen eines agilen Entwicklungsansatzes seien sämtliche Beteiligten weiterhin aufgerufen, ihre Wünsche und Erwartungen einzubringen.

Ein wichtiger Punkt auf der Wunschliste von Modulherstellern und -anwendern ist bereits realisiert: MTP eröffnet die Möglichkeit, Anlagen mit Modulen und konventionellen Elementen zu mischen, wodurch Brownfield-Anlagen ebenfalls vom MTP-Ansatz profitieren können. Für die Prozessautomatisierer, die von der Modularisierung insbesondere unter dem Aspekt der Externalisierung von Engineering-Leistungen einen Nutzen ziehen, ist der MTP-Ansatz der Königsweg. Vorhandene Module lassen sich per Plug & Produce verwenden, und Anlagen- sowie Modul-Engineering können parallel ablaufen. Beides senkt die Zeit bis zur Inbetriebnahme. „Gerade im Pharmasektor mit seinen hohen Qualifizierungs- und Validierungsaufwänden würden funktionierende fertige Einheiten die Time-to-Market deutlich verkürzen“, erklärt Bernshausen.

Mann am Computer
Intuitives Engineering-Tool MTP-Designer von Phoenix Contact zur flexiblen Umsetzung des Modul-Engineering nach dem Standard VDI/VDE/Namur 2658 (Bild: Phoenix Contact)

MTP-ready auch für Bestandsanlagen

Wer heute Module entwickelt, kann schon ein MTP mitliefern, selbst wenn dies aktuell vielleicht noch nicht vom Kunden eingesetzt wird. Seine Funktionalitäten kommen zum Tragen, sobald das POL „MTP-ready“ ist. Hier legt Bernshausen den Finger in die Wunde: „Leitsystemanbieter sehen für zukünftige Systeme die MTP-Integration vor. Doch das hilft uns lediglich bei der Planung weniger Neuanlagen. Bei Bestandsanlagen wird keiner auf ein neues Leitsystem umsteigen, weil er MTPs nutzen will. Ich fordere daher, innerhalb der Revision der bestehenden Leitsysteme die MTP-Funktionalität mit einzuführen. Sonst verpassen wir eine Chance.“

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